Der vom Menschen maßgeblich verursachte Klimawandel sei Auslöser oder zumindest ein unterschätzter Aspekt des Bürgerkriegs in Syrien, hört man aus Politik und Populärwissenschaft gleichermaßen. Eine von 2007 bis 2011 anhaltende Dürre habe zu 1,5 Millionen syrischen Binnenflüchtlingen, zu großer Unzufriedenheit und schließlich zu Konflikten und Krieg geführt, meint etwa der streitbare Klimaforscher Stefan Rahmstorf, der vor zwei Wochen auf der Generalversammlung der European Geosciences Union (EGU) in Wien referierte. Dass die Konfliktforschung keine stichhaltigen Beweise für diese These findet, Klimawissenschafter keine sogenannte menschliche Attribution für ausbleibende Niederschläge nachweisen konnten und Politologen die Gründe für die Katastrophe in Syrien ohnehin anderswo verorten, stört Rahmstorf nicht: Nicht nur er ist überzeugt davon, dass ein Zusammenhang mit dem Klima bestehen müsse. Aber welcher?

Manche Forscher möchten im Klimawandel einen Grund für Kriege, wie jene in Syrien, sehen.
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Klima: Physikalische Realität und Mythos

Wann immer heute über den Klimawandel diskutiert wird, passiert eine interessante – scheinbar unauflösbare – Verknotung: jener von Klima als (geo)physikalischer Realität im Sinne langfristiger, örtlich unterschiedlicher meteorologischer Veränderungen, mit jener von Klima, als einem tief in der westlichen Ideengeschichte verwurzelten Mythos.

Als Wissenschafter das Klima als geophysikalische Realität im 19. und 20. Jahrhundert für sich "entdeckten" und als den Durchschnitt von 30 Jahren Wetter definierten, hatte das Klima bereits 2000 Jahre als immer wiederkehrende Idee gedient – meist zur Vereinfachung komplexer Zusammenhänge und Orientierungshilfe. Paradoxerweise sind es heute auch Naturwissenschafter, die an der Renaissance dieser Idee beteiligt sind – und das obwohl sie aus ihren Disziplinen heraus ausschließlich von einem geophysikalischen Phänomen sprechen können, und die spannende Kulturgeschichte ihres Forschungsobjekts Klima wie im Falle Rahmstorfs selten kennen.

Parallel zu unserem heute dominanten, von der World Meteorological Organization (WMO) geprägten Verständnis von Klima – als dem Durchschnitt von gemessener Temperatur, gemessenem Niederschlag, Windstärke und anderen geographisch begrenzten meteorologischen Variablen –, kann das Klima in unserer Vorstellung einen wirkungsmächtigen Erklärungsansatz für menschliches Handeln bieten. Wie eingangs erwähnt, neigt auch mancher Klimaforscher dazu, Kriegsursachen an veränderten meteorologischen Bedingungen festzumachen, und projiziert diese gerne in die Zukunft. So werden grauenvolle Szenarien zu sogenannten Klimakriegen vor allem für die Länder des Nahen und Mittleren Osten ausgemalt und mit der Vorstellung von einem "schlechten" Klima "dort unten" begründet. Unser Klima – Geografen nennen es heute gemäßigtes Klima – sei objektiv "besser" als deren semiarides. Das scheinbar Unumstrittene an diesem Argument macht es für Kulturwissenschafter umso interessanter.

Genau genommen kann es kein Weltklima geben.
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Von Hippokrates in die Neuzeit: Klima als Orientierungshilfe

Wir sind nicht die ersten, die so denken. Für die antiken Griechen bedeutete klinein, aus dem sich das Wort Klima entwickelte, die Neigung der Erde vom Äquator zu den Polen. Obwohl hier in den Grundzügen ein Verständnis für Klimazonen entwickelt wird, wie sie Geografen Anfang des 20. Jahrhunderts beschreiben, ist das griechische klinein mit den heute dominanten wissenschaftlichen Definitionen nicht vergleichbar: auf die Natur bezogene meteorologische Variablen wie Temperatur oder Niederschlag ergaben für die Griechen keinen Sinn – Temperatur war bis in die späte Neuzeit die Eigenschaft von Menschen (Temperament), nicht von Atmosphäre. Und doch räumten die Griechen ihrem "Klima" ähnlich viel Macht ein, wie wir es heute wieder tun – allen voran Hippokrates. Für ihn formten Griechenlands stark ausgeprägte Jahreszeiten Hellas' Männer und boten eine übermenschliche Erklärung – einen Mythos – für die Überlegenheit Alexander des Großen. In der weit verbreiteten Lehrmeinung nach Hippokrates konnten die von milden Klima verweichlichten Perser kein wirkliches Hindernis für die von gemäßigt-harten Klima gestählten Griechen darstellen.

