Eine von vielen Berghütten in der Schweiz: die Monte-Rosa-Hütte mit dem Matterhorn im Hintergrund.

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Zu beiden Seiten fällt der Bergrücken steil in die Tiefe. Vorn ragt der Eiger mit seiner berüchtigten Nordwand in den kalten Himmel. Auf dem Bergrücken, auf 3.355 Meter Höhe, steht ein letztes Bauwerk der Zivilisation: die Mittellegihütte mit 36 Schlafplätzen.

Kurz ist die Saison des kargen Gasthauses in den Schweizer Alpen. Sie dauert von Juli bis September, abhängig vom Wetter. "Das Geschäft mit der Hütte läuft nicht so gut", sagt Fritz Barwand vom Bergführerverein Grindelwald. Der Verein ist der Eigentümer der Hütte. Tagesgäste wagen sich so gut wie nie auf den schwindelerregenden Bergkamm. Nur Kletterer, die weiter auf den Eiger wollen, kommen zur Übernachtung.

Nicht nur die Mittellegihütte muss kämpfen. Die Zukunft vieler helvetischer Berghütten steht langfristig auf dem Spiel – das jedenfalls befürchtet der Schweizer Alpen-Club (SAC). "Wir machen uns ernsthafte Sorgen", sagt Bruno Lüthi, SAC-Bereichsleiter Hüttenbetrieb. "Die tarifrechtlichen Vereinbarungen machen den Hütten zu schaffen." Zudem schlagen andere hohe Kosten zu Buche: von Umweltschutzauflagen über den Transport bis hin zu Modernisierungen.

Ein Sterben der Hüttengastronomie würde auch ein Stück Schweiz zunichtemachen: Seit der Errichtung der ältesten SAC-Hütte auf dem Grünhorn 1863 gehören die mehr als 150 SAC-Herbergen zur alpinen Landschaft. Sie gehören den Sektionen des SAC und bieten hunderttausenden Wanderern Kost und Logis zu erschwinglichen Preisen. So kostet die einfache Übernachtung in der Konkordiahütte am Großen Aletschgletscher 38 Schweizer Franken (31,70 Euro).

Morgens grüßt das Murmeltier

Die Häuser mit dem SAC-Gütesiegel künden von der Gastfreundschaft eines wackeren Bergvolks. "Es war ein unvergessliches Erlebnis", erinnert sich die Französin Sibylle, die auf einer Hütte in der Nähe des Matterhorns weilte. "Morgens begrüßte uns sogar ein Murmeltier." Doch die Schweizer Regierung pocht auf Arbeitnehmerrechte – auch im Hochgebirge. Bern erklärte den Gesamtarbeitsvertrag (GAV) im Schweizer Gastgewerbe für allgemein verbindlich, Kontrolleure überprüfen die Umsetzung des rigiden Regelwerks. Bei Verstößen werden saftige Strafen fällig. Für die Regierung spielt es keine Rolle, ob ein Zimmermädchen die Betten in einer Walliser Berghütte oder in einem Zürcher Luxushotel lüftet.

Unterstützung kommt von den Gewerkschaften: "In Berghütten wird eine ganz gewöhnliche gastgewerbliche Leistung erbracht", sagte ein Funktionär der Unia-Gewerkschaft der Zeitung "Blick". "Da steht es auch den Arbeitnehmern zu, korrekt behandelt und beschäftigt zu werden."

Mitte Juni wird aufgesperrt

Der Schweizer Alpen-Club und seine Hüttenwarte geben Kontra. Hans Hostettler von der Blüemlisalphütte bei Kandersteg ärgert sich vor allem über die offizielle Arbeitszeitregelung: Auf fünf Arbeitstage müssen zwei freie folgen. "Das lässt sich hier oben nicht machen." Hostettlers Mitarbeiter brauchen bis zu vier Stunden, um zu ihrem Arbeitsplatz auf 2.840 Metern aufzusteigen. Zwei Tage Ruhe im Tal lohnen sich da kaum.

Die Vorbereitungen auf die Saison laufen bei Hostettler auf Hochtouren. Mitte Juni wird er aufsperren. "Wer bei uns arbeiten will, muss wissen, dass es hart werden kann", warnt Hostettler. Oft heuern Studenten an, ebenso kommen Abenteurer oder Menschen, die einfach eine andere Welt erleben wollen. Selbst ein Rechtsanwalt arbeitete bei Hostettler.

45 Wochenstunden statt 60 bis 70

In den meisten Hütten beginnt die Arbeit zwischen fünf und sechs Uhr morgens, Feierabend ist selten vor 22.30 Uhr. Kochen, Eindecken, Servieren, Putzen, Waschen, Bügeln, Reparaturen, Ein- und Auschecken der Gäste, und immer wieder müssen Mitarbeiter für Besorgungen runter ins Tal. Kein Wunder, dass die tariflichen Vorgaben bei den Berglern heftiges Kopfschütteln auslösen. Danach darf im Gastgewerbe nur 42 bis 45 Stunden pro Woche gearbeitet werden. "Das ist völlig illusorisch", sagt ein früherer Hüttenangestellter. "Zu Spitzenzeiten musste ich 60 bis 70 Stunden ran."

Und der tarifliche Mindestlohn im Gastgewerbe, in der untersten Klasse liegt dieser bei rund 3.450 Franken im Monat, sorgt in den Bergen ebenso für Irritationen. "Besonders die kleinen Hütten haben Probleme, den Mindestlohn zu zahlen", erklärt Bruno Lüthi vom Alpen-Club. "Wenn die Bestimmungen des Gesamtarbeitsvertrags eins zu eins eingehalten werden sollen, können diese Hütten nicht mehr rentabel wirtschaften." (Jan Dirk Herbermann aus Genf, 20.4.2018)