"Meine größte Angst war vermutlich, dass ich nicht fähig sein werde Gerechtigkeit in diese komplexe Geschichte zu bringen": Filmemacherin Aela Callan über ihre Arbeit in Myanmar.

Foto: Scott R. Kline 

Aela Callan ist Journalistin, Filmemacherin und eine international anerkannte Expertin für die Politik Myanmars und die Bevölkerungsgruppe der Rohingya. Beim Internationalen Journalismusfestival in Perugia sprach sie über "Reporting about the Rohingya Crisis" . Im Interview erzählt sie, wie schlimm es wirklich um die Rohingya steht, wer dafür verantwortlich ist, welche Rolle Facebook dabei spielt und wovor sie Angst hat.

STANDARD: 2012 gab es eine internationale Reisewarnung für den Rakhaing-Staat in Myanmar. Trotzdem sind Sie gerade zu dieser Zeit in den Norden Myanmars gereist. Warum?

Callan: In diesem Moment kam es zu Konflikten in ländlichen Gebieten und kleinen Städten Myanmars, die zuvor noch nie mit Gewalt konfrontiert waren. Durch die Öffnung des Landes nach außen wurde die Kontrolle durch das Militär gelockert. Gruppen, die zuvor nebeneinander gelebt haben – Buddhisten und Muslime – sind plötzlich aufeinander losgegangen. Schulen und Häuser wurden niedergebrannt. Buddhisten haben Muslime von Haus zu Haus gejagt und gezielt verfolgt. Die Muslime sind in weiterer Folge in temporäre Camps geflüchtet. Ich habe über diese Gewalt berichtet und mittels Bildern und Zeugenaussagen der muslimischen Bevölkerung dokumentiert.

STANDARD: Würden Sie sagen, dass ihre Erzählungen aus dem Jahr 2012 den Ereignissen von heute ähnlich sind?

Callan: Es war damals sehr ähnlich zu dem, was wir heute im Rakhaing-Staat sehen. Zu dieser Zeit war es für sämtliche Ausländer unmöglich in den Rakhaing-Staat zu reisen, nicht nur für Journalisten. Die verschiedenen ethnischen Gruppen nehmen sich selbst als sehr unterschiedlich war. Als 2012 die Medienzensur gelockert wurde, gab es eine Welle der Gewalt, die sich von einem zum anderen Staat ausbreitete. Das ist passiert, weil wie aus dem Nichts Information zugänglich wurde. Die Vernetzung war zwar nicht gut, trotzdem hatten viele Menschen mit ihren Smartphones Zugang zu Social Media. Selbst mit älteren Geräten konnten plötzlich Fotos durch das ganze Land geschickt werden. Bei vielen von ihnen handelte es sich jedoch um Manipulationen. Gewalt ist als Ergebnis von Vorkommnissen in anderen Staaten verbreitet worden. Das hat es nie zuvor in Myanmar gegeben.

STANDARD: Welche Rolle spielen die sozialen Netzwerke, speziell Facebook, in diesem Konflikt?

Callan: Eine sehr große. Ich gebe Facebook nicht die Schuld dafür, aber sie hatten 2013 schlichtweg keine Ahnung wie ihre Plattform in einem Land wie Myanmar genützt wurde. Nachdem die Mediengesetze gelockert wurden, hatte plötzlich jeder Burmese einen Facebook-Account. Jeder konnte posten, falsche Namen verwenden und trotzdem wurde erwartet, dass sämtliche Inhalte auf Facebook der Wahrheit entsprechen.

STANDARD: Können Sie uns die Situation in Myanmar genauer beschreiben? Welche Position vertritt die Bevölkerung Myanmars?

Callan: Es war eine sehr instabile Situation, eine Situation, in der Ausländern mit extrem großer Skepsis begegnet wurde. Myanmars Bevölkerung verweist die westliche Welt auf ihre eigenen Einstellungen und Scheinheiligkeit. Ihr Vorwurf ist, dass wir Muslime in unseren eigenen Ländern attackieren. Wie können wir somit Myanmar für ihr Vorgehen kritisieren? Andererseits hat es speziell im vergangenen Jahr auch viele Stimmen aus der Bevölkerung gegeben, die gemeint haben, dass Militär sei nicht brutal genug vorgegangen.

