Spaniens Spieler konnten ihre dubiose Niederlage gegen Belgien nicht fassen.

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Russland (Anton Rudoy, rechts, gegen Eric Marks) deklassierte im letzten Bewerbsspiel der Rugby Europe Championship Deutschland mit 57:3. Die "Bären" sind nun WM-Teilnehmer, Deutschland bekommt eine Playoff-Gelegenheit serviert.

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Dublin/Wien – Nach monatelanger Ungewissheit ist ein unerfreuliches Kapitel in Europas Rugby-Geschichte nun, so scheint es, abgeschlossen. Der Weltverband World Rugby gab am Dienstag bekannt, dass Russland anstelle Rumäniens an der Weltmeisterschaft 2019 in Japan teilnehmen wird. Rumänien, Belgien und Spanien wurden wegen des Einsatzes nicht spielberechtigter Akteure in der Qualifikation jeweils 30 beziehungsweise 40 Punkte abgezogen. Deutschland wiederum winkt statt eines Relegationsduells gegen den Abstieg die Aussicht auf die erstmalige Qualifikation für eine Endrunde. Voraussetzung hierfür ist jedoch das Obsiegen in einem mehrstufigen Playoff-Prozedere.

Alles begann in Brüssel. An einem ungemütlichen Tag im März bezwang dort das belgische Nationalteam Spanien mit 18:10. Die Niederlage der Gäste kam völlig unerwartet und kostete sie die sicher geglaubte Qualifikation für die WM. Nutznießer der Überraschung, so schien es zu diesem Zeitpunkt, waren die Rumänen, die das in der Rugby Europe Championship ausgespielte WM-Ticket einheimsten.

Verdächtige Vorkommnisse, überforderter Verband

Doch kaum war der Schlusspfiff erfolgt, ging es nicht mehr um Sport. Die Angelegenheit sank stattdessen in Bereiche anrüchiger Zwielichtigkeit herab. Vieles nämlich sprach dafür, dass Referee Vlad Iordăchescu, ein Rumäne, die Partie durch eine Reihe dubioser Entscheidungen zuungunsten Spaniens beeinflusst zu haben schien (DER STANDARD berichtete). Verantwortlich für die mehr als unglückliche Schiedsrichteransetzung waren der Kontinentalverband Rugby Europe und sein Präsident Octavian Morariu, ebenfalls Rumäne.

In der Folge zeigte sich Rugby Europe unfähig, mit der Farce, für die der Verband selbst ein gerüttelt Maß Verantwortung trug, auch nur einigermaßen angemessen umzugehen. Eine Prüfung der Spielleitung Iordăchescus wurde angekündigt, dann aber mehrfach verschoben. Die Kommunikationspolitik hinsichtlich des Verfahrensablaufs war amateurhaft, eine Conclusio ist bis heute nicht verlautbart. Als einzige Konsequenz blieb am Ende eine Sperre von insgesamt 121 Wochen gegen fünf spanische Spieler übrig, die Iordăchescu nach dem Match verbal wie physisch angegangen waren. Eine Sanktion gegen den Referee blieb hingegen aus.

Schlampigkeit an der Tagesordnung

Die Unzulänglichkeiten innerhalb von Rugby Europe blieben offenbar auch World Rugby nicht verborgen, denn der in Dublin ansässige Weltverband zog die Causa an sich und setzte eine Untersuchungskommission ein. Zunächst favorisierte man dort einen sportlichen Ausweg, das Match zwischen Belgien und Spanien sollte neu ausgetragen werden. Statt eines eleganten Auswegs stand man jedoch vor noch mehr Verwicklungen. Bei näherem Hinsehen wurde nämlich deutlich, dass sowohl Rumänien als auch Spanien und Belgien im Verlauf des Wettbewerbs auf nicht spielberechtigte Akteure zurückgegriffen hatten.

