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Verschwörungstheorien: "Alles mit allem verbunden."

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Michael Butter, "'Nichts ist, wie es scheint'. Über Verschwörungstheorien". € 18,- / 271 Seiten. Suhrkamp-Verlag, 2018

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STANDARD: Haben Sie so etwas wie eine Lieblingsverschwörungstheorie?

Butter: Ich empfinde an vielen Verschwörungstheorien eine gewisse Freude. Nicht so sehr an den gegenwärtigen, da man da gleich die problematischen Aspekte und Gefahren mitdenkt, aber die Theorien des 19. Jahrhunderts haben es mir schon sehr angetan. Wie beispielsweise die Idee, die viele Amerikaner haben, dass die katholische Kirche und der Papst unter der Führung des österreichischen Fürsten Metternich die USA zerstören wollten. Ähnlich ist es bei Ideen aus dem 20. Jahrhundert wie denjenigen bezüglich der Mondlandung, die aufgrund der teilweise sehr kreativen angeführten visuellen Beweise überzeugend wirken können. Einen gewissen Reiz hat auch die Theorie des ehemaligen Fußballprofis David Icke, dass wir von Reptilien-Aliens aus dem All beherrscht werden. Das ist schon wieder so absurd, dass es auch sympathisch ist.

STANDARD: Was man aus Ihrem Buch erfährt und was sehr erstaunlich ist: Anscheinend waren Verschwörungstheorien bis zum Zweiten Weltkrieg absoluter Mainstream.

Butter: Das ist sicher die überraschendste Erkenntnis der Forschung in den vergangenen Jahren, dass selbst ein bis heute verehrter Präsident wie Abraham Lincoln Verschwörungstheoretiker war. Früher hat man diese kruden Ideen nicht so sehr als Problem empfunden. Das, was gerade mit Verschwörungstheorien passiert, dass man eben so viel über sie redet, kann man mit dem vergleichen, was mit Sexismus oder Rassismus passiert ist. Natürlich wird das heute eifrig diskutiert. Aber dass man darüber vor 100 Jahren nicht gesprochen hat, heißt nicht, dass es diese Probleme nicht gegeben hat. Damals war es eben einfach normal. Und so war das auch mit Verschwörungstheorien.

STANDARD: Demnach könnte man meinen, dass Verschwörungstheorien gar nicht so schlimm sind.

Butter: Da muss man differenzieren. Es gibt Verschwörungstheorien, die hochproblematisch sind, weil sie rassistisch oder antisemitisch sind, weil sie Hass auf Minderheiten und Schwache schüren. Es gibt solche, die zur Politikverdrossenheit beitragen können, wenn man möglicherweise für Populisten stimmt, die auf alles eine einfache Antwort haben. Aber nicht alle Theorien sind so gefährlich, viele sind eher harmlos, genauso wie die Leute, die daran glauben, eher harmlos sind. Entscheidend ist: Wer glaubt was wann und in welcher Situation und zu welchem Effekt?

STANDARD: Was ist denn aus wissenschaftlicher Sicht eine Verschwörungstheorie?

Butter: Eine Minimaldefinition sähe so aus: Erstens geht eine solche Idee davon aus, dass alles geplant wurde und nichts durch Zufall geschieht, dass es eine im Geheimen operierende Gruppe gibt, die die Strippen zieht und nach deren Willen sich die Ereignisse entfalten. Zweitens die Idee, dass nichts so ist, wie es scheint, dass man hinter die Kulissen blicken muss, dass nichts durch Zufall geschieht, dass Leute sich abgesprochen haben, um bestimmte Dinge zu erreichen. Und das ist auch der dritte Aspekt: Verschwörungstheoretiker sagen, dass alles miteinander verbunden ist.

STANDARD: Ist es das, was Verschwörungstheorien für manche Menschen so attraktiv macht: weil man sich eben nicht vorstellen kann, dass die Dinge häufig eben zufällig geschehen?

Butter: Für viele ist es, meine ich, leichter zu akzeptieren, dass irgendjemand Böses im Hintergrund die Weltgeschicke bewegt. Ein Komplott kann man entlarven und besiegen, aber komplexe Wirkungszusammenhänge und zufällige Geschehnisse lassen sich eben nicht so akzeptieren und ändern. Bei einem vermeintlichen Komplott kann man mit dem Finger auf irgendwen zeigen und sich vorgaukeln: Wenn man denen das Handwerk gelegt hat, wird auch alles besser.

STANDARD: Spielt da auch die Sehnsucht nach einfachen Antworten auf sehr komplexe Probleme eine Rolle?

Butter: Teilweise. Verschwörungstheorien vereinfachen das politische Feld, indem sie nicht davon ausgehen, dass es sehr viele Akteure mit unterschiedlichen Ideen und Agenden gibt, sondern davon, dass es ein paar wenige gibt, die alles kontrollieren und bewirken, und dass es auch wenige sind, die das erkannt haben. Das ist eine Vereinfachung. Gleichzeitig machen Verschwörungstheorien die Welt häufig viel komplizierter. Dass Lee Harvey Oswald allein gehandelt hat, als er Kennedy erschoss, können viele nicht akzeptieren. Es müssen also die CIA, die Mafia, die amerikanische Armee, die Exilkubaner oder der KGB involviert gewesen sein. Und selbst wenn man Weltverhältnisse durch Verschwörungstheorien vereinfacht, indem man sagt, dass die neue Weltverschwörung den 11. September und den Flüchtlingsstrom geplant hat, muss man komplexe Beweisführungen vornehmen, um zu zeigen, dass all diese Dinge miteinander verbunden sind.