STANDARD: Hatten Sie im Zuge Ihrer Arbeit in Myanmar und Bangladesch Angst? Welche war Ihre größte Angst?

Callan: (lacht). Meine größte Angst war vermutlich, dass ich nicht fähig sein werde Gerechtigkeit in diese komplexe Geschichte zu bringen. Natürlich ist es beängstigend, von Männern auf Motorrädern verfolgt zu werden, wie es uns passiert ist, als wir versucht haben bereits verwesende Leichen sowie Skelette zu fotografieren. Es ist auch unangenehm von der Polizei verhört zu werden, wenn du weißt, dass es nur sechs Wochen zuvor ausländischen Journalisten nicht einmal erlaubt war das Land zu betreten. Als Ausländerin hatte ich aber nie die Angst, dass mir etwas wirklich Schlimmes passieren könnte. Ich würde nur ausgewiesen werden. Meine Kollegen in Myanmar sind diejenigen, die in Gefahr sind. Sie werden eingesperrt, so wie die zwei Reuters-Journalisten die zurzeit im Gefängnis sitzen. Das sind die wirklichen Risiken.

STANDARD: Welche Informationen oder Hoffnungen haben Sie bezüglich einer Freilassung der beiden Reuters-Fotografen? (Anm.: Kyaw Soe Oo und Wa Lone sitzen seit Dezember 2017 in Haft)

Callan: Es sieht nicht so aus, als würden sie freigelassen werden. Sie haben einen sehr undurchsichtigen Gerichtsprozess vor sich, bei dem nicht klar ist, ob sie auf Kaution freikommen oder nicht. Der Akt für den sie angeklagt werden, ist Teil eines veralteten Rechts, das dringend einer Reform bedarf. Ein Gesetz aus der Militärdiktatur wird jetzt von einem Zivilgericht zum Zweck der Unterdrückung der Berichterstattung verwendet. Dabei ist dieses Thema so unglaublich wichtig und speziell die Arbeit der beiden Reuters-Fotografen über die Rohingya-Krise wird als eine der besten in die Geschichte eingehen. Unglücklicherweise müssen sie jetzt den Preis dafür zahlen und das ist extrem traurig.

STANDARD: Wie ist die aktuelle Lebenssituation vor Ort? Ist es für Rohingya sicherer in Myanmar oder Bangladesch zu leben?

Callan: Nein, es ist nirgends sicher für Rohingya! Ich bin der Meinung, dass es für (fast) alle Muslime unsicher ist. Es gibt sehr viele, die sich im Moment fürchten. Das Land ist wie ein Pulverfass. Jeder kann ein Streichholz anzünden und Gewalt kann zu jeder Zeit ausbrechen. Als nicht Einheimischer ist es wichtig zu verstehen, dass Rangun nicht so wie der Rest des Landes tickt. Dort kann Frieden herrschen, aber der Raghaing-Staat ist weit davon entfernt. Journalisten arbeiten dort nach wie vor und das, obwohl sich die Pressefreiheit auf einem Allzeittief befindet. Ich will nicht sagen, dass die Gesamtsituation so schlecht wie während der Militärdiktatur ist, aber Fälle wie jene der Reuters-Journalisten zeigen, dass wir weit gekommen sind und trotzdem ist vieles noch immer so wie früher.

STANDARD: Glauben Sie, dass die Regierung Myanmars daran interessiert ist, die Rohingya in der Zukunft als Teil ihres Landes zu akzeptieren? Gibt es irgendeine Möglichkeit dafür?

Callan: Ich sehe keine. Die politische Führung hat überhaupt keine Bestrebungen in diese Richtung. Es würde jemanden in der Größe von Aung San Suu Kyi benötigen, die eine nationale Aussöhnung anführen will. Das passiert aber nicht und es gibt auch kein Signal, dass so etwas passieren könnte. Unglücklicherweise ist Aung San Suu Kyi nicht in der Lage das Land in dieser Sache zu einen. Das wird als eines der größten Versagen in die Geschichte Myanmars eingehen.

