"Man muss an den eigenen Vorurteilen bei der Berichterstattung arbeiten und diese wahrnehmen. Ich habe allerdings kein Problem mit einer Voreingenommenheit gegen den Faschismus, weil er unmenschlich ist": David Neiwert, US-Autor und Experte für rechtsextreme Bewegungen in den USA.

Foto: Juli Marie Bali

Perugia – Der investigative Reporter David Neiwert recherchiert und erforscht seit mehr als zwei Jahrzehnten Extremismus. In "Alt-Amerika: Der Aufstieg der radikalen Rechten im Zeitalter von Trump" berichtet er über zunehmenden Faschismus und rechtsextremen Terrorismus in den USA. Er untersuchte über Jahre Donald Trumps Verbindungen und Gemeinsamkeiten mit der extremen Rechten.

Haben Sie prägende Erinnerungen an Ihre jahrelangen Recherchen innerhalb der Alt-Right-Bewegung?

Neiwert: Ich habe 2013 ein Buch über die Nativist-Minutemen-Bewegung geschrieben, eine selbsternannte, bewaffnete Bürgerwehr gegen illegale Migration an der Grenze zu Mexiko. Es begann mit einem verzweifelten Notruf einer Frau in einer staubigen Grenzstadt in Arizona: Eine Bande, die behauptete, Mitglied der Grenzpatrouille zu sein, tötete ihren Mann und ihre Tochter. Schließlich wurde ein prominenter Anhänger des Minutemen-Movement festgenommen. Ich habe die Aussage der Frau erstmals in einem Prozess in Arizona gehört. Dieser Moment lässt mich nicht los, verfolgt mich noch heute. Es war sehr hart für mich, dieses Buch zu schreiben. Als ich fertig war, beschloss ich, ein Buch über Schwertwale zu schreiben, mich davon abzulenken.

Alt-Right – woher kommt dieser Begriff?

Neiwert: Der Begriff war eine Erfindung von Richard Spencer. Spencer gründete 2010 das Onlinemagazin "Alternative Right" und prägte damit den Begriff Alt-Right. Die Idee: extreme politische Positionen als moderne, zukunftsorientierte, rechte Bewegungen zu kommunizieren. Die Kontroverse um "Gamergate" machte sie bekannt. (Spieleentwicklerinnen traten gegen in Spielen häufig vorkommende Frauenbilder und Gewalt gegen Frauen auf – und waren mit Verbalangriffen bis hin zu Morddrohungen konfrontiert, Anm.). Gamergate wird oft als eine rechte Reaktion auf progressive Strömungen gesehen, was massiv zur Rekrutierung junger Männer beitrug. Teile der Alt-Right verbreiteten in Internetforen wie Reddit Verschwörungstheorien: "Ich weiß, was vor sich geht, warum sie es tun. Die Feministinnen sind Teil der sozial-marxistischen Verschwörung." Mit Hassbotschaften gegen Feministinnen verbreiten und untermauern sie die ständige Bedrohung eines "Krieges der Kulturen". Sie nutzen viele Einstiegspunkte in Themen wie Migration oder Feminismus.

Beim Journalismusfestival in Perugia gab es auch das Panel "Faschismus ist zurück". Kann man die Entwicklungen wirklich so nennen?

Neiwert: Die Richard Spencers der Welt wollen nicht so aussehen, als würden sie mit Faschismus liebäugeln. Es gibt Elemente der Alt-Right-Bewegung, die offen faschistisch sind, aber das ist nur ein Teil der Bewegung. In den USA sehen wir einen Zuwachs bei Organisationen wie Patriot Front. Sie unterstützen Rassismus, Antisemitismus und Intoleranz unter dem Vorwand, die "ethnischen und kulturellen Ursprünge" ihrer europäischen Vorfahren zu bewahren. Innerhalb der Bewegung gibt es ein breites Spektrum an Ideologien. Es reicht von Alt-Light bis Alt-Right. Ich nenne die Ideologien der Alt-Light auch das Breitbart-Element. Sie sind ein Teil der Alt-Right, der die Agenda teilweise annimmt, Rassismus und Nationalismus macht sie allerdings nervös. Es ist ein Faschismus im frühen Stadium, aber keineswegs weniger gefährlich.

