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"Möchtest du auch ein Märtyrer werden?", fragte Tayyip Erdoğan vergangenen Februar ein kleines Mädchen.

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Uniformen für Dreijährige mit einer roten türkischen Fahne und der Aufschrift "Çanakkale/Gallipoli ist unpassierbar" gibt es an besser sortierten Trafiken am Bosporus. Beim sonntäglichen Spaziergang lässt so mancher türkischer Vater ein paar Lira springen, um dem Sohn erste Unterweisungen im Patriotismus zu geben. Çanakkale, die Stadt an den Dardanellen, wo die türkische Armee in einer verlustreichen Schlacht die Alliierten im Ersten Weltkrieg zurückschlug, ist bis heute die mentale Burg vieler Türken: Eine Nation trotzt den ewig lauernden ausländischen Mächten. Das kann man nicht früh genug lernen.

Çanakkale ist überall. In der Politik bei den Kemalisten wie bei islamischen Nationalisten. Im Kino als monatelanger Kassenschlager, in Klassenzimmern als sorgfältig mit Papier und Schere nachgebasteltes Schlachtfeld und natürlich in Kindergärten bei Atib in Wien oder landauf, landab in der Türkei – wie jetzt erst am Montag dieser Woche, dem Feiertag des Kindes und des Parlaments.

Unwohlsein über den Militarismus von Kindesbeinen an regt sich in der türkischen Gesellschaft allerdings längst schon. Nicht nur in westlich orientierten Schichten in Istanbul, sondern auch in der anatolischen Provinz. Auf eine Darbietung der Schlacht von Çanakkale und – ein Neuzugang im Repertoire der Patrioten – des Widerstands gegen die Putschisten des 15. Juli 2016 verzichtete deshalb die Leitung des Sükrü-Malaz-Kindergartens in Kayseri dieses Jahr. Dafür wurde nur harmlos in Folklorekostümen getanzt.

Schädlich für die Psyche

Im Vorjahr soll im Publikum und bei Vertretern der Provinzverwaltung Kritik laut geworden sein, weil Kindergartenkinder mit Waffen in der Hand auf die Bühne geschickt wurden und auch Tote spielen mussten. Schädlich für die Psyche, so hieß es: Ein Kind in diesem Alter kann noch nicht Sterben und Tod begreifen. Es könnte falsche Zusammenhänge herstellen.

Staatschef Tayyip Erdoğan ficht das nicht an. "Möchtest du auch ein Märtyrer werden?", fragte er vergangenen Februar bei einem Parteitag ein kleines Mädchen, das er auf die Bühne holen ließ, weil es eine Militäruniform trug. Als das Mädchen zu weinen begann, hatte Erdoğan einen gruselig anmutenden Trost parat: "Soldaten weinen nicht. Wenn du im Kampf stirbst, werden wir dich mit einer Fahne bedecken."

Bei den Nachbarn ist es im Grunde nicht sehr viel anders: Auch in griechischen Kindergärten wird Militärgeschichte nachgestellt: Am Nationalfeiertag des 25. März wird des Beginns des Unabhängigkeitskrieges gegen die Osmanen gedacht; am Ochi-Tag, dem Tag des Neins am 28. Oktober, der Weigerung des griechischen Diktators Ioannis Metaxas, ein Ultimatum des italienischen Diktators Benito Mussolini anzunehmen und die Besetzung von griechischem Boden zuzulassen.

Die Heldentaten spielen kleine Griechen unter Anleitung bis heute nach: Die Buben mit Holzgewehren in den Händen, die Mädchen als Krankenschwestern verkleidet, die Verwundete pflegen. (Markus Bernath, 24.4.2018)