Kanzler Sebastian Kurz beim Studium interessanter Unterlagen. Er und sein Vize Heinz-Christian Strache sind mit Widerstand gegen Kassenreformpläne konfrontiert.

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Der Wiener Wirtschaftskammer-Präsident Walter Ruck (li.) am Montag bei der Schanigarten-Eröffnung mit dem designierten Wiener Bürgermeister Michael Ludwig. Am Dienstag warnte er vor Eingriffen in die Selbstverwaltung.

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Gesundheitsminister Beate Hartinger-Klein würde gerne mehr steuernd ins Gesundheitssystem eingreifen. Bei der Umsetzung ihrer Pläne gibt es Widerstand.

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Hauptverbandschef Alexander Biach richtet der Regierung aus, dass Eingriffe in die Selbstverwaltung aus verfassungsrechtlicher Sicht nur bedingt möglich seien.

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Wien – Die Reform der Sozialversicherungsträger geht schön langsam in die heiße Phase. Vergangene Woche fanden auf Koalitionsebene intensive Verhandlungen statt, noch für den Mai hat Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) einen Ministerratsbeschluss angekündigt. Neben einer Reduktion der Versicherungsträger von 21 auf fünf wird es dabei auch darum gehen, den Einfluss des Bundes auszubauen, wie die Ministerin zuletzt angekündigt hat.

Das würde im Umkehrschluss natürlich eine Schwächung der Sozialpartner bedeuten. Zum Hintergrund: Die bisherigen Selbstverwaltungsgremien wie Vorstand, Kontrollversammlung und Generalversammlung werden ausschließlich von Dienstgeber- und Dienstnehmervertretern besetzt. Basis für die Beschickungen sind die Wirtschaftskammer- und Arbeiterkammerwahlen.

Widerstand gegen drohende Entmachtung

Gegen die drohende Entmachtung machen die Sozialpartner nun gemeinsam mobil – und zwar mit verfassungsrechtlichen Expertisen des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger, die dem STANDARD vorliegen und bei einer Diskussion in der Wirtschaftskammer Wien am Dienstagabend vorgestellt wurde.

Im Kern geht es um zwei Vorhaben der türkis-blauen Regierung:

  • Verwaltungsrat: Laut Regierungsprogramm soll ein neuer "Verwaltungsrat inklusive Bundesvertreter" geschaffen werden. In einem solchen Gremium wären also nicht nur Wirtschaftskammer und Arbeiterkammer/Gewerkschaft vertreten, sondern auch Ministeriumsvertreter. Dass das Vorhaben heikel ist, deutete zuletzt auch Hartinger an. Man prüfe gerade, "inwieweit das verfassungsrechtlich möglich ist", sagte sie zum STANDARD.

    Laut den Sozialpartnern gibt es jedenfalls enge Grenzen. Sie berufen sich dabei auf ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs aus dem Vorjahr zum burgenländischen Landesjagdverband. Auch dabei handelte es sich um ein Selbstverwaltungsgremium, das Land entsendet aber zwei beratende Vorstandsmitglieder. Da die vom Land entsandten Personen kein Stimmrecht haben, wurde die Regelung auch bestätigt. Der VfGH schreibt aber auch, dass die Aufsichtsbehörde "nicht in die Lage versetzt werden darf, selbst Entscheidungen bei Erfüllung von Selbstverwaltungsaufgaben zu treffen". Die Sozialpartner schließen daraus Folgendes für die Kassendebatte: Jede über die Aufsicht hinausgehende Rolle eines Ministeriumsvertreters in einem Verwaltungsrat wäre unzulässig.

    Auch die Einrichtung einer selbstständigen Geschäftsführung durch die Regierung wäre nach Ansicht der Sozialpartner nicht möglich. Einen solchen Versuch gab es bereits unter Schwarz-Blau I – die VfGH kippte die Regelung damals aber. Die Geschäftsführung müsse jedenfalls an Weisungen der Sozialpartner-Organe gebunden sein, hieß es.

  • Finanzautonomie: Ebenfalls mit Händen und Füßen wehrt man sich gegen einen Eingriff in die Finanzautonomie. Wie berichtet will Türkis-Blau die Einhebung der Sozialversicherungsbeiträge an die Finanz übertragen. Die Krankenkassen würden diese Aufgabe also verlieren.

    Die Einhebung und Verwaltung der Beiträge sowie deren Kontrolle habe aber "systemrelevante Bedeutsamkeit" , argumentieren die Sozialpartner unter Berufung auf verfassungsrechtliche Literatur. Mit einer Verlagerung an die Finanz werde daher "das Selbstverwaltungsprinzip selbst infrage gestellt". Daher sei dieses Vorhaben "kaum realisierbar" und "könnte gegen die Verfassungsgarantien der Selbstverwaltung und das verfassungsrechtliche Gleichheitsgebot verstoßen", wie es in einer Einschätzung des Hauptverbands heißt.

Für den von der Wirtschaftskammer nominierten Hauptverbandschef Alexander Biach ist daher klar: "Ein Rütteln an der in der Verfassung verankerten Selbstverwaltung kann es nicht geben. Das gilt sowohl für die Zusammensetzung der Gremien als auch für die Aufgaben der Geschäftsführung und die Beitragseinhebung", wie er im Gespräch mit dem STANDARD erklärte.

Ähnlich fällt die Botschaft des Wiener Wirtschaftskammer-Präsidenten Walter Ruck aus: "Die Selbstverwaltung ist einer der Eckpfeiler unseres stabilen Sozialversicherungssystems. Daran zu rütteln heißt auch, an der Bundesverfassung zu rütteln. Ich gehe davon aus, dass sich alle Wirtschaftskammern zur Verfassung bekennen." Mit den Arbeitnehmern ist man sich diesbezüglich einig, wie Biachs Stellvertreter Bernhard Achitz (ÖGB) bestätigt.

Schwarz-türkiser Unmut

Für ÖVP-Chef Sebastian Kurz ist der Widerstand des Wirtschaftsflügels durchaus brisant, braucht er doch die Abgeordneten des Wirtschaftsbundes für einen Beschluss im Parlament.

Zuletzt hatten auch bereits mehrere ÖVP-Landesgruppen ihren Unmut deponiert. Vor allem in den westlichen Bundesländern wird vor einer zu starken Zentralisierung im Gesundheitssystem gewarnt. Erst am Montag hatte die Tiroler Landesrätin und Chefin des dortigen VP-Arbeitnehmerflügels ÖAAB, Beate Palfrader, den Sozialpartnern den Rücken gestärkt. Dass die Finanz-, Budget- und Beitragshoheit zentralisiert werden solle, könne nicht hingenommen werden, sagte sie.

Auch die Landespräsidenten der Wirtschaftskammer haben sich in der Vorwoche getroffen, um sich gegen Eingriffe in die Selbstverwaltung zu wappnen. Mit dem designierten Wirtschaftskammer-Präsidenten Harald Mahrer, der am 18. Mai die Geschäfte von Christoph Leitl übernimmt, ist die Linie dem Vernehmen nach abgesprochen. (Günther Oswald, 17.4.2018)