"Ich bin schon etwas enttäuscht, dass auf diesem Niveau diskutiert wird und nicht faktenbasiert", sagt Hauptverbands-Vorsitzender Alexander Biach.

Foto: Regine Hendrich

Die aus Regierungskreisen verbreitete Auflistung soll offenbar die Reformpläne von ÖVP unter Kanzler Sebastian Kurz (links) und FPÖ unter Vizekanzler Heinz-Christian Strache untermauern.

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Wien – Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger weist Privilegien-Vorwürfe seitens der Bundesregierung zurück. "Ich bin schon etwas enttäuscht, dass auf diesem Niveau diskutiert wird und nicht faktenbasiert", sagte Hauptverbands-Vorsitzender Alexander Biach der APA. Mehrere Medien hatten zuvor unter Berufung auf Regierungsunterlagen über Privilegien und Vermögen der Sozialversicherungen berichtet.

Betroffene reagieren negativ auf die Pläne der Regierung, die Sozialversicherungen zu reduzieren. So auch der Hauptverbandschef, der Kritikpunkte vehement zurückweist.
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Demnach wurden von den Sozialversicherungen rund 1,3 Milliarden Euro an Beitragsgeldern an der Börse in Aktien oder Wertpapieren angelegt und über die Jahre ein Reinvermögen von rund sechs Milliarden Euro angehäuft, statt Beiträge zu senken. Pro Jahr würden rund 330 Millionen Euro für Zusatz- beziehungsweise Luxuspensionen ausbezahlt, mehr als 1.000 Funktionäre seien im Einsatz, dazu komme ein Fuhrpark von über 160 Dienstwagen, so die aus Regierungskreisen verbreitete Auflistung, die offenbar die Reformpläne von ÖVP und FPÖ untermauern soll.

"Populistische Unterstellungen"

Bei den Sozialversicherungen ist man über diese Verhandlungsstrategie hörbar verärgert. Von "populistischen Unterstellungen" ist in einem "Faktenblatt" die Rede. Hauptverbands-Chef Biach weist die Vorwürfe der Regierung im Detail zurück. Dass etwa mit Sozialversicherungsbeiträgen spekuliert werde, wie die "Kronen-Zeitung" unter Berufung auf die Regierung berichtet hatte, ist laut Biach völlig haltlos.

Die Sozialversicherungen erzielen einen Jahresumsatz von 62 Milliarden Euro und sind gesetzlich dazu verpflichtet, eine Leistungssicherungsreserve in der Höhe eines Monatsaufwands (ein Zwölftel) zu bilden, um für unvorhergesehene Ausgaben – etwa im Fall einer Epidemie oder gar Pandemie – gerüstet zu sein. Bezogen auf den Umsatz sind das fünf Milliarden Euro, 1,4 Milliarden davon sind in mündelsicheren Wertpapieren höchster Bonität angelegt.

"Das Geld liegt halt nicht in der Schublade beim Portier, sondern ist auf der Bank angelegt", heißt es bei den Sozialversicherungen. Spekuliert werde nicht, das sei auch gesetzlich gar nicht erlaubt. Die Veranlagungen würden von Aufsichtsbehörde und Rechnungshof laufend geprüft. Dass die Regierung den Sozialversicherungen ihre eigenen Gesetzesvorgaben – nämlich die Verpflichtung, Rücklagen zu bilden – vorhält, sorgt dort für Kopfschütteln.

Dienstautos: großteils Krankentransportwagen

Bei den von der Regierung angeführten 160 Dienstautos handelt es sich laut Hauptverband großteils um Krankentransportwagen beziehungsweise geleaste Wagen, die für die Beitragsprüfung eingesetzt werden. Tatsächliche gebe es nur eine Handvoll echter Dienstautos. Zum Vergleich und zur Einordnung: Allein das Finanzministerium verfügte 2009 laut einer parlamentarischen Anfrage über 345 Dienstautos, aktuellere Zahlen liegen nicht vor.

Die 330 Millionen Euro für Zusatzpensionen sind laut Sozialversicherung zwar Fakt, es handle sich aber um alte Verträge, die einzuhalten sind. "Auch wenn mir das von der Gebarung her nicht passt, werde ich mich nicht über rechtliche Bestimmungen hinwegsetzen", meinte Biach dazu. Im Übrigen seien die Zusatzpensionen seit 1996 abgeschafft und Vergangenheit. Für Neueintretende gebe es keine derartigen Regelungen mehr.

Ähnliches Vorgehen wie beim AMS

Auch die von der Regierung kritisch in den Raum gestellte Zahl von 1.000 Funktionären rückt man im Hauptverband zurecht. Funktionäre seien ein Teil der Selbstverwaltung, viele würden de facto ehrenamtlich oder gegen geringfügigste Entschädigungen arbeiten. Im Schnitt gehe es um 390 Euro pro Funktionär.

Mit der vom Zaun gebrochenen Debatte über Privilegien bei den Sozialversicherungen folgt die Regierung einer Kommunikationsstrategie, die schon beim Arbeitsmarktservice (AMS) zur Anwendung kam. Mit kompromittierenden medialen Veröffentlichungen – im Falle des AMS war dies ein interner Revisionsbericht über Probleme mit migrantischen Arbeitslosen – soll Druck aufgebaut und die betroffene Institution für Reformen gefügiger gemacht werden.

