Korneuburg – Herr L. ist 22 Jahre alt, besachwaltet und Frühpensionist. Was etwas überrascht, denn der bullige Unbescholtene kann dem Schöffenprozess im Landesgericht Korneuburg gegen sich durchaus folgen und sinnvolle Antworten auf die Fragen des Vorsitzenden Franz Furtner geben. Sinnvoll, wenn man L.s Verantwortung folgt: Er leugnet nämlich, im Juli 2017 seine damals vier Monate alte Tochter beim Baden schwer sexuell missbraucht zu haben.

"Ich war's nicht, muss ich ehrlich sagen", bekennt er sich nicht schuldig. Die zuvor von Staatsanwältin Gudrun Bischof präsentierte Anklage ist ungewöhnlich: L. soll die Tat nicht aus sexuellen Motiven begangen haben, sondern "aus Langeweile oder Jux".

Bekannter im Badezimmer

Was ist laut Bischof im vergangenen Sommer in der kleinen Gemeinde im Bezirk Gänserndorf geschehen? Der Angeklagte, seine Lebensgefährtin und der Säugling waren daheim, Marcel B. wie so oft zu Besuch. L. habe beschlossen, das Kind zu baden, als der Bekannte ins Badezimmer kam, habe L. noch gesagt "Schau amoi, wos i moch" und dann das Kind mit dem kleinen Finger penetriert.

Verteidiger Reinhard Lachinger versucht zu kontern: Ein erfahrener Korneuburger Richter habe seinen Mandanten nach drei Tagen aus der Untersuchungshaft entlassen, außerdem könnte der Kronzeuge ein persönliches Motiv für eine Verleumdung haben – er sei möglicherweise in die Kindesmutter verliebt gewesen, mutmaßt der Verteidiger.

Der Angeklagte beteuert, sein Freund K. sei nie dabei gewesen, wenn er seine Tochter gebadet habe. Außerdem habe er das überhaupt nie alleine gemacht: "Entweder hat es meine Lebensgefährtin gemacht, oder sie ist daneben gestanden", erzählt er dem Senat. "Warum ist sie dabeigestanden?", wundert sich der Vorsitzende. "Weil ich Angst hatte, dass so etwas wie jetzt herauskommt", lautet die Antwort. "Aber das ist ja lebensfremd! Wenn sie dabeisteht, kann sie es ja gleich selbst machen", grollt Furtner. "Das ist durchaus üblich, ich spreche mich gegen eine Vorverurteilung aus", wirft der Verteidiger ein.

Protest der Staatsanwältin

Kurz darauf ist es an der Staatsanwältin, Protest gegen den Vorsitzenden einzulegen. Der will von L. nämlich wissen, ob es nicht so sein könnte, wie er es bei der Polizei ausgesagt habe – dass so ein Vorfall vielleicht einmal unabsichtlich beim Wickeln passiert sei. "Das wäre dann eine Fahrlässigkeit und nicht strafbar", belehrt Furtner den Angeklagten. Und versucht ihn wenig subtil dazu zu bringen, die Aussage zu bestätigen, gönnt L. sogar eine Verhandlungspause, damit er sich mit Lachinger beraten kann. "Ich spreche mich dezidiert dagegen aus, dem Angeklagten eine Antwort auf dem Servierteller zu präsentieren", protestiert Bischof.

L. ändert seine Aussage aber nicht. "Ich bleibe bei meiner Meinung, dass ich sie nur oben gebadet habe und nie unten", verkündet der Angeklagte nach seiner Rückkehr. Den Vorfall mit dem Freund habe es nie gegeben.

Seine Ex-Partnerin sagt, sie habe nichts mitbekommen und von dem Vorwurf erst erfahren, als im August das Jugendamt vor der Tür stand. Allerdings sagt sie im Gegensatz zum Angeklagten, dieser habe zuvor das Kind manchmal sehr wohl alleine gebadet. Marcel K. sei ab Juli nicht mehr auf Besuch gekommen, an dessen Interesse an ihr glaubt sie aber nicht. "Er hat nur Andeutungen gemacht, dass L. nicht gut für mich ist. Aber da war er nicht der Einzige", erinnert sie sich, die mittlerweile mit dem Bruder des Angeklagten liiert ist.

Handyvideo mit Badeszene

Sie spielt auch ein kurzes Video auf ihrem Handy ab, auf dem zu hören ist, wie der Säugling beim Baden brüllt. "Das war ab August so, vorher nie", sagt sie. "Trauen Sie es ihm zu?", will die Staatsanwältin von der Zeugin über den Angeklagten wissen. "Mittlerweile ja. Aber ich hoffe es nicht."

Die Hoffnung wird durch den Auftritt von Marcel K. ziemlich zerstört. Der junge Mann sagt stringent und glaubwürdig aus. Wie er ins Badezimmer ging, um L. besser zu verstehen. Wie L. die Tat beging und dabei lachte. Wie er L.s Hand wegschlug und dieser versprach, "das eh nie wieder zu machen", und K. bat, niemandem davon zu erzählen. "Ich wollte keinen Streit provozieren", erklärt K., warum er die Kindesmutter nicht gewarnt hat.

Untätig blieb er aber nicht: Nach einem Gespräch mit einer Bekannten verständigten die beiden das Jugendamt, als er es seiner Familie erzählte, ging seine Schwester mit ihm zur Polizei und erstattete Anzeige. "Super, dass Sie das angezeigt haben, das machen nicht viele", lobt ihn die Staatsanwältin dafür.

Glaubwürdiger Hauptbelastungszeuge

Nach kurzer Beratung verkündet das Gericht das Urteil: L. erhält wegen schweren sexuellen Missbrauch von Unmündigen und Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses 18 Monate Haft, ein halbes Jahr davon unbedingt. Zeuge K. sei "überaus glaubwürdig gewesen", begründet Furtner, die Aussage des Angeklagten dagegen widersprüchlich. Allerdings glaubt der Vorsitzende nicht an eine geplante Tat: "Der Angeklagte wollte nur gegenüber seinem Freund angeben", vermutet er. (Michael Möseneder, 23.4.2018)