2016 ging der Friedensvertrag zwischen Kolumbiens Regierung und der Farc-Guerilla durch den Kongress. Im Land gibt es aber unterschiedliche Vorstellungen davon, was Frieden bedeuten soll.

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Der 30. November 2016 war ein historischer Tag für Kolumbien. Ein Friedensvertrag zwischen der Regierung und der Farc-Guerilla beendete einen 52-jährigen Konflikt. Der Weg zum offiziellen Friedensschluss war lang und von Rückschlägen gepflastert. Seit den 1990er-Jahren gab es Friedensbemühungen. Immer wieder scheiterten die Anläufe. Immer wieder kam es zu Gewaltausbrüchen, Massakern und Zeiten, in denen der Krieg als die einzige Lösung erschien.

2012 wendete sich das Blatt. Ein vierjähriger Friedensprozess führte im September 2016 zu einem ersten Vertrag zwischen Regierung und Farc. Es sollte ein Frieden sein, der nicht nur auf dem Papier steht, sondern der von der Bevölkerung mitgetragen wird. Also wurde ein Referendum abgehalten. Das Volk lehnte ab, mit knapp über 50 Prozent der Stimmen. Ein nachgebesserter Vertrag wurde – nun ohne Volksbefragung – durch den Kongress angenommen.

"Es gibt einen Frieden, den man unterschreiben kann. Aber das ist nicht der gleiche Frieden, den man jeden Tag erlebt", sagt Josefina Echavarría vom Arbeitsbereich Frieden und Konfliktstudien der Universität Innsbruck. Auf ihrem Herkunftsland Kolumbien, wo sie in eine Reihe von Projekten involviert ist und den Friedensprozess begleitet, liegt ein besonderer Fokus der Friedensforscherin.

Echavarría unterscheidet den normativen Frieden der Verträge von einem "beziehungshaften" Frieden, der die tatsächlichen Beziehungen der Menschen betrifft. Auch in Kolumbien zeigt sich wie in vielen anderen Konflikten, dass nach der Vertragsunterzeichnung erst ein weiterer mühsamer Prozess beginnt: Frieden muss von den Menschen gestiftet werden.

Negative Emotionen

Der Krieg hat Angst, Trauer, Zorn und Rachegefühle zurückgelassen. Diese Emotionen festigen eine ablehnende Haltung gegenüber einem Friedensvertrag. "Viele Menschen rationalisieren ihre negativen Gefühle und sehen die Sicherheit des Volkes in Gefahr. Doch fehlen die Diskurse zum Frieden als positivem Wert", kritisiert Echavarría. "Es gibt Angst vor der Zukunft, aber keinen Diskurs über Hoffnung, keinen, der die Menschen für den Frieden begeistert."

Schon bei der Volksbefragung hatte sich gezeigt, dass die Kommunikation über die Ausrichtung des Friedensvertrags manipulationsanfällig ist. "Es gab eine große Polarisierung", sagt Echavarría. "Gegner haben das Referendum so dargestellt, dass eine Stimme für den Friedensvertrag eine Stimme für die Regierung – und deren Korruptionsskandale – sei."

Noch tieferliegend sei ein fundamentales Missverständnis über die Art des Friedens selbst. "Es herrscht ein klarer Widerspruch zwischen zwei Friedensvorstellungen, die gegeneinander antreten", sagt Echavarría. Vertragsverhandler und Opferorganisationen einerseits sehen Frieden als eine Herstellung von Gerechtigkeit. Andererseits sagen viele, die abgelehnt haben, dass Gerechtigkeit niemals so wichtig sei wie Sicherheit. Nach dem Motto: Wir wollen einen Frieden, der aus Sicherheit geboren wird, nicht umgekehrt.

"In den politischen Debatten wird aber vergessen, dass es in Kolumbien mit seinem großen indigenen Bevölkerungsanteil auch eine Friedensvorstellung als harmonisches Nebeneinander gibt, bei der es immer um das konkrete Hier und Jetzt, um respektvollen Austausch geht", betont die Friedensforscherin.

Frieden kann man den Menschen nicht aufoktroyieren. Er kann nicht von außen kommen. Man kann aber Rahmenbedingungen setzen, die ihn befördern, ihn "hervorlocken". Damit beschäftigt sich etwa die Methode der Elizitiven Konflikttransformation, die auch in Innsbruck Forschungsthema ist. Neben einer normativen Ebene geht es dabei auch um eine persönliche, eine kulturelle und eine strukturelle Transformation.

Beweggründe für den Konflikt

Wie müssen persönliche Kontakte gestaltet werden, sodass der andere akzeptiert werden kann? Wie ist ein Konflikt in einer Kultur verankert und wie können etwa Bildung und Erziehung diese Verankerung transformieren? Welche ökonomischen Abhängigkeiten liegen dem Konflikt zugrunde und wie kann für ein gutes Leben gesorgt werden? "Unter der Oberfläche eines Konflikts liegen viele Beweggründe, viele Schichtungen. Lösungen dürfen ebenfalls nicht an der Oberfläche verharren", resümiert Echavarría.

Der Krieg in Kolumbien sah viele Akteure. Neben der Farc und dem Militär spielten weitere linke Guerillagruppen, rechte Paramilitärs, die USA und benachbarte Staaten, große und kleine Drogenorganisationen eine Rolle. In Zuge der Friedensbemühungen wurden 7000 Farc-Guerilleras demobilisiert und entwaffnet. Eine kleine Gruppe ist zu anderen Rebellen wie der ELN gewechselt.

Seit der Unterzeichnung des Vertrags wurden jedoch über 200 Menschen, die sich für den Frieden eingesetzt haben, ermordet. Die Mordserie lässt Erinnerungen an ein Trauma ähnlichen Zuschnitts erwachen: Anfang der 1990er wurde die Guerillagruppe M19 demobilisiert. Mehr als 3000 der früheren Kämpfer wurden ermordet. Man sprach von einem "politischen Genozid".

"Internationale Beispiele zeigen, dass die ersten fünf Jahre nach einem Friedensschluss besonders wichtig sind", sagt Echavarría. "Oft sind Friedensverträge nur der Beginn eines neuen Krieges. Ist die Implementierung erfolgreich, steigen die Chancen auf nachhaltigen Frieden." (Alois Pumhösel, 28.4.2018)