Innsbruck – Vor 75 Jahren, am 19. April 1943, entschied sich der Chemiker Albert Hofmann zu einem Selbstversuch, der Geschichte schreiben sollte. Er unternahm den ersten wissentlichen LSD-Trip. Und weil der Schweizer am liebsten per Radl ins Labor pendelte, entfaltete sich die psychedelische Wirkung der Substanz ausgerechnet auf dem Heimweg. Daher ist die erste beschriebene Wirkung eines LSD-Trips die Geschichte einer Radtour der etwas anderen Art.
Selbstversuch, der Geschichte schrieb
Hofmann versuchte schon 1938 im Auftrag der Firma Sandoz eine Kreislaufstimulanz aus dem Mutterkornpilz zu gewinnen. Doch seine Forschungen zeitigen nicht das gewünschte Ergebnis. Weil er aber den Verdacht hegte, etwas übersehen zu haben, wandte er sich fünf Jahre später erneut dem Mutterkornpilz zu, aus dem er Lysergsäurediethylamid entwickelte. Weil er am 18. April (manche Quellen sprechen auch vom 16. April) bemerkte, dass die Substanz offenbar bereits durch Hautkontakt eine halluzinogene Wirkung auf ihn hatte, entschloss er sich, am 19. April einen Selbstversuch durchzuführen.
Am besagten Tag weihte er seine Laborantin in das Vorhaben ein und beendete seine Arbeit etwas zeitiger als sonst. Mangels Erfahrungswerten entschied er, die seiner Meinung nach geringstmögliche wirksame Dosis von 250 Mikrogramm zu sich zu nehmen. Heute weiß man, dass LSD bereits ab 20 Mikrogramm wirkt. Dementsprechend intensiv war Hofmanns Trip, dessen Wirkung just während der Fahrradfahrt nach Hause einsetzte. Der Schweizer protokollierte seine Erfahrung wie folgt:
16:20 Einnahme der Substanz
17:00 Beginnender Schwindel, Angstgefühl, Sehstörungen, Lähmungen, Lachreiz. Mit Velo nach Hause. Von 18 – ca. 20 Uhr schwerste Krise, siehe Spezialbericht: Die letzten Worte konnte ich nur mit großer Mühe niederschreiben. […] die Veränderungen und Empfindungen waren von der gleichen Art [wie gestern], nur viel tiefgreifender. Ich konnte nur noch mit größter Anstrengung verständlich sprechen und bat meine Laborantin, die über den Selbstversuch informiert war, mich nach Hause zu begleiten. Schon auf dem Heimweg mit dem Fahrrad […] nahm mein Zustand bedrohliche Formen an. Alles in meinem Gesichtsfeld schwankte und war verzerrt wie in einem gekrümmten Spiegel. Auch hatte ich das Gefühl, mit dem Fahrrad nicht vom Fleck zu kommen. Indessen sagte mir später meine Assistentin, wir seien sehr schnell gefahren. [Zu Hause angelangt] wurden Schwindel und Ohnmachtsgefühl zeitweise so stark, dass ich mich nicht mehr aufrecht halten konnte und mich auf ein Sofa hinlegen musste. Meine Umgebung hatte sich nun in beängstigender Weise verwandelt. […] die vertrauten Gegenstände nahmen groteske, meist bedrohliche Formen an. Sie waren in dauernder Bewegung, wie belebt, wie von innerer Unruhe erfüllt. Die Nachbarsfrau […] war nicht mehr Frau R., sondern eine bösartige, heimtückische Hexe mit einer farbigen Fratze. Etc. etc."
Erst später, als der Trip langsam abklang, beschrieb Hofmann eine angenehmere Wirkung:
Jetzt begann ich allmählich, das unerhörte Farben- und Formenspiel zu genießen, das hinter meinen geschlossenen Augen andauerte. Kaleidoskopartig sich verändernd drangen bunte phantastische Gebilde auf mich ein, in Kreisen und Spiralen sich öffnend und wieder schließend, in Farbfontänen zersprühend, sich neu ordnend und kreuzend, in ständigem Fluss. Besonders merkwürdig war, wie alle akustischen Wahrnehmungen, etwa das Geräusch einer Türklinke oder eines vorbeifahrenden Autos, sich in optische Empfindungen verwandelten. Jeder Laut erzeugte ein in Form und Farbe entsprechendes, lebendig wechselndes Bild.
Hofmann experimentierte weiter mit LSD
Hofmann wurde für seine Entdeckung weltbekannt. Dass er neben LSD auch Methergin entdeckt hat, ein bis heute in der Gynäkologie eingesetztes Präparat, das Nachgeburtsblutungen verhindert, sowie das Geriatricum Hydergin und das Kreislaufpräparat Dehydergot, ist jedoch kaum bekannt. Mit der Substanz LSD verband ihn zeitlebens eine zwiespältige Beziehung, die er in seinem Buch "LSD – Mein Sorgenkind" niederschrieb.
Anders als der Psychologe Timothy Leary, der den Konsum von LSD in den 1960ern propagierte, trat Hofmann zeitlebens nie als Verfechter eines derart "leichtsinnigen und oberflächlichen Umgangs" damit auf. Er sprach vielmehr von einer "sakralen Droge", deren Potenzial es zu erforschen gelte. Hofmann selbst nahm bis ins sehr hohe Alter LSD, weil er unter anderem ergründen wollte, ob die Substanz in kleinen Dosen gegen Depressionen helfe. Er starb 2008 im Alter von stolzen 102 Jahren. Noch 2007 kürte ihn der "Guardian" im Rahmen einer Umfrage zum größten lebenden Genie der Gegenwart. (Steffen Arora, 17.4.2018)