Auch hier zeigt sich die Inkompetenz von Rugby Europe in erschreckender Deutlichkeit. Denn dass Sione Faka’osilea nicht für Rumänien und Victor Paquet nicht für Belgien qualifiziert waren, lag auf der Hand. Ersterer war bereits für Tongas 7er-Nationalteam aufgelaufen, und die belgische Uroma des Franzosen reicht nicht, um genügend Belgiertum zu generieren. Dafür bräuchte es, zumindest in der Welt des Rugby, zumindest einen Großelternteil. Wie dies den Verantwortlichen des Verbands entgehen konnte, scheint unerklärlich. Komplizierter liegt der Fall zweier spanischer Spieler, die für die französische U20 angetreten waren. Es ist nicht klar, ob das Nachwuchsteam das Disqualifikationskriterium des World-Rugby-Regulariums erfüllt, welches sich an dem durchaus schwammigen Begriff "next senior fifteen-a-side National Representative Team" orientiert.

Funktionäre nicht ausreichend professionell

Wie dem auch sei, das vorliegende Kuddelmuddel verweist offenbar auf eine Ungleichzeitigkeit der Professionalisierungsgeschwindigkeiten im Rugby. Während sich im sportlichen Bereich seit dem offiziellen Ende des Amateurismus 1995 die Entwicklung in atemberaubendem Tempo vollzieht, hinkt man in der Administration des Sports hinterher.

Selbst der Weltverband versteht sich noch nicht lange als ein solcher. Sein Vorgänger, das 1886 gegründete International Rugby Board, war bis in die jüngere Vergangenheit viel eher eine Art Gentlemen’s Club, dem Fragen wie etwa die Weiterentwicklung des Sports herzlich egal waren. Erst mit der Ausrichtung der ersten WM 1987 begann sich das – langsam – zu ändern. Man kann sich nur allzu gut ausmalen, wie ausgeprägt der Dilettantismus der Funktionäre erst in Regionalverbänden gewesen sein muss – und offenbar immer noch ist. Nicht dass eine solche ehrenamtliche Liebhaberei nicht ihren Charme hätte. Im Umfeld eines modernen, globalisierten Sportgetriebes ist sie jedoch fehl am Platz.

Stiig Gabriel, Sportdirektor von Österreichs führendem Rugbyklub, der RU Donau Wien, hält die von World Rugby gezogenen Konsequenzen im Gespräch mit dem STANDARD für "eine unausweichliche Entscheidung". Alle Beobachter seien von einem solchen Ende des Lieds ausgegangen. Er wäre jedoch enttäuscht, so Gabriel, wenn bei Rugby Europe "nicht ein paar Leute gehen müssen". World Rugby formulierte in seiner Aussendung, man sei "von den unglücklichen und vermeidbaren Vorfällen extrem enttäuscht". Es kann als sicher gelten, dass man den Europäern künftighin genauer auf die Finger schauen wird. Genau das hatte zuletzt auch die Internationale Spielervereinigung gefordert.

Der Fall Deutschland

Dass Deutschland die Stichkampfchance in Form eines Entscheidungsspiels am 9. Juni gegen Portugal erbt, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Nach der Eskalation eines Streits zwischen dem dortigen Verband und Hans-Peter Wild, dem Big Spender des bundesrepublikanischen Rugbys, zog der Milliardär die Spieler seiner Wild Rugby Academy aus dem Nationalteam zurück, von denen einige ebenfalls ausländische Wurzeln haben, in diesem Fall südafrikanische und englische. Übrig blieb eine nicht konkurrenzfähige Rumpftruppe, die ihre fünf Matches der Rugby Europe Championship 2018 allesamt krachend verlor, die Staffel abgeschlagen auf dem sechsten und letzten Platz abschloss. Die Punktedifferenz der Deutschen betrug am Ende –325. Nun, mit der Karotte WM-Teilnahme vor der Nase, dürfte eine Blitzversöhnung der Kontrahenten zu erwarten sein.

"Wir hätten uns", sagte Manuel Wilhelm, Sportdirektor des Deutschen Rugby-Verbands, "natürlich lieber auf sportlichem Weg für dieses Spiel qualifiziert. Aber selbstverständlich freuen wir uns über die Möglichkeit und werden unser Bestes geben, um diese Chance auch nutzen zu können." (Michael Robausch, 16.5. 2018)