Carole Fives, "Eine Frau am Telefon", aus dem Französischen von Anne Braun, € 16,50 / 127 Seiten. Deuticke-Verlag, Wien 2018

Deuticke

Dass ausgerechnet eine Autorin, Jahrgang 1971 auf die Idee kommt, die offensichtlich sehr regelmäßigen Telefonanrufe der eigenen Mutter zu literarisieren, ist kein Zufall. Die Generation der französischen Schriftstellerin und Bildenden Künstlerin Carole Fives ist jetzt an die 50 Jahre alt. Ein Alter, in dem man sich stark mit der Tatsache auseinenadersetzen muss, dass die eigenen Eltern alt werden. Ja genau: Man selbst ist dann der oder die Nächste. Eine sehr amüsante Art sich mit dieser an sich ernsten oder sogar traurigen Tatsache auseinanderzusetzen ist zum Beispiel dieses schmale Romanbändchen von Carole Fives zu lesen, deren jüngstes Buch Eine Frau am Telefon der erste Roman ist, der ins Deutsche übersetzt wurde.

Schon gut, schon gut

Charlène heißt die Mutter, die da unentwegt mit ihrer erwachsenen Tochter telefoniert. Ja sicher, eine nervige Quasselstrippe, über deren Leben wir auf den wenigen 127 Seiten – nicht ohne Punkt und Komma, aber ohne Überschriften oder Kapiteleinteilungen – doch einiges erfahren, was das Leben und vor allem das Alter so mit sich gebracht haben. Nein, Mutter Charlène will natürlich niemanden belästigen ("Ruf doch zurück, wenn du magst"), aber macht auch das, was die meisten Mütter so gut können: Schlechtes Gewissen.

"Schon gut, schon gut", sagt sie gern und meint eigentlich: Nichts ist gut, gar nichts. Denn das Alter, Charlène ist über 60, bedeutet für viele Einsamkeit, der Mann ist schon lange weg und die beiden Kinder sind lange aus dem Haus. Was bleibt – zumindest für Charlène sind Online-Datingportale, ein Hund, eine Krebserkrankung und – genau – die langen Telefonate mit der Tochter, die, wenn die sich die Unterhaltungen konfliktreicher gestalten, auch schnell einmal abgebrochen werden. In Fives kleinem Roman kommt ausschlißelich die alt werdende Mutter zu Wort, aber in die Person am anderen Ende der Leitung kann man sich auch bestens hineinversetzen: Die Tochter, die sich das alles anhören muss: die guten oder zumindest gut gemeinten Tipps, die kleinen Gemeinheiten in allerlei Komplimente verpackt, die vorwurfsvollen Suadas.

Nervig? Natürlich!

Aber es ist auch nicht lustig, krank und alleine zuhause zu hocken und sich nur um die eigenen Befindlichkeiten zu drehen. Deshalb: "Noch mal ich!", sagt Charlène. Es gibt also kein Entrinnen. Nervig? Natürlich! Deshalb ist man bei Lektüre von Eine Frau am Telefon auch ganz froh, dass das Buch nicht umfangreicher ist. "Ich melde mich wieder!", sagt die alte Mutter Charlène am einen Ende der Leitung irgendwann, aber das ist nicht bloß eine Drohung, sondern auch ein unausweichliches Versprechen. Denn noch schrecklicher als nervige Mütter am Telefon sind Mütter, die eines Tages einfach nicht mehr da sind. (Mia Eidlhuber, 12.5.2018)