STANDARD: Macht es denn Sinn, mit Leuten, die an Verschwörungstheorien glauben, argumentativ zu streiten?

Butter: Es gibt empirische Untersuchungen, die zeigen, dass Verschwörungstheoretiker noch mehr an ihre Ideen glauben, wenn man sie mit schlüssigen Gegenbeweisen konfrontiert. Und das liegt daran, dass man ihre Weltsicht und ihre Identität infrage stellt. Von daher ist es sehr schwierig, überzeugte Verschwörungstheoretiker vom Gegenteil zu überzeugen. Das ist ein langwieriger Prozess, ein Prozess, bei dem man niederschwellig ansetzen und immer wieder nachhaken muss. Das ist sehr mühsam und häufig nicht von Erfolg gekrönt.

STANDARD: Das klingt sehr pessimistisch.

Butter: Meine Freunde schicken mir häufig Zitate, die sie in irgendwelchen Internetforen über mich finden. Da wird mir vorgeworfen, ich sei ein Massenmörder und ein Helfer des Komplotts um den 11. September, oder man bindet mich in andere Verschwörungstheorien ein. Da ich mich viel mit den USA beschäftige, wird mir vorgeworfen, ich sei Teil der Transatlantischen Brücke und damit ein Freund der USA. Absurd. Genauso gut kann man einem Onkologen vorwerfen, er sei ein Freund des Krebses. Mir wird einfach unterstellt, ich sei doof oder dass ich mich für Geld oder aus Überzeugung zum Teil der Verschwörung machen lasse. Ich sei also eine Expertenhure oder geldgeil. Daran sieht man, dass Argumente nichts bringen. Manchmal schreibe ich diesen Leuten aber zurück, schicke ihnen vielleicht ein konkretes Beispiel, und tatsächlich antworten einige, bedanken sich, sind erstaunt, dass ich überhaupt antworte. Ich denke nicht, dass ich die Leute überzeuge, aber man kann sie für einen Augenblick aus ihrer Blase holen.

STANDARD: Chemtrails, Bilderberger, 11. September: Aktuell haben wir eine Konjunktur der Verschwörungstheorien. Warum?

Butter: Durch das Internet sind Verschwörungstheorien wieder viel sichtbarer geworden. Wer in den 70er- oder 80er-Jahren solche Ideen verbreiten wollte bzw. nach solchen alternativen Erklärungen suchte, der musste sehr viel Zeit und Geld investieren, im Selbstverlag Publikation veröffentlichen oder bei obskuren Verlagen diese Bücher bestellen. Heute ist das alles viel leichter verfügbar. Hinzu kommt, dass Verschwörungstheorien und populistische Bewegungen eine starke Allianz miteinander eingehen. Auch das hat solche Ideen wieder gestärkt. Zudem bietet das Internet auch die Möglichkeit, sich aus der Welt der seriösen Medien zu verabschieden, um über einschlägige Blogs oder Foren sein alternatives Weltbild zu festigen und zu bestätigen.

STANDARD: Bedeuten Verschwörungstheorien eine Gefahr für die Demokratie?

Butter: Die eigentliche Gefahr für die Demokratie besteht darin, dass wir in unseren Öffentlichkeiten immer weiter auseinanderdriften. Die einen meinen, dass sich alles über eine Verschwörung erklären lässt, die anderen halten das für dummes Zeug. Wie soll man so einen gemeinsamen Nenner finden, bei dem man sich auf bestimmte Fakten einigen muss? Nehmen Sie beispielsweise das World Trade Center Nummer 7, hinsichtlich dessen Verschwörungstheoretiker bis heute behaupten, dass das Gebäude im freien Fall zusammenbricht, wohingegen Wissenschafter gezeigt haben, dass es eben nicht gesprengt worden ist. Wenn über solche fundamentalen Dinge keine Einigkeit besteht, kann man schlecht über die großen Wirkungszusammenhänge streiten, die für unsere Demokratien viel wichtiger sind: Was bedeutete der 11. September für die westliche Gesellschaft? Wie wollen wir künftig mit solchen Anschlägen umgehen?

STANDARD: Gibt es denn überhaupt ein Heilmittel gegen Verschwörungstheorien?

Butter: Wir brauchen mehr Medienkompetenz. Man muss lernen, wie man seriöse Quellen und Beiträge im Internet identifizieren kann. Zudem brauchen wir eine Art Gesellschaftskompetenz, die einem klarmacht, wie komplex soziale Systeme eigentlich sind, dass es Verschwörungen mitunter auch gegeben hat, dass Verschwörungen aber über Jahrzehnte hinweg nicht den Lauf der Welt bestimmen können. Und nicht selten haben Verschwörungen auch nicht den Effekt, den man sich ausgemalt hat. Wie beispielsweise, als die CIA beim Sturz des iranischen Ministerpräsidenten Mossadegh in den 1950ern eine bedeutende Rolle spielte, der mittelfristig die iranische Revolution ins Rollen brachte, was sicher nicht im Interesse der USA war. Um so etwas einordnen zu können, braucht man eben auch Geschichtskompetenz. (Ingo Petz, 30.4.2018)