Will die Resettaste drücken: Festwochen-Leiter Zierhofer-Kin.

Foto: Markus Morianz

Rücktrittsaufforderungen nach nur einer Saison – das gab es bei den Wiener Festwochen noch nie. Als der langjährige Intendant des Kremser Donaufestivals Tomas Zierhofer-Kin im vergangenen Jahr erstmals die Festwochen programmierte, erntete er viel Unverständnis: Herkömmlichen Theater- und Opernformaten erteilte er eine Absage, dafür war das Programm mit Performances, Kunstaktionen und Überschreibungen bestückt. Und heuer? Kurz vor der Eröffnung auf dem Wiener Rathausplatz (Freitag, 21 Uhr) gibt sich der Intendant überzeugt, dass er diesmal richtig liegt.

STANDARD: Ihr Programmheft ist sehr dünn. Mussten Sie beim Programm abspecken?

Zierhofer-Kin: Nein, gar nicht. Im vergangenen Jahr haben wir versucht, unser Programmheft demokratisch zu gestalten. Das ging in die Hose. Egal ob Jonathan Meeses Parzifal oder eine Performance-Lecture: Alles wurde gleich groß dargestellt.

STANDARD: Ist das nur eine Frage der Optik? Heuer gibt es 30 Programmpunkte, letztes Jahr waren es 39. Es werden 40.000 Karten aufgelegt, 2014 waren es mehr als 53.000.

Zierhofer-Kin: Kleinteilige Projekte wollten wir nicht in ihrer Kleinteiligkeit auswalzen. Wir haben dieses Jahr größere und damit auch teurere Produktionen eingeladen.

STANDARD: Uraufführungen und Eigenproduktionen sind rar gesät. Das sind doch die Produktionen, die teuer sind.

Zierhofer-Kin: Wir haben viele Koproduktionen im Programm. Das kostet. Wir hatten ursprünglich zwei große Uraufführungen für dieses Jahr geplant. Die haben sich leider vonseiten der Künstler verschoben.

STANDARD: Vergangenes Jahr war die Auslastung schlecht. Müssen Sie Geld einsparen?

Zierhofer-Kin: Nein, wir haben ausgeglichen bilanziert. Das Gerücht über die schlechte Auslastung kommt daher, dass viele zu einem Zeitpunkt in den Gösserhallen waren, als dort wenig los war. Das Gerücht stimmt nicht, die Auslastung war gut.

STANDARD: Die allgemeine Resonanz auf Ihre erste Saison war allerdings verheerend.

Zierhofer-Kin: Ich würde gern benennen, woran das lag. Erstens: Die Eröffnung mit dem Künstler Tianzhuo Chen ging dramaturgisch in die Hose. Zweitens: Auch die Eröffnungsarbeit in den Gösserhallen hat nicht funktioniert. Dazu die Überflutung mit Diskurs und allzu ähnlichen Arbeiten. Aber: Wir hatten Castellucci, Beltrão, Brook, das sind unantastbare Künstler. Es gibt in dieser Stadt furchtbare Polemiker.

STANDARD: Haben Sie nicht selbst den Polemikern reichlich Nahrung gegeben? In Vorabinterviews bezeichneten Sie das klassische Theater als uninteressant und griffen das bürgerliche Publikum an.

Zierhofer-Kin: Das war eine Dynamik, die unangenehm war. Das Problem ist, wenn Programmpunkte nicht das einlösen, was man sich von ihnen erwartet. Ich nehme die Ohrfeigen gern entgegen und habe auch gelernt: Wenn ich gegen einen Theaterbegriff, der mich nicht interessiert, wettere, heißt das nicht, dass er jemand anderen auch nicht interessieren sollte. Ich glaube aber, dass klassisches Theater in Wien ausreichend vertreten ist. Mit Ersan Mondtag oder Susanne Kennedy zeigen wir heuer eine neue Generation an Theatermachern, die einen anderen Theaterbegriff verfolgen.

STANDARD: Pardon, solche Theaterpositionen gab es immer bei den Festwochen. Manch einer sagt, dass Sie die Festwochen und ihr Publikum nicht ausreichend kannten.

Zierhofer-Kin: Der Vorwurf ist eine Riesenfrechheit! Ich kenne die Festwochen der Luc-Bondy-Zeit wahnsinnig gut, habe unter Schauspielchefin Stefanie Carp alles besucht. Die Festwochen hatten in dieser Zeit entscheidende Positionen zu Gast, die an der Erneuerung des Theaters gearbeitet haben. Allerdings hatten die Festwochen unter Luc Bondy ein konservatives Image.

