Wer sich eine von moralischen Werten getragene Außenpolitik wünscht, muss über die jüngste China-Reise von Alexander Van der Bellen, Sebastian Kurz und der riesigen Wirtschaftsdelegation entsetzt sein: In der größten Diktatur der Welt verloren sie kaum ein Wort über politische Gefangene, Serienexekutionen, Pressezensur oder neue totalitäre Systeme der Bevölkerungskontrolle.

Man freute sich über die Aufmerksamkeit, die Xi Jinping dem kleinen Land zukommen ließ, und zählte zufrieden die Millionenaufträge für die Exportindustrie. Und fast niemand im In- oder Ausland fand an diesem Ausverkauf liberal-demokratischer Grundwerte etwas zu kritisieren.

Wie anders war die Reaktion auf die jüngste Entscheidung der Bundesregierung, als Reaktion auf den Giftanschlag in Salisbury keine russischen Diplomaten auszuweisen. Dabei gibt es in Wladimir Putins Reich kaum politische Gefangene und keine Todesstrafe, dafür aber viel persönliche Freiheiten und eine – wenn auch mangelhafte – Demokratie. Ist es nicht verlogen, von Österreich Sanktionen gegen Russland zu verlangen, aber sein "business as usual" in China zu akzeptieren oder gar zu begrüßen?

Genaues Abwägen

Nicht unbedingt, denn eine vernünftige Außenpolitik ist mehr als nur die Umsetzung der eigenen Ideale. Die Welt zu verbessern kann nicht ihr Hauptziel sein. Ein Land muss auch seine eigenen Interessen im Blick haben und verfolgen. Das spricht nicht für einen amoralischen Zynismus, sondern für ein genaues Abwägen zwischen absoluten Werten und flexiblen Kompromissen.

Im Falle Chinas ist Europas Einfluss auf die politische Entwicklung äußerst beschränkt. Ein Verzicht auf Handelsbeziehungen und Investitionen würde keinem Dissidenten in Peking helfen. Dafür steht China Europas großem Interesse – der Schaffung einer friedlichen und möglichst liberalen Ordnung in seiner Weltregion – kaum im Weg.

Das tut Russland sehr wohl. Es steht in einem offenen, meist brutalen und gelegentlich blutigen Machtkampf mit der EU um die Zukunft der Länder östlich der Donau. Dass diese nicht in Moskau, sondern in Brüssel, Berlin und Paris entschieden wird, liegt im ureigenen Interesse Österreichs.

Nicht aus moralischen, sondern aus realpolitischen Gründen ist es deshalb falsch, wenn Wien aus einer westlichen Front gegen Putin ausschert. Hier wären von Politik und Wirtschaft Prinzipien gefragt. Geschäftstüchtigen Pragmatismus kann man sich für China aufheben. (Eric Frey, 15.4.2018)