Kontemplativer Rauchmoment an einem tollen Abend: Gerti Drassl (als Anna Petrovna) und Holger Bülow (als Jewgeni Lwow).


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Klagenfurt – Die Seelenlähmung ist nur eine der möglichen Reaktionen auf die wachsende Unerträglichkeit des Weltzustands. In Anton Tschechows Erstlingsdrama Iwanow umgibt den lebend toten Titelhelden ja auch noch der Graf, der sich einen Panzer aus Zynismus zugelegt hat. Der Arzt zudem, der einem blinden Idealismus verfällt, der alte Lebedjew, der alle Risse der heilen Welt mit seinem Notgroschen stopfen will. Oder der juvenile, kapitalismusverseuchte Gutsverwalter Borkin, ein chronischer Entwickler neuer Stand-up-Ideen.

Alle verfehlen das Leben, am wenigsten vielleicht noch Iwanow selbst, der sich mit dem finalen Pistolenschuss vom Tod erweckt. Aber es ist ja eine Komödie. Also war der Weltzustand wohl immer schon unerträglich. Und alle taumeln nur deshalb so durcheinander, weil sie hochmütig die Krücken ihrer Vorfahren vernichtet haben. Betrunken sind sie meistens auch.

Aktualität des Textes

Am Stadttheater Klagenfurt präsentiert die aus Ljubljana stammende Mateja Koleznik (in einer Koproduktion mit den Vereinigten Bühnen Bozen) das Stück in einer unaffektierten, der Aktualität des Textes (Übersetzung Thomas Brasch) fest vertrauenden Lesart. Iwanow muss man manches zweimal sagen, da er sich erst die Wattepfropfen aus dem Ohr klauben muss. Man erlebt das Geschehen quasi durch die Fenster der Nachbarn, oder, aus deren Perspektive, in den eigenen Räumen von außen.

In den von Raimund Voigt auf die dunkle Bühne gebauten Lichtkorridoren herrscht ein dichtes, planloses Hin und Her. Man kann auch an Gangways denken, auf denen die Passagiere des Narrenschiffes, das die Welt bedeutet, herumirren. Die Frauen, das war schon in der gefeierten Nora-Inszenierung der Regisseurin so, tanzen dazu. Sie können für alles nichts dafür und nichts dagegen.

Gerti Drassls prächtig selbstbewusste, weltverlorene Anna demütigt den tonuslosen Iwanow Markus Herings mit Küssen. Die unbändige Sascha Katharina Wawriks ist nicht davon abzubringen, Iwanow retten zu wollen, obwohl das, wie ihr Vater ihr zu erklären versucht, nicht die Aufgabe einer Ehefrau wäre, sondern eines Nervenarztes.

Auch von den weiteren, noch nicht namentlich erwähnten Charakterstudien ist eine treffender als die andere. Der Abend ist ein Glücksfall. Todtraurig, da Iwanow den Verlust von Gefühlen beklagt, die er einst kannte, während über die Komplexität seines Lebens unaufhaltsam das Pech der plattesten Verleumdungen rinnt. Und weil das, insofern es die Umwelt kritisiert, selbst wieder als Verleumdung angesehen werden kann. Die Lage ist hoffnungslos, aber komisch. (Michael Cerha, 4.5.2018)