"Wir sind die Mehrheit!", riefen die Demonstranten in Budapest.

Foto: APA/AFP/ATTILA KISBENEDEK

Mehr als 50.000 Menschen sind am Wochenende in Budapest erneut auf die Straße gegangen, um gegen die vor zwei Wochen wiedergewählte Regierung von Viktor Orbán zu demonstrieren. Die Menge rief "Wir sind die Mehrheit!" und "Demokratie!". Aufgerufen hatten zivile Akteure ohne Parteibindung. Bereits am Samstag zuvor hatten an die 100.000 Regierungsgegner demonstriert. Damals waren mögliche – später nicht bestätigte – Wahlmanipulationen der von Orbán kontrollierten Wahlkommission und die Forderung nach Neuwahlen im Mittelpunkt der Proteste gestanden. Bei der Kundgebung am vergangenen Samstag war davon keine Rede mehr.

Man warf den Blick nach vorn – auf die befürchteten weiteren Repressionen, die mit der errungenen parlamentarischen Zweidrittelmehrheit für Orbáns Fidesz drohen könnten. "Wir werden die zivilen Akteure verteidigen", rief Balázs Gulyás, einer der Organisatoren der Kundgebung, in die Menge. "Wenn es so weit ist, werdet ihr dann auch hier sein?"

Abschlussredner war Péter Márki-Zay, der im Februar als parteiloser Konservativer überraschend die Bürgermeisterwahl in Hódmezövásárhely gegen den Fidesz-Kandidaten gewonnen hatte. Er machte die Opposition für Orbáns Wahlsieg verantwortlich. Ihre Kleinlichkeit und Unfähigkeit hätten den Zusammenschluss verhindert, mit dem Orbán aufzuhalten gewesen wäre. "Das ungarische Volk hat die Opposition abgewählt. Ihr seid die neue Opposition!", rief Márki-Zay.

"Stop-Soros-Gesetzespaket"

Der nächste Protest ist für den 8. Mai geplant, wenn sich das neue Parlament konstituiert. Nach Orbáns Ankündigungen wird dieses zügig das "Stop-Soros-Gesetzespaket" durchwinken. Die Vorlage enthält neue Repressionen für Zivilorganisationen. Orbán hatte seinen Wahlkampf auf der mit antisemitischen Tönen untermalten Dämonisierung des US-Milliardärs George Soros aufgebaut. Dieser unterstützt weltweit, so auch in Ungarn, zivile Akteure, die sich für Menschenrechte und Demokratie einsetzen. Vergangene Woche wurde bekannt, dass die Open-Society-Stiftung von Soros ihr Budapester Büro nach Berlin verlegt. Die Stiftung betonte aber, Projekte und Initiativen in Ungarn unverändert zu unterstützen.

Orbán unterstellt Soros, er würde die "Masseneinwanderung" nach Europa steuern, um die Völker des Kontinents ihrer "christlichen und nationalen Identität" zu berauben. Für diese Behauptung gibt es keine Beweise. Doch mit Johann Gudenus (FPÖ) schloss sich nun erstmals ein bekannte- rer österreichischer Politiker dieser Verschwörungstheorie an. Im Interview mit der "Presse" bezeichnete er Soros als "möglichen Akteur" der Flüchtlingskrise von 2015. Dafür sprächen "stichhaltige Gerüchte".

Unterstützung von Strache und Vilimsky

Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky stellten sich hinter Gudenus. Auch der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu äußere "berechtigte Kritik" an Soros, sagte Strache der Zeitung "Österreich". Der aus Ungarn stammende Holocaust-Überlebende unterstützt auch Zivilorganisationen, die das Vorgehen Israels in den besetzten Gebieten kritisieren, was Netanjahu missfällt.

SPÖ-Chef Christian Kern erklärte, Gudenus habe mit seinen Äußerungen eine "rote Linie" überschritten. "Hetze und Verschwörungsrhetorik" brauche es "ganz sicher nicht", um die Herausforderungen der Migration zu bewältigen. Die Neos-Wien-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger zeigte sich "fassungslos". Mit dem Aufspringen auf eine antisemitische Diktion habe Gudenus "das Spiel mit der Angst ganz bewusst noch weiter befeuert". (Gregor Mayer aus Budapest, 22.4.2018)