Karl Blecha bei Tarek Leitner: Die Langfassung des Interviews gibt es >>> hier in der ORF-TVThek zum Nachsehen.

Foto: tvthek.orf.at/screenshot

Mit dem Rückzug Karl ("Charlie") Blechas aus der heimischen Politik ist ein Erdzeitalter unwiderruflich zu Ende gegangen. Nach der Günz-, der Mindel- und der Würmzeit kam endlich wärmeres Wetter sowie die stolze und bedeutende Epoche der SPÖ-Zentralsekretäre.

Jeder Babyboomer bewunderte sie im Schwarzweißfernsehen: säuerlich dreinblickende Herren, in Anzügen aus dem Modehaus unseres Missvergnügens. Mochte Hannes Androsch in seinen besten Zeiten 108 Knize-Panieren im Kasten hängen haben, Zentralsekretäre wie Fritz Marsch trugen – dann schon in Farbe – stolz ihr Einheitsgrau. Sie wirkten sauer töpfisch, als hätte Petrus ihnen soeben den 1.-Mai-Aufmarsch verhagelt.

Ihr Los war härter als Voest-Stahl. Bruno Kreisky gewann serienweise Nationalratswahlen und murmelte sonnenköniglich in die Mikrofone. Ging jedoch für die Sozis wieder – wie so oft – eine Landtagswahl schief, dann musste einer der Zentralsekretäre lästige Frager mit Kremldeutsch aus der Löwelstraße abwimmeln. Das verzapfte Kauderwelsch war so nahrhaft und bekömmlich wie Genossenschaftsjoghurt.

Karl Blecha, ein gelernter empirischer Sozialwissenschafter, markierte den langsamen Übergang des Zentralsekretariats in die Moderne. Sein Gesicht verriet Nervosität und Sensibilität. Er wurde ein beliebter Innenminister. Blecha konnte über die "Entfaltung des Einzelnen" sprechen, und es klang nicht peinlich, sondern klug. Irgendwann stolperte er über die Noricum-Affäre. Bei Tarek Leitner saß er jetzt wie ein besonders reger, pflanzenfressender Saurier in der "ZiB 2": Angriffe wehrte er mit reptilischer Anmut ab. Unser Holozän wird arm sein ohne Politiker wie Blecha. (Ronald Pohl, 17.4.2018)