Marina Petrillo, italienische Journalistin und Autorin, bei der Präsentation der Studien in Perugia über das Meinungsklima zu Migration.

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Perugia/Wien – Auf dem Journalismusfestival in Perugia präsentierten die Initiativen "Social Change Initiative" und "More in Common" erstmals neue Daten. Sie beschreiben das öffentliche Meinungsklima zum Thema Migration und zeigen: Es existiert eine heterogene, besorgte Mitte, die von Medien kaum erreicht wird.

"Migration ist kein neutraler Begriff – und die Konnotationen sind viel nuancierter und weniger polarisierend, als wir denken oder in Medienberichten hören", sagt Annmarie Benedict von der "Social Change Initiative" beim International Journalism Festival in Perugia. Die Mehrheit der medialen Berichterstattung über Migration konzentriere sich auf das linke und rechte Ende des Meinungsspektrums, sagt Benedict. Die Mitte der Bevölkerung werde nicht bedient, ihre Bedenken und offenen Fragen blieben unbeantwortet. Damit stellt sich für Journalisten die Frage: Wie erreichen sie diese breite Mitte?

Alle Facetten der öffentlichen Meinung

Ein transnationales Forschungsprojekt will darum mehr über die Einstellungen verschiedener Bevölkerungsgruppen herausfinden. In der Podiumsdiskussion "Public Opinion and the Immigration Crisis", moderiert von der italienischen Journalistin und Autorin Marina Petrillo, wurden erstmals Ergebnisse der Untersuchungen in Italien präsentiert.

"Ziel war es, ein Abbild aller Facetten der öffentlichen Meinung in verschiedenen Ländern zu schaffen", sagt Petrillo. "Und herauszufinden, wie man Ängste in der öffentlichen Diskussion ansprechen kann." Das Forschungsprojekt wurde von der Initiative "More in Common", gemeinsam mit der "Social Change Initiative" in Auftrag gegeben. Beide Initiativen wollen offenere, inklusive Gesellschaften errichten und die Vernetzung von Aktivisten fördern. Das international tätige Markt- und Meinungsforschungsinstitut Ipsos führte das Forschungsprojekt durch.

Daten aus sieben europäischen Ländern

In Befragungen und Fokusgruppen erhoben die Forscher Daten in Frankreich, Deutschland, Italien, Griechenland, Niederlande und Irland. "Für Österreich haben wir noch keine Daten, dafür fehlen uns derzeit leider die Mittel", sagt Annmarie Benedict im Interview. Sie glaubt aber nicht, dass man österreichische Daten schlicht mit deutschen vergleichen könne. "Auch wenn wir denken, Länder hätten ähnliche Hintergründe, merken wir, sobald wir mit den Leuten reden, dass es in den Communities spezifische Unterschiede gibt."

Die Ergebnisse der bisherigen Untersuchungen zeigen einerseits, dass extreme Einstellungen gegenüber Migranten immer weiter auseinanderdriften. Die Forscher ordneten 17 Prozent der Deutschen in die Gruppe der "radikalen Gegner" ein, 22 Prozent von ihnen wurden als "liberale Weltbürger" kategorisiert. In Italien stehen an den Enden des Spektrums zwölf Prozent der "italienischen Kosmopoliten" sieben Prozent der "feindlich gesinnten Nationalisten" gegenüber.

"Diese Menschen haben oft Angst, empfinden Migranten als Invasoren", sagt Chiara Ferrari, die Koordinatorin des Markt- und Meinungsforschungsinstituts Ipsos. Mitschuld daran hätten auch die Medien, sagt sie: "Allein die gezeigten Bilder vermitteln Gefühle. Es macht einen Unterschied, ob Migranten auf Fotos alleine oder ausschließlich in großen Gruppen abgebildet werden."

Diffuse Ängste der breiten Mitte

Andererseits belegen die Daten, dass der weitaus größere Teil der Befragten in einer breiten, heterogenen Mitte angesiedelt ist. Über die Hälfte der Menschen sind in ihrer Meinung hin- und hergerissen. In dieser Gruppe treffen diffuse Ängste auf Offenheit und Neugierde, die Einstellungen gegenüber Migranten sind oft noch nicht gefestigt.

Eben diese moderate, unstete Mitte würde mit ihren Fragen alleine gelassen. Um Populisten zuvorzukommen, müssten Journalisten sie erreichen, so der Tenor der Diskutanten. "Nur wie wir sie erreichen, das wissen wir noch nicht", sagt Petrillo – selbst am Forschungsprojekt beteiligt – am Rande des Festivals: "Das müssen wir im nächsten Analyseschritt erst herausfinden." (Gabriele Scherndl, Alexander Polt, 22.4.2018)

International Journalism Festival