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Ein Stahlwerk, ausgerechnet. Der Spatenstich für das Edelstahlwerk, das das Boehler-Werk im steirischen Kapfenberg ersetzen wird, ist mehr als nur der übliche symbolische Akt. Auch wenn man die von Politik und Unternehmen in Gang gesetzte PR-Maschinerie herausrechnet. Neue Anlagen dieser Sorte entstehen in Amerika, in Osteuropa, in Asien – nicht in Österreich. So dachte man lange. Auch in Teilen der Politik. Den Bürgern liegt ein Industriebetrieb vor allem dann am Herzen, wenn es der eigene Brötchengeber ist.

Am Dienstag war der Spatenstich des ersten Edelstahlwerks seit Jahrzehnten. Das Werk soll das modernste weltweit werden. Der Standort Kapfenberg wurde vor allem wegen der Mitarbeiter gewählt.
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Zu schmutzig in klimatechnischer Hinsicht, zu energieintensiv, zu wenig sexy, alte Industrie eben, etwas, auf das man doch gern verzichten kann. So in etwa kann man die zuweilen bis zur Industriefeindlichkeit auf die Spitze getriebene Gemütslage zusammenfassen. Doch wie gesagt. Heute Dienstag eben der Spatenstich. Für ein Stahlwerk. Das erste seit 40 Jahren in Europa, wie Voestalpine-Chef Wolfgang Eder im Herbst erklärte, als er die Entscheidung des Aufsichtsrats für den Standort Österreich bekanntgab. Zwei Jahre hat man nachgedacht. China stand ebenfalls zur Debatte. Bis zu 350 Millionen Euro werden nun in der Steiermark investiert. 2019 soll das Werk eröffnet werden.

Umfeld sticht

Die Gründe für Eder – stets ein prononcierter Kritiker der heimischen Politik – sind neben dem vorläufigen Aus für eine Trennung der Strompreiszone: "Das hervorragende Forschungsumfeld im Bereich der Metallurgie, die Technischen Universitäten in Graz und Wien, die Fachhochschulen und die vorhandene Infrastruktur." Was er noch als Pluspunkt nennt: "Die hochqualifizierte und motivierte Mannschaft, ihr profundes Wissen und ihre Einsatzbereitschaft." All das würde letztlich stärker ins Gewicht fallen als alle kritischen Aspekte.

Geht es nach den Industriekapitänen, gibt es an Kritikpunkten mehr als genug: zu hohe Arbeitskosten, zu viel Bürokratie, zu wenige Fachkräfte. Doch aller Unkenrufe zum Trotz: Die Industrie steht solid da, Österreich ist ein international wettbewerbsfähiger Industriestandort mit 437.000 Beschäftigten. Im Gegensatz zu vielen Ländern Europas hat sich der Industrieanteil an der Wertschöpfung auch über die Krise hinweg gut gehalten. 2017 gab es – nach einer Delle in den vier Jahren davor – ein deutliches Produktionswachstum von nominell 8,9 Prozent. Zu den Gewinnern gehörten die Stahl- und Mineralölindustrie, Bau, Gas- und Wärmeproduzenten. Maschinen, elektrische Geräte, Traktoren, Kraftfahrzeuge, pharmazeutische Erzeugnisse werden für den Weltmarkt produziert, gut ein Drittel geht nach Deutschland (gefolgt von den USA mit 6,7, Italien mit 6,4 und Schweiz mit 5,5 Prozent).

Flug der Gänse in der Kernzone

Im Vorjahr ist der Anteil der Industrie an der Gesamtwirtschaftsleistung dank florierender Weltkonjunktur noch gestiegen – auf 28,4 Prozent. In Österreich liegt er damit wie in Deutschland deutlich über dem EU-Schnitt von rund einem Fünftel. In den meisten Ländern Westeuropas ging die Bedeutung der Industrie in den vergangenen 20 Jahren teilweise stark zurück. In Frankreich liegt er etwa bei rund zehn Prozent. Warum Österreich von diesem Strukturwandel weitgehend verschont blieb, erklärt der Ökonom Roman Stöllinger auch mit dem Umstand, dass Österreich zu Europas industrieller Kernzone zählt.

Neben Deutschland rechnet er die Visegrád-Staaten (Tschechien, Ungarn, Slowakei, Polen) dazu. Gefertigt werde bei den Nachbarn, geforscht und entwickelt in Deutschland und Österreich. Österreich habe zu Deutschland aufgeschlossen – beide bilden in diesem "Flug der Gänse" die Technologieführer. So schnell werde sich das nicht ändern, glaubt Stöllinger. Denn zu den genannten Vorteilen käme ein ausgefeiltes Förder- und Unterstützungssystem. Alles in allem ein Standortvorteil, dessen Genese länger andauere, als man meinen könnte. Ob die Digitalisierung daran etwas ändern wird, ist noch offen. (Regina Bruckner, 24.4.2018)