Gefährden Alt-Right-Bewegungen oder antidemokratische Bewegungen in Europa die Gesellschaft?

Neiwert: Sie sind eine Bedrohung für die Demokratie. Wir erleben eine Bedrohung für die Welt, wie wir sie geschaffen haben, und die demokratische Vision, die sie untermauert. Ich werde oft gefragt: "Was sollen wir tun? Wie können wir uns wehren?" Ganz einfach: Die Antwort darauf ist mehr Demokratie. Es ist schier unmöglich, die Weltanschauung von Verschwörungstheoretikern zu ändern. Das Einzige, was sie wirklich verstehen, ist die rohe politische Macht. Wir sind ihnen zahlenmäßig weit überlegen, wir müssen nur aufwachen.

Können Medien das Vertrauen dieser Menschen zurückgewinnen?

Neiwert: Nicht solange Renditestreben das Handeln der Medien leitet. Unsere Information wurde verzerrt, zensiert, verändert durch das Profitstreben. Medien müssen ihre Aufgabe anders definieren. Medien brauchen Geld für das, was sie tun, aber Geld kann nicht das Ziel sein. Große Unternehmen begannen in den 80ern und 90ern hunderte Zeitungen, Fernsehstationen aufzusaugen. Bei den größeren Medien, hinter denen noch größere Unternehmen standen, begann ich schließlich auch zu arbeiten. Uns wurde gesagt, dass wir nicht länger acht Prozent, sondern 15 Prozent Rendite machen sollten. Um diese 15 Prozent Rendite zu erzielen, musste man Kürzungen machen. Erst wird in der Nachrichtenredaktion gespart, dann bei die investigativen Reportern, dem Herz des Journalismus. Als ich in den 90er-Jahren bei MSNBC gearbeitet habe, gab es Dinge, die man nicht sagen durfte, Themen, die man nicht ansprechen sollte. Nachdem ich einen Preis des Nationalen Presseklubs für meine Arbeit über rechten Terrorismus in den USA gewonnen hatte, und bei einer Beförderung übergangen wurde, verließ ich den Sender. Sie wollten diese Art von Reportagen wohl nicht.

Wie geht das offizielle Amerika mit rechtem Terrorismus um?

Neiwert: Man spricht vom "isolierten, tragischen Einzelfall". Dylann Roof erschoss bei seinem Anschlag auf einen Gottesdienst in einer Kirche in Charleston neun Afroamerikaner. FBI-Direktor James Comey wollte nicht von rechtem Terrorismus sprechen, obwohl das offensichtlich war: Er hinterließ ein Manifest, er hatte terroristische Absichten, er wollte einen Rassenkrieg beginnen – und doch wollten Politik und Medien nicht von Terrorismus sprechen. Wenn jemand mit einem Turban eine Waffe zieht, dann ist das sofort Terrorismus. Vieles hat mit dem Umgang mit dem 11. September zu tun. Wir sprechen nicht nur anders über Terrorismus, wir erleben das Erstarken autoritärer Systeme. Autoritarismus erscheint als die natürliche Antwort von Menschen mit Sicherheitsbedürfnis. Darum sind wir jetzt in dieser Situation und Trump ist unser Präsident.

Ist Trump mehr Opportunist oder Ideologe?

Neiwert: Trump ist in erster Linie ein Opportunist. Ich sehe kein Indiz, dass er eine Ideologie hat, die über ihn selbst hinausgeht – bis auf die Tatsache, dass er sich selbst als Repräsentant der weißen Bevölkerung sieht. Das wurde besonders deutlich in einem Artikel der "New York Times", in dem es um Trumps Attacken auf Spieler der National Football League (NFL) ging. Für mich war eine andere Passage die eigentlich zentrale: Mitarbeiter im Weißen Haus wurden damit zitiert, Trump sehe sich selbst als Vorkämpfer seiner weißen Basis, die in einem Kulturkampf mit Linken und nichtweißen Bevölkerungsgruppen stehe. Trump sieht sich als Verteidiger der Weißen.