Biach: "Braucht diese Aufregung nicht"

Die Sozialversicherungen und Krankenkassen seien ohnehin zu Reformen bereit, meinte Hauptverbands-Chef Biach dazu. "Da braucht es diese Aufregung nicht. Es ist nicht notwendig, so schwere und unhaltbare und teils persönliche Vorwürfe in den Raum zu stellen." Es gehe darum, die Leistungen der Sozialversicherungsträger zu harmonisieren und Aufgaben und Strukturen zu bündeln. "Von diesem Kurs werde ich nicht abgehen." Was es nicht brauche, seien "englische Verhältnisse und Leistungsverschlechterungen", heißt es im Hauptverband.

Kritik kam auch vom Vorsitzenden der niederösterreichischen Christgewerkschafter, Alfred Schöls. Es sei unverständlich, dass es Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zulässt, dass mit unwahren Behauptungen die Stimmung gegen ein funktionierendes Sozialsystem befeuert wird. Der schwarze Schöls sprach von "Taschenspielertricks". Die Gewerkschaft der Privatangestellten wies in einer Aussendung darauf hin, dass Kanzler Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) mit "haltlosen Vorwürfen ein erfolgreiches System sturmreif schießen und es für Privatisierungen vorbereiten wollen".

Niveau erschreckend tief

"Das Niveau der Debatte ist erschreckend tief. Ich kann der Regierung nur dringend empfehlen, das System nicht mit Brachialgewalt über Bord zu werfen", meinte der schwarze Obmann der Vorarlberger Gebietskrankenkasse, Manfred Brunner, im "Kurier". "Der Versuch, Neidkomplexe in der Bevölkerung zu schüren, soll die Debatte über die Zukunft des Gesundheitssystems zudecken. In Wahrheit droht die Zerschlagung eines der besten Systeme der Welt, es drohen Selbstbehalte und eine Privatisierungswelle. Darüber wird natürlich nicht gesprochen", wird in der Zeitung auch der rote Obmann der Steirischen Gebietskrankenkasse, Josef Harb zitiert.

WGKK verärgert

Die Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) zeigte sich am Mittwoch erbost über die Vorwürfe der Regierung. "Das Bashing der Sozialversicherung bringt niemandem etwas, sondern schürt lediglich eine Neid-Debatte. Offenbar hat man genau dies im Sinn", hieß es in einer Aussendung.

Verwiesen wurde darauf, dass es günstiger sei, Dienstautos anzuschaffen als das entsprechende Kilometergeld für die Nutzung der privaten Pkw zu erstatten, hieß es. Die WGKK verfügt laut der Mitteilung über insgesamt sechs Dienstautos. Zwei Fahrzeuge der Marke Skoda stünden der Selbstverwaltung, der Direktion und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zur Verfügung.

Drei Lkw und kein Wertpapiervermögen

Die weiteren vier Autos – ein Pkw, drei Lkw, wie penibel vermerkt wird – werden als Laborwagen für die Anfahrten von Postämtern, Außenstellen und interne Transporte sowie für Großtransporte wie Drucksorten, Möbel oder Altpapier verwendet. Des weiteren verfügt die WGKK über keine Rücklagen und hält seit dem Jahr 2007 kein Wertpapiervermögen, wurde betont.

Der Aufwand der Selbstverwaltung der WGKK bestehend aus Obfrau, den beiden Stellvertretern, der Kontrollversammlung, der Generalversammlung und dem Vorstand belief sich 2017 auf 140.558,10 Euro. Zum Vergleich: Die Aufsichtstätigkeit, ausgeführt vom Gesundheitsministerium, kostete laut WGKK im selben Jahr 131.511,68 Euro.

Schelte für Kurz und Strache aus dem Westen

Die beiden schwarzen Arbeiterkammer-Präsidenten, Hubert Hämmerle aus Vorarlberg und Erwin Zangerl aus Tirol (beide AAB-FCG), haben am Mittwoch nach den von der Regierung ventilierten, angeblichen Privilegien der Sozialversicherungen mit einer heftigen Schelte für die Regierungsspitze reagiert. "Schlimmer geht's wohl nimmer", stellten die beiden in einer Aussendung fest.

Und schoben gleich die Frage nach: "Oder wird's gar noch tiefer?". Zudem empfahlen sie den Verantwortlichen der Sozialversicherungen, sich gegen die falschen Behauptungen der Regierungsspitze "energisch" zu wehren – "notfalls gerichtlich".

Politik "der miesesten Art"

"Jetzt zeigt sich, was sich Kurz (Bundeskanzler Sebastian, Anm.) und (Vizekanzler Heinz-Christian, Anm.) Strache unter einem neuen Regierungsstil in unserem Land vorstellen", so die AK-Präsidenten. Die Regierungsspitze versuche mit "einer Neiddebatte sondergleichen, mit falschen Behauptungen und künstlicher Skandalisierung" die "sozial- und gesundheitspolitischen Grundfesten unseres Staates" zu zerschlagen. Dies sei Politik der "miesesten Art" und lasse "weitere Scheußlichkeiten" gegen andere missliebige Einrichtungen befürchten.

Türkis-Blau gehe es lediglich um "Macht und Einfluss" und die "Zentralisierung und Verstaatlichung" der Sozialversicherungen, so der Vorwurf. "Die Gelder sollen nach Wien fließen und den Ländern soll die Finanz- und Vertragshoheit genommen werden", kritisierte Zangerl. "Dort, wo die Regierung den Rotstift ansetzt und Einrichtungen kaputtspart, werden andere die Kosten dafür zu tragen haben. Und in diesem Fall sind das die Arbeitnehmer-Familien und die kleinen und mittleren Betriebe in unserem Land. Oder aber das Land und die Gemeinden, die für den Erhalt dieser Einrichtungen einspringen müssen", erklärten die beiden. (APA, 25.4.2018)