STANDARD: Sehen Sie eine mögliche Lösung für ein besseres Leben der Rohingya?

Callan: Was sollen sie denn machen? Sie können nicht zurückgehen, obwohl momentan ein Prozess über die mögliche Rückkehr der Rohingya im Gang ist. Die Situation ist instabil und unsicher. Würden Sie zurückgehen?

STANDARD: Das kann ich Ihnen nicht beantworten. Wo genau liegen die Gründe für diese Instabilität?

Callan: Die nationale Aussöhnung ist noch lange nicht so weit. Davor braucht es noch eine bessere politische Führung, eine vernünftige Gesetzeslage und eine Debatte darüber, was es heißt, ein Einwohner Myanmars zu sein. Mit Fragen wie diesen beschäftigt sich Myanmar intensiv. Das kommt daher, dass die Briten zu früheren Kolonialzeiten viele Inder ins Land geholt und mit dem höchsten sozialen Status bedacht haben. Diese Verbitterung reicht bei burmesischen Buddhisten bis heute. Die Briten haben willkürliche Grenzen gezogen. Das Schlimme daran ist, dass egal ob Rohingya, Kachin oder Shan: All diese Völker sehen sich niemals als Teil einer gemeinsamen Nation. Aung San Suu Kyi’s größtes Versäumnis ist, dass sie die ethnischen Gruppen nicht einen konnte. Sie ist keine Anführerin für alle Einwohner Myanmars und dafür sollte sie am stärksten kritisiert werden. Mehr als dafür, dass das Militär die Rohingya über die Grenzen nach Bangladesch gejagt hat. Sie wollten die Rohingya nie haben, jetzt haben sie ihre vermeintlich letzte Chance genützt. Diese Situation zu ändern ist schwierig. Es gibt Überlegungen, aber ich denke, dass wir noch keine Antworten haben.

Callens Virtual-Reality-Video begleitet eine Rohingya-Frau durch ein Flüchtlingslager in Bangladesch und erzählt ihre Geschichte.
As People

STANDARD: In der Podiumsdiskussion haben Sie gesagt, es sei wichtig, den Menschen mit denen Sie in Bangladesch und Myanmar sprechen, Glauben und Vertrauen zu schenken. Was meinen Sie damit?

Callan: Wir haben sehr viele Opfer. Menschen, die Vergewaltigungen und andere schwere Gewaltverbrechen am eigenen Körper gespürt haben. Deshalb ist es so wichtig, dass sie spüren, dass wir ihnen glauben. Es ist in diesen Momenten kaum möglich diesen Geschichten keinen Glauben zu schenken, aber als Journalistin ist es meine Pflicht. Ich muss die Fakten überprüfen und verifizieren. Speziell im Pulverfass Myanmar können Fake News fatale Auswirkungen haben. Menschen in Myanmar vertrauen uns – den westlichen Medien – nicht ohne Bedenken. Deshalb müssen wir alle Zweifel über unsere Arbeit ausräumen.

STANDARD: Sie meinen, dass sich die öffentliche Diskussion nicht nur um Aung San Suu Kyi drehen sollte. Um wen denn sonst?

Callan: Min Aung Hlaing. Er ist der Oberbefehlshaber des myanmarischen Militärs. Er hat noch immer viel Macht und soweit wir wissen, hat er das scharfe Vorgehen gegen die Rohingya eingeleitet. Aung San Suu Kyi ist zwar offiziell die Anführerin des Landes und führt die Regierung, wurde aber als Präsidentin nie bestätigt. Wir sollten den Menschen vielleicht erzählen, dass sie nicht für alle Vorkommnisse in Myanmar verantwortlich ist. Min Aung Hlaing wurde während dieser Periode quer durch Europa hofiert. Seine Rolle und die Rolle des Militärs gehört stärker beleuchtet. Noch immer sitzen 25 Prozent Militärs im Parlament und trotzdem wird keine Diskussion über Min Aung Hlaing geführt, sondern alles auf Aung San Suu Kyi projiziert. Die gesamte Geschichte Myanmars ist komplex und in westlichen Medien nicht populär, aber es sollte ihr gerade deshalb mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. (Matthias Führer, 13.4.2017)