STANDARD: Positionen aus dem deutschen Stadttheater, kaum risikoreiche Uraufführungen, keine Diskursüberfrachtung: Gehen Sie heuer auf Nummer sicher?

Zierhofer-Kin: Das Programm ist stark inhaltlich gedacht. Ich musste vergangenes Jahr Versprechungen für Produktionen machen, die kuratorisch nicht auf meinem Mist gewachsen sind. Heuer blicke ich den Festwochen beruhigt entgegen, weil ich weiß, wie gut die Produktionen sind. Es werden Bilder von Europa und der Welt gezeichnet, die uns etwas zu sagen haben. Wir verraten nicht die letztjährigen Festwochen, aber wir drücken die Resettaste und wollen es diesmal handwerklich besser hinkriegen.

STANDARD: Es hätte mich nicht erstaunt, wenn Sie direkt auf die schwarz-blaue Regierung reagieren würden. Machen Sie nicht, oder?

Zierhofer-Kin: Ich wollte es nicht zu banal machen. Man soll sich zu den politischen Konstellationen äußern, aber ich glaube, dass die Kunst andere Möglichkeiten hat. Differenzierte. Für den Regisseur Ersan Mondtag zum Beispiel ist Demokratie Simulation. Das zeigt er in der Orestie. Die Politik versucht uns derzeit einzureden, dass wir die Differenzen zu anderen Gruppen und Kulturkreisen betonen müssen. Ich finde, wir müssen die Gemeinsamkeiten herausarbeiten. Ich will inklusiv arbeiten und nicht exklusiv.

STANDARD: Ist nicht gerade der Fokus auf Performances, auf kunstnahe Projekte höchst exklusiv? Die Hemmschwellen fürs Publikum sind hoch, die Zirkel, die sich davon angesprochen fühlen, elitär.

Zierhofer-Kin: Darüber diskutieren wir viel. Wenn ich von Inklusion spreche, meine ich, dass sich unterschiedliche Publika, die sich in ihren Interessen voneinander abgrenzen, wieder vereinen. Die Frage ist, wie Kunst einerseits ein Tool werden kann für Menschen, die normalerweise nicht von ihr tangiert werden. Zum anderen wollen wir neues Publikum ansprechen.

STANDARD: Sie haben letztes Jahr die Zusammenarbeit mit Musikverein und Konzerthaus aufgekündigt. Jetzt hört man, dass Sie im Konzerthaus wieder vorstellig wurden und abgeblitzt sind. Eine späte Racheaktion?

Zierhofer-Kin: Das stimmt so nicht. Ich wollte die Festwochen-Konzerte weiterführen, aber unter anderen Vorzeichen. Das Programm wurde unabhängig von den Festwochen kuratiert, wir haben Geld gegeben. Ich habe für die kommenden Jahre konkrete Konzertpläne – ohne dass man dabei Gummibäume ins Gewächshaus trägt. Ich habe Matthias Naske (Konzerthaus-Leiter, Anm.) per E-Mail meinen Plan vorgestellt, er meinte, er melde sich.

STANDARD: Welchen Plan genau?

Zierhofer-Kin: Wir haben im Klassikbereich ein System, das elitistisch, europäisch und museal ist. Ich würde gern über fundamentale Begriffe des Hörens nachdenken. Was kann Klassik heute bewirken? Es sollte enorm vieler Gründe bedürfen, wenn man etwas Altes aufführt. Es müsste logisch sein, dass man etwas Neues zeigt. Da würde ich gern Partnerschaften anbieten.

STANDARD: Man hört auch, Sie planen ein Projekt mit Marina Abramovic ...

Zierhofer-Kin: Wir sind kurz davor, es zu fixieren. Es wird ein dreiteiliges Projekt, das zwischen Musik, Musiktheater und Performance angesiedelt ist.

STANDARD: Nach den letztjährigen Festwochen gab es Rücktrittsaufforderungen an Sie bzw. die Aufforderung an den Stadtrat, Ihren Vertrag aufzulösen. Wenn die zweite Saison wieder so negativ aufgenommen wird: Werden Sie diesmal von sich aus die Reißleine ziehen?

Zierhofer-Kin: Es kommt darauf an, ob man selbst das Gefühl hat, dass die Vorwürfe gerechtfertigt sind. Wenn das der Fall ist, bin ich der Letzte, der an seinem Sessel klebenbleibt. Neues versuchen heißt auch, einen längeren Atem als eine Saison zu haben. (Stephan Hilpold, 11.5.2018)