In ihren Ausführungen zu fremden Ländern und Völkern reduzierten selbst Montesquieu und Alexander von Humboldt Geschichte auf Geografie. Zu Humboldts Zeiten etwa galten subtropische und tropische Klimata der Karibik für Europäer als schlichtweg tödlich. Koloniale Vorstellungen dominierten damals (wie heute) die Beschreibung fremder Kultur und Natur: Nur unzivilisierte Völker würden im fernen Klima überleben – dahindarben – können. Dass heute Subtropen wie Tropen begehrte Reiseziele sind –Touristen laden in diesen sonnigen Gefilden ihre Vitamin D-Batterien auf – wäre im 18. Jahrhundert undenkbar gewesen. Während sich die damaligen tropischen und subtropischen Klimata von den heutigen vergleichsweise geringfügig unterscheiden, hat sich unsere Vorstellung von ihnen aufgrund gesellschaftlicher Entwicklungen dramatisch verändert. Die Idee von Klima ändert sich mitunter rascher als dessen geophysikalische Realität.

Auch spielt Klima in der Konstruktion nationaler Identität eine wichtige Rolle. Viele Briten feiern seit der Aufklärung ihr Inselklima als das weltweit beste und verfolgen besorgt Wetterberichte über polare Fronten und Einbrüche kontinentaleuropäischer Hitze. Die militärische Sprache kommt nicht von ungefähr, hat sich die Meteorologie doch Hand in Hand mit kolonialen Abenteuern entwickelt. Institutionell ist sie heute noch dem Verteidigungsministerium zugehörig.

Gleichzeitig würde Klima einen Unterschied zwischen Sieg und Niederlage machen können. So wurde der Erfolg der Nordstaaten im Amerikanischen Bürgerkrieg von einigen prominenten zeitgenössischen Geografen als klimabedingt erklärt. Ebenso die Sklavenhaltung: Für den einflussreichen Yale-Professor Ellsworth Huntington konnte es Sklavenhaltung nur im rückständigen Süden geben; im geografischen wie politischen Norden wäre das Klima für Landwirtschaft und Baumwollanbau unvorteilhaft. Sklaverei war somit im Grunde nicht moralisch verwerflich, laut Huntington war sie im Norden schlicht und einfach aus klimatischen Gründen unrentabel gewesen. Ob dies mit wissenschaftlichen Methoden nachgewiesen werden konnte, blieb sekundär. Die Vorstellung, dass Klima gewisse Handlungen determinierte, reichte für die Argumentation.

Die Renaissance des Klimadeterminismus

In seinem 2005 erschienenen Buch "Kollaps" lässt der Geograf Jared Diamond, wenn auch viel differenzierter als etwa Huntington, Klima eine zentrale Rolle beim Untergang ganzer Zivilisationen zukommen. Dass Variablen wie Temperatur, Niederschlag, Windstärke, Luftfeuchtigkeit, aber vor allem auch Geologie und Bodenbeschaffenheit eine gewisse, jedoch schwer quantifizierbare Rolle für menschlichen Handlungen – wie im Baumwollanbau – spielen, ist unumstritten und gilt umso mehr für vorindustrielle Zivilisationen. Gleichzeitig schwingt in den Darstellungen Huntingtons und teilweise auch Diamonds immer eine gewisse Überzeugung von Klima als einem unsichtbaren, quasi-göttlichen Akteur mit. Damit steht "Kollaps" stellvertretend für eine Rückkehr des Klimadeterminismus in der (populär)wissenschaftlichen Literatur, für den sich Geografen nach Huntington aufgrund seiner Unwissenschaftlichkeit stets schämten.

