Der Schulhof, mitunter ein gefährliches Pflaster? Mag sein. Der springende Punkt ist: Unterstützt man Lehrer ordentlich, lassen sich auch sozial benachteiligte Schulstandorte in den Griff bekommen.

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Ich verlasse meine Wohnung, gehe zwei Blocks die Straßen hinunter, und schon bin ich mitten in Harlem, dem Zentrum afroamerikanischer Kultur im Norden Manhattans. Ein paar Schritte weiter, und ich komme an einer Schule vorbei. Ich sehe die Kinder im Pausenhof spielen. Es sind ausschließlich afroamerikanische Kinder und Hispanics (Kinder lateinamerikanischer Migranten), größtenteils aus einkommensschwachen Familien. Ein sozial belasteter Schulstandort also, so wie es sie auch in Favoriten, Simmering und Floridsdorf gibt.

Die Probleme der Schülerinnen und Schüler hier erinnern mich an meine Zeit als Lehrkraft an einer Neuen Mittelschule (NMS) im Wiener Gemeindebezirk Floridsdorf: wenig Unterstützung von Zuhause, mangelnde Sprachkompetenz in der Unterrichtssprache. Und an die Rolle der Lehrer als Pädagogen und Sozialarbeiter in Personalunion.

Doch nach knapp einem Jahr am Teachers College der Columbia University fällt mir auf, dass der Zugang hier in New York ein anderer ist als bei uns: Viele meiner Studienkollegen unterrichten neben dem Studium an solchen "low-income schools". Was ich in Gesprächen oft höre, erinnert mich an Präsident John F. Kennedys berühmte Rede zur Mondmission: "We are not doing it because it's easy, we're doing it because it's hard."

Gute Zahlen

Dieser Spirit scheint Wirkung zu zeigen: 2017 schafften 73,5 Prozent aller Schülerinnen und Schüler in Harlems öffentlichen Schulen ihren Highschool-Abschluss, 2013 waren es noch 70,9 Prozent. Dies ist umso beachtlicher in Anbetracht der wachsenden Konkurrenz durch quasiprivate Charter Schools und der noch immer konzentrierten Armut in Harlem (75,1 Prozent der Schüler gelten dort als armutsgefährdet).

Für diese schrittweisen Verbesserungen ist aber nicht die amerikanische "Can do"-Einstellung alleine verantwortlich. Es ist auch eine Frage von Ressourcen. Lehrkräfte bekommen viel Unterstützung, insbesondere in ihren ersten Unterrichtsjahren: Jedem Junglehrer an einer öffentlichen Schule in New York City wird im ersten Jahr ein Mentor zugeteilt, zur Unterstützung bei Stundenplanungen, um Feedback zu geben, und als emotionale Stütze. Es gibt regelmäßige Weiterbildungen (zu Themen wie Klassenführung oder gezielter Sprachförderung) sowie digitale Ressourcen, alles zugeschnitten auf die Bedürfnisse von "new teachers".

Hiervon profitieren insbesondere sozial belastete Schulstandorte. Eine derart gezielte und breit aufgestellte Unterstützung für Junglehrerinnen und Junglehrer an städtischen Neuen Mittelschulen fehlt in Österreich.

Volle Verantwortung

Mit Teach For Austria habe ich selbst drei Jahre an einer Wiener NMS unterrichtet – als Quereinsteiger mit voller Lehrverpflichtung. Nicht nur ich habe Fächer unterrichtet, die ich nicht studiert habe – im Gegensatz zum Gymnasium ist es an der NMS Usus, dass Lehrerinnen und Lehrer Fächer übernehmen, die sie nicht studiert haben.

Die Herausforderungen für Junglehrer, besonders im ersten Dienstjahr, sind aber ganz andere: Ab dem ersten Tag haben sie volle Verantwortung für ihre Klassen, Stress, mangelnde Wertschätzung, Konflikte mit Schülern und Eltern sowie das Gefühl, alleine dazustehen, rauben einem schnell die anfängliche Begeisterung und führen manchmal zu einem Schulwechsel oder völligen Ausstieg aus dem Lehrberuf.

Viele Junglehrerinnen und Junglehrer halten es aber wie die amerikanischen Kollegen mit US-Präsident Kennedy: Sie bleiben dran, unterrichten mit Engagement und spüren die Verantwortung ihren Schülerinnen und Schülern gegenüber, besonders bei Kindern aus schwierigen Verhältnissen. Sie versuchen ihre Schüler bestmöglich zu unterstützen. Genau deshalb haben sie selbst die bestmögliche Unterstützung verdient.

Neues Lehramtsstudium

Das Lehramtsstudium neu bringt ab Beginn des Schuljahres 2019/2020 eine einjährige Induktionsphase für alle Junglehrerinnen und Junglehrer – Neue Mittelschulen inklusive. Geplant sind Mentoring, das Hospitieren anderer Lehrpersonen sowie der Besuch diverser Lehrveranstaltungen. Diese Maßnahmen sind richtig und wichtig. Gerade an sozial belasteten Standorten braucht es aber noch mehr: Die Junglehrerinnen und Junglehrer sollten selbst regelmäßig, am besten wöchentlich, hospitiert werden, um Feedback zu bekommen und ihren Unterricht laufend zu verbessern. Sie sollten die Möglichkeit zu gemeinsamen Stundenplanungen mit erfahrenen Lehrpersonen haben und regelmäßig auf ihre eigenen Bedürfnisse zugeschnittene Weiterbildungen besuchen können.

Warum nicht Favoriten?

Darüber hinaus wäre regelmäßige Supervision eine wichtige emotionale Unterstützung für Junglehrerinnen und Junglehrer, besonders in den schwierigen Anfangsmonaten. In Harlem ist das jetzt schon möglich. Warum nicht auch in Favoriten? (Gregor Kainz, 23.4.2018)