Hat Trump die Alt-Right-Bewegung in Amerika nachhaltig gestärkt?

Neiwert: Ja! Ihr Erfolg war eine Symbiose: Trump baute seine gesamte politische Karriere auf einer rechten Verschwörungstheorie. Es war eine wirklich schreckliche, rassistische Verschwörungstheorie. Während seines Wahlkampfes kokettierte er mit den radikalen Rechten. Er retweetete einen Tweet vom "weißen Genozid". Er würde sich zwar minimal distanzieren, aber die Alt-Right fühlte sich bestätigt: Als Trump im August 2015 seinen "Immigration Plan" veröffentlichte, stand die Alt-Right zu 100 Prozent hinter Trump. Seine Anhänger zeichnen sich durch Aggression, Ignoranz wissenschaftlicher Erkenntnisse und Rassismus aus. Trump ist ein Sonderfall, er ist kein typischer Führer aus dem rechten Flügel. Er ist ein Narzisst auf Steroiden. Motto: Ihr müsst meinen Instinkten folgen, was auch immer ich sage. Seine Karriere baut auf acht Jahren im Reality-TV auf. Diese Rolle ist Teil seiner politischen Strategie.

Wer gehört zu den Alternativen Rechten in Amerika?

Neiwert: Innerhalb der Bewegung gibt es verschiedene Ebenen von Extremismus, gemein haben sie den Nationalismus. Die europäischen Nationalisten sind tatsächlich ein faszinierendes Beispiel. Jemand wie Martin Sellner begeistert auch die Identitäten in Schweden, Italien oder Großbritannien, obwohl er eine österreichische Identität hat. Der Nationalismus basiert nicht auf Ländergrenzen, sondern auf der Hautfarbe. Diesen Aspekt teilen sie mit US-amerikanischem Nationalismus. Anhänger und Schlüsselfiguren der Alt-Right glauben nicht an Gleichheit. Sie glauben, dass Ungleichheit der natürliche Zustand der Dinge ist. Das haben sie alle gemeinsam.

Extreme Rechte nutzen Begriffe wie Presse- und Meinungsfreiheit zur Verteidigung ihrer Ideologie. Welche Strategie wird hier verfolgt?

Neiwert: Wenn die Alt-Right an der Macht wäre, dann wäre Meinungsfreiheit ein Begriff, der so nicht existieren würde. Faschisten kümmern sich nie um die Redefreiheit von Menschen, außer um ihre eigene. Wie man das bekämpft? Man darf vor allem nicht auf ihr Spiel hereinfallen. Die amerikanische Presse hat diesen Fehler gemacht und hat diesen Menschen eine Bühne geboten. Es ist eine bizarre Situation. In der Weltanschauung der Alt-Right ist freie Rede eigentlich nur eine Rede ohne Konsequenzen. Sie glauben, dass sie in ihrer Redefreiheit eingeschränkt werden, wenn jemand seine eigene freie Rede benutzt, um sich gegen sie zu positionieren. Freie Meinungsäußerung ist nicht das Reden ohne Konsequenzen.

Warum sind Sie Journalist geworden?

Neiwert: Ich will versuchen, den Menschen die Wahrheit zu zeigen. Ich bin ein sehr altmodischer Journalist. Meine Karriere begann in den 70er-Jahren, Journalisten hatten immer eine Flasche in der Schublade und einen Aschenbecher auf dem Schreibtisch. So ist es nicht mehr, leider. Ich lernte damals etwas fürs Leben: Der Feind ist nicht links oder rechts, der Feind ist der Unsinn. Gerade in der heutigen Zeit ist es enorm wichtig, dass Journalisten wahrheitsgemäß berichten. Man muss an den eigenen Vorurteilen bei der Berichterstattung arbeiten und diese wahrnehmen. Ich habe allerdings kein Problem mit einer Voreingenommenheit gegen den Faschismus, weil er unmenschlich ist. Journalismus in seiner besten Form verbindet Menschen untereinander und mit der Welt. Das war immer das Ziel meiner Arbeit. (Juli Marie Bali, 25.4.2018)