In den meisten dieser Darstellungen lässt sich beobachten: je fremder das Klima, umso stärker müsse dessen Einfluss sein. Während beispielsweise kein Mensch auf die Idee gekommen wäre, die Balkankriege der 1990er-Jahre mit Klima in Verbindung zu bringen, war für UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon der Bürgerkrieg im sudanesischen Darfur Anfang der 2000er-Jahre ein "Klimakrieg". Dass es zum Zeitpunkt seiner Aussage keine Publikation zu dieser These gab und heute Forscher keinen Zusammenhang zwischen meteorologischen Variablen und der Darfur-Katastrophe finden, spielte für Ban keine Rolle. Zu tief ist der Mythos Klima als bestimmender Faktor - als Akteur - in unserer Vorstellung verankert, zu offensichtlich drängt sich das Klima als einfache Erklärung für komplexes menschliches Handeln auf. Darüber hinaus fällt diese Rhetorik im Gegensatz zu den frühen 1990er-Jahren heute auf besonders fruchtbaren Boden.

Ex-UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon zog in einer Rede eine Linie zwischen Klima und Krieg in Darfur.
Foto: AP/Steven Senne

Eine neue Dimension

Seit Ende des Kalten Krieges und dem Kyoto-Protokoll 1997 hören wir interessiert und gebannt wissenschaftlichen Ausführungen zum Zustand des Weltklimas, einer Reduktion des komplexen Erdsystems auf eine Durchschnittstemperatur. Durch die (prinzipiell unmögliche) Vorstellung eines Weltklimas, gepaart mit den im Industriezeitalter vom Menschen verursachten verortbaren klimatischen Veränderungen, gewinnen Ausführungen und Erzählungen von Klimakriegen und Klimaflüchtlingen zusätzlich an Aktualität und Autorität. Nicht nur in der Bevölkerung finden entsprechend medial aufbereitete Bedrohungsszenarien Widerhall. Auch in Donald Trumps Washington zeichnen kongressnahe Thinktanks mit Analysen zur nationalen Bedrohung durch Klimaveränderungen ein düsteres Bild. Es müssten mehr Ressourcen für die nationale Sicherheit bereitgestellt werden, fordern Politiker auf beiden Seiten des Atlantiks.

Dieser sogenannte Klimakollaps würde noch ganz andere Kämpfe von uns verlangen, heißt es aus diversen Forschungseinrichtungen. So wird sogar an der Invasion der Stratosphäre geforscht. In letzter Konsequenz würde es eine menschliche Intervention in die Funktionen der Stratosphäre legitimieren; diese Sphäre in vielen tausend Metern Höhe müsse künstlich mit reflektierenden Partikeln angereichert werden, um Sonnenstrahlen zu reflektieren und das Klima zu stabilisieren – eine Themenverfehlung. Die einflussreichen wissenschaftlichen Fürsprecher dieser Form des Geoengineering glauben, dass man den jahrtausendalten, wandlungsfähigen Mythos Klima technisch durch das Bestäuben der Stratosphäre stabilisieren könne. Man würde bloß das Wetter auf Erden auf unkontrollierbare Weise beeinflussen.

Die Sorge produktiv nutzen

Die Sorge um das Klima ist nicht neu, und im Klimawandel erreichen Studien, die einen Zusammenhang zwischen Klima und Konflikt untersuchen, dank diverser Bedrohungsszenarien wieder eine gewisse Aufmerksamkeit. Welchen Einfluss auch immer wir auf die physikalische Welt haben und umgekehrt – er ist nicht zu leugnen –, die unwissenschaftlichen Ausführungen eines äußerst einflussreichen Klimaforschers zu Syrien und eines ehemaligen UN-Generalsektärs zu Darfur zeigen, dass die Idee des Klimas oft mächtiger ist als die geophysikalische Realität. Viele Jahrzehnte hatten Wissenschafter sich für diesen Klimadeterminismus geschämt. Heute, in Zeiten allgemeiner Verunsicherung und Komplexität, stößt man mit einfachen Erklärungen und Lösungen wieder auf offene Ohren. Dabei ist diese Sorge per se nichts Schlechtes – sie kann sogar sehr produktiv genutzt werden –, doch sollte man sich ihrer Geschichte bewusst sein. (Mathis Hampel, 24.4.2018)

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