Ab wann ist man eigentlich ein Held? Wenn man mit einer heroischen Tat, gegen alle Vorsicht und Vernunft, das Leben anderer gerettet hat? Nicht unbedingt. Moderne Helden werden nämlich nicht wie ihre antiken Vorfahren als solche geboren, sondern gemacht. Ihre Taten werden nicht besungen, sondern von Kameras und einem Millionenpublikum beobachtet. Und falls ihre Geschichten heldenhaft – also attraktiv – genug sind, dann werden sie selbstverständlich auch verfilmt.

Der Auftritt im Baseballstadion als Stresstest: Jake Gyllenhaal in "Stronger".
Foto: Constantin Film

Als am 15. April 2013 beim Stadtmarathon von Boston eine Bombe explodierte, verlor Jeff Bauman, der im Zielgelände auf seine Freundin wartete, beide Beine. Aus dem jungen Mann, der sich mit Prothesen ins Leben zurückkämpfte, wurde eine Symbolfigur des amerikanischen Widerstands gegen den Terror. Am ersten Jahrestag des Anschlags erschien sein Buch Stronger.

Als am 21. August 2015 im Zug von Amsterdam nach Paris ebenfalls ein islamistischer Attentäter das Feuer auf die Fahrgäste eröffnete, stellten sich ihm drei befreundete Amerikaner, die als Touristen durch Europa reisten, in den Weg. Der Soldat, der Angehörige der Nationalgarde und der Student entwaffneten den Terroristen und schlugen ihn bewusstlos. Vier Monate später erhielten sie aus den Händen von François Hollande den Orden der Ehrenlegion, die ranghöchste Auszeichnung Frankreichs. Am ersten Jahrestag des Anschlags erschien ihr Buch The 15:17 to Paris: The True Story of a Terrorist, a Train and Three American Heroes.

Die ersten Schüsse im Zug nach Paris wecken in ihm die Zivilcourage: Spencer Stone spielt sich in Clint Eastwoods "15:17 to Paris" selbst.
Foto: Warner Bros.

Mit Stronger und 15:17 to Paris kommen nun zwei Filme in die Kinos, die sich dieser modernen Heldengeschichten annehmen – und zwar aus erstaunlich ähnlicher Perspektive: Nicht das Attentat selbst macht diese Männer zu Helden, sondern erst ihr Leben im Davor und im Danach.

Inszeniert vom 43-jährigen David Gordon Green sowie vom 87-jährigen Regieveteranen Clint Eastwood, mithin Vertretern zweier Generationen, erklären beide das Heldentum aus den Biografien ihrer Figuren. Für die Bilder des Terrors bleibt in Stronger und 15:17 to Paris indes kaum Zeit: Green reicht sie spät, in wenigen Einstellungen nach; bei Eastwood bilden sie eine Rahmenhandlung für nur wenige Minuten.

"My son is a fuckig hero", freut sich Baumans trinkfreudige Mutter über die Popularität des Sohnes, den Jake Gyllenhaal ungeschönt als einen Mann zeichnet, der unter der ihm aufgebürdeten Rolle zu zerbrechen droht. Als bei Freunden und Familie vor dem Fernseher Jubel ausbricht, weil einer der Attentäter erschossen wurde, liegt er in einer abgenutzten Badewanne – in der er ausgestreckt Platz findet. Und seinen Auftritt im Baseballstadion der Red Socks vor der jubelnden Menge erlebt er als kaum auszuhaltenden Stresstest.

Zero Media

Green greift dabei auf Bilder zurück, die seit den Heimkehrerdramen über den Vietnamkrieg fest im kollektiven Gedächtnis verankert sind: Bauman ist ein Held wider Willen, der wie der Veteran in Ang Lees Filmdrama Die irre Heldentour des Billy Lynn über einen Heimkehrer aus dem Irakkrieg als nationale Ikone herumgereicht wird. Und der Film weist nicht zufällig Parallelen zu Eastwoods Flags of Our Fathers über die medial ausgebeuteten Helden von Iwo Jima auf.

Entschleunigte Routine

Sowohl Stronger als auch 15:17 to Paris sind alles andere als Antiterrorfilme, und für einen Patriotismus alter Schule ist dort wie da kein Platz. Im Zentrum steht die reine Beobachtung, die bei Green mitunter zur Milieustudie gerät und die bei Eastwood gar in einem Besetzungscoup gipfelt: Das aus Anthony Sadler, Alek Skarlatos und Spencer Stone bestehende Heldentrio spielt sich selbst. Völlig entschleunigt rollt Eastwood die Geschichte ihrer Freundschaft, die gemeinsame Schulzeit und ihre verschiedenen Lebenswege auf. Selbst ein Abstecher nach Afghanistan ist so unspektakulär inszeniert wie das Sightseeing in Europa.

Warner Bros. Pictures

Versteht man Helden besser, wenn man sie auch als Menschen kennenlernt? Wenn man zusieht, wie sie in die Heldenrolle schlüpfen oder sich dagegen zur Wehr setzen? Bei Green und Eastwood funktioniert es auch so: Man lernt den Menschen kennen, indem man ihn auch als Helden wahrnimmt. (Michael Pekler, 19.4.2018)