"Ein guter Schwimmer kann zumindest 400 Meter durchgehend kraulen", meint der Experte.

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Schwimmtrainer Christoph Schmidt: "Der Grundreiz, der gesetzt wird, ist beim Baden sehr gering und vergleichbar mit einem kurzen Spaziergang."

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Wer sich in Österreichs Freibädern umschaut, sieht viele Menschen, die mit weit aus dem Wasser gestrecktem Kopf einige Tempi machen, bevor sie es sich wieder am Beckenrand gemütlich machen. Der Schwimmtrainer Christoph Schmidt nennt diese Technik nicht Schwimmen, sondern Baden – und vermisst dabei den Trainingseffekt.

STANDARD: Wie gut schwimmen die Österreicher?

Schmidt: Es fängt schon einmal mit der Definition von Schwimmen an: Die meisten Österreicher schwimmen nicht, sondern sie baden. Der typische Österreicher bewegt sich mit einer inadäquaten Brustschwimmtechnik im Wasser fort, der Kopf bleibt dabei permanent über dem Wasser. Mit dieser Badetechnik setzt man aber keinen Reiz. Und darum sollte es bei jeder Sportart gehen – adäquate Reize zu setzen für das Herz-Kreislauf-System und für den Bewegungsapparat, damit das Ganze auch einen Gesundheitseffekt hat. Aber das hat es bei vielen im Schwimmbad leider nicht.

STANDARD: Wo liegt denn das Problem?

Schmidt: Das richtige Brustschwimmen ist eine sehr kräfteraubende Technik. Wenn der Kopf über dem Wasser gehalten wird, kann das einen negativen Effekt auf die Wirbelsäule haben. Und was die Beintechnik betrifft: Die sogenannte Schwunggrätsche belastet das Kniegelenk leider extrem. Ein Orthopäde würde vielen seiner Patienten von dieser Schwimmtechnik also wahrscheinlich eher abraten.

STANDARD: Hauptsache Bewegung, sagen viele.

Schmidt: Natürlich ist es gut, wenn etwas gemacht wird. Aber der Grundreiz, der gesetzt wird, ist beim Baden sehr gering und vergleichbar mit einem kurzen Spaziergang. Wer wirklich schwimmen gehen will – und nicht nur baden –, sollte eine ökonomische Kraultechnik beherrschen. Dieser Schwimmstil hat zwar eine hohe technische Komponente. Er ist aber bis ins hohe Alter erlernbar. Unser ältester Kunde war 72.

STANDARD: In Ländern wie den USA erlernen Kinder schon im Alter von vier bis fünf das Kraulen, bei uns dominiert das Brustschwimmen. Warum?

Schmidt: Das ist historisch bedingt. Es ist diese in Österreich noch immer praktizierte Badekultur. Bei uns hat man immer gesagt: "Gehen wir baden" – und nicht "schwimmen". Es ist auch ein Problem unseres Ausbildungssystems. Kinder lernen in der Schule nicht richtig schwimmen, sondern überleben – und auf keinen Fall kraulen. Später gibt es dann einen riesigen Nachholbedarf. Unsere Hauptkunden sind nicht vordergründig Wettkampfathleten, sondern Frauen und Männer, die etwas für ihre Fitness machen wollen. Das Interesse daran steigt.

STANDARD: Was macht einen guten Schwimmer aus?

Schmidt: Ein guter Schwimmer kann zumindest 400 Meter durchgehend kraulen. Dann weiß man, dass die Technik auf jeden Fall grundlegend richtig und eine Basis im Bereich der schwimmspezifischen Ausdauerleistungsfähigkeit vorhanden ist.

STANDARD: Darf es beim Kraulen überhaupt spritzen? Das sorgt in öffentlichen Bädern ja immer wieder für Unmut.

Schmidt: Die Gesamtbewegung sollte so durchgeführt werden, dass es zu keinem großartigen Spritzen kommt. Aber für jene Menschen, die gemütlich baden, ist es oft schon Störfaktor genug, wenn Menschen überhaupt richtig schwimmen wollen. In Ländern wie Deutschland, Frankreich und Spanien ist es ganz klar, dass es in öffentlichen Bädern abgesperrte Bahnen für Menschen gibt, die schwimmen wollen. Wer schwimmen oder kraulen erlernen und praktizieren möchte, hat es hierzulande schwer.

STANDARD: Viele setzen auf Brustschwimmen, weil ihnen das Kraulen zu anstrengend ist.

Schmidt: In einem solchen Fall ist mit Sicherheit die Technik inadäquat. Es kann beispielsweise an der Atemtechnik liegen. Da haben viele Probleme, weil sie unter Wasser reflexartig zu viel ausatmen und dann mittels Schnappatmung einatmen. Beim richtigen Kraulen muss die körperliche Bewegung mit einer adäquaten Atmung gekoppelt werden, das ist eigentlich wie beim Yoga. Bei manchen schaut Kraulen aber aus wie ein Überlebenskampf. Diese Technik kostet viel Kraft, die eigentlich gar nicht notwendig wäre.

STANDARD: Was wird denn beim richtigen Schwimmen alles trainiert?

Schmidt: Es ist eine der vielfältigsten Sportarten. Sie fordert und fördert das Herz-Kreislauf-System. Durch den zu überwindenden Wasserwiderstand kommt auch eine Kraftkomponente dazu, und somit wird ein effektiver Kraft-Ausdauer-Reiz gesetzt. Eine gut entwickelte Rumpfmuskulatur ist beim Schwimmen wichtig. Richtiges Schwimmen beinhaltet zudem ein koordinatives Training und setzt sehr gute Trainingsreize im Bereich der Beweglichkeit, vor allem beim Kraulen.

STANDARD: Was empfehlen Sie als ergänzendes Training?

Schmidt: Wir empfehlen zum Beispiel einmal pro Woche schwimmen, einmal Kraft- bzw. Rumpfstabilisationstraining und einmal Yoga oder Flexibilitätstraining. Wichtig ist der richtige Belastungsmix.

STANDARD: Schwimmen im Pool oder im Freiwasser?

Schmidt: Beides. Aber das Schwimmen im Freiwasser wird ein immer größeres Thema. Das übt auf viele Menschen eine große Faszination aus. Da haben wir in Österreich mit unseren Seen ja unzählige Möglichkeiten. Klar ist aber, dass man dafür die Kraultechnik beherrschen muss. Für Anfänger ist das Schwimmen im Freiwasser nicht zu empfehlen, weil man sich schwieriger orientieren kann.

STANDARD: Kann ein Hobbysportler auch das Delphinschwimmen erlernen?

Schmidt: Delphinschwimmen ist eine der komplexeren Schwimmlagen, die faszinierend aussehen. Dieser Schwimmstil ist hochkoordinativ und fordernd, was Kraft und Beweglichkeit betrifft. Aber die Frage im Wasser ist nie: Was kann ich erlernen? Denn wenn man sich die Zeit nimmt, dann kann man alle Schwimmstile erlernen – in jedem Alter. (Franziska Zoidl, 20.5.2018)