Bild nicht mehr verfügbar.

Sind alle Finanzminister unfähig – oder korrupt? Mit Brachialmethoden, also dem Abschlagen der Ausgaben, wird die Schuldenverringerung nicht glücken. Das Bild zeigte eine Arbeit des russischen Künstlers Wassili Slonow.

Foto: REUTERS/Ilya Naymushin

Die Boston Consulting Group hat schon 2011 in ihrer Studie "Back to Mesopotamia" festgestellt, dass die Schulden in allen volkswirtschaftlichen Sektoren (Staat, Unternehmen, private Haushalte) zu hoch sind. Daher ist es richtig, dass insbesondere auch die Staatsschulden gesenkt werden sollen. Und daher versprechen auch alle Finanzminister der Welt immer wieder diesen Abbau der Staatsschulden. Doch keiner schafft das nachhaltig und längerfristig. Warum ist das überall so? Sind alle Finanzminister unfähig oder gar so korrupt?

Nein, die Antwort ist eine ganz andere. Um die Staatsschulden abzubauen, genügt es nicht, in den Budgetplänen die Ausgaben zu kürzen. Denn auf die Staatsschulden hat nicht nur das Verhalten des Finanzministers einen Einfluss, sondern auch das Verhalten der Unternehmen, der privaten Haushalte, des Auslands und insbesondere auch das der Gläubiger.

Gleich hohe Summen

Denn die Schulden des Staates (S), der Unternehmen (U), der privaten Haushalte (H) und des Auslandes (A) und die Guthaben der Gläubiger (G) sind über die Bilanzierungsidentität G = S + U + H + A miteinander verknüpft.

Diese Bilanzierungsidentität, dass nämlich die Summe aller Schulden genauso hoch ist wie die Summe aller Guthaben, gilt immer, ohne jede Ausnahme und auf den Euro genau. Das wird jeder Buchhalter bestätigen, denn Schulden (Verbindlichkeiten) und Guthaben (Forderungen oder vereinfacht gesagt "Finanzvermögen, für die man Zinsen bekommt") entstehen immer gleichzeitig und in gleicher Höhe.

Weil dieser Zusammenhang so fundamental ist, könnte man ihn auch "Erster Hauptsatz der Finanzwirtschaft" nennen. Schulden und Guthaben sind nur die zwei Seiten ein und derselben Medaille. Daher ist es für das Verständnis der Schuldenproblematik immer hilfreich, nicht nur die Entwicklung der Schulden, sondern auch die Entwicklung der Guthaben zu betrachten.

Staatsschulden produziert der Staat nicht, nein, er muss sie "ertragen wie Wind und Regen", schrieb schon der langjährige Chef des Wifo, Josef Steindl. Dies sei an einem Beispiel erläutert. Angenommen die Guthaben (G) und die Auslandsschulden (A) bleiben konstant, aber Unternehmen beschließen, weniger zu investieren und damit ihre Unternehmensschulden (U) zu senken – und auch die Haushalte entschließen sich, mehr zu sparen und damit ihre Haushaltsschulden (H) zu senken -, dann müssen die Staatsschulden steigen, denn sonst würde obige Gleichung verletzt werden.

Der Finanzminister kann tun, was er will, ohne Erhöhung der Steuern hat er keine Möglichkeit, das Steigen der Staatsschulden zu verhindern, denn er hat zwar einen direkten Einfluss auf seine Ausgaben, aber ohne Änderung der Steuergesetze keinen direkten Einfluss auf seine Einnahmen. Darin unterscheidet sich der Staat von Unternehmen, die nicht nur einen direkten Einfluss auf ihre Ausgaben, sondern im Gegensatz zum Staat auch einen Einfluss auf ihre Einnahmen haben.

Im anderen Fall, "wenn die Konjunktur brummt", das heißt, dass die Unternehmen, die privaten Haushalte und das Ausland bereit sind, sich mehr zu verschulden, sinken die Staatsschulden automatisch. Im langfristigen Trend haben die Gläubiger offensichtlich Interesse, ihre Guthaben tendenziell zu erhöhen. Wenn sie das nicht wollten, bräuchten sie nur selbst zu investieren, anstatt Kredite zu vergeben. Sie können dieses Interesse auch mithilfe der Zinseinnahmen durchsetzen, weil sie ja niemand zwingen kann, ihre Zinseinnahmen zu verkonsumieren oder zu verinvestieren.

Zurück zur Finanzkrise

Die Möglichkeit, die Guthaben durch eine Besteuerung kontrolliert zu beschränken oder abzubauen, ist bis jetzt immer an den politischen Machtverhältnissen gescheitert. Wenn daher die Guthaben dem Interesse der Gläubiger entsprechend wachsen, werden nach der obigen Gleichung auch die Schulden wachsen. Sie sind ja die andere Seite der Medaille der Guthaben. Wenn aber die Schulden insgesamt wachsen, wird auch der Druck größer, dass auch die Staatsschulden im Speziellen wachsen. Das ist es, was man fast überall beobachten kann.

Solange die Politiker glauben, wenn der Finanzminister nur möglichst rigoros die Ausgaben kürzt, könnte man die Schulden in Summe abbauen und trotzdem die Guthaben durch Steuergeschenke in Summe erhalten, solange sind wir auf dem besten Weg in die nächste Finanzkrise.

Denn wenn die Guthaben nicht kontrolliert über eine Besteuerung in Grenzen gehalten werden, dann werden die insgesamt wachsenden Schulden bei der nächsten Finanzkrise wieder in unkontrollierter Weise auf die Allgemeinheit abgeladen. Wer aus der Geschichte nicht lernt, muss sie wiederholen. (Erhard Glötzl, 19.4.2018)