Goran Djuricin (43) wird auch am Sonntag gegen Meister Salzburg Emotionen zeigen.

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Wien – Es ist rund 30 Jahre her, dass der kleine Goran Djuricin ein Frühstück streichen musste, weil er keinen Bissen runterbrachte. Er hätte sich übergeben, gespieben wie ein von Selbstzweifeln geplagter Reiher. Zu Mittag stand bei der U14 von Rapid ein Waldlauf an. Goran hatte Angst davor, war den Tränen nahe. Amir Bradaric, schon damals sein bester Haberer, war diesbezüglich etwas lockerer, versuchte, den "Gogo" aufzubauen, zu trösten. Er scheiterte grandios. "Ich hatte Panik. Nicht, dass ich es nicht schaffe, sondern dass ich nur Zweiter werde. Zweiter war eine Niederlage. Einerseits war diese Einstellung gut, andererseits war sie eine kleine Katastrophe." In diesem Dilemma steckt der 43-jährige Djuricin noch heute. "Aber es ist abgeschwächt."

Vor knapp zwei Wochen wurde sein Vertrag als Cheftrainer von Rapid um ein Jahr verlängert – plus Option. Das Präsidium hat den Vorschlag von Sportvorstand Fredy Bickel letztendlich einstimmig abgesegnet. Für den Schweizer war er alternativlos: "Djuricin ist ehrlich, lernfähig, willensstark, korrigiert sich selbst. Er ist ein Kämpfer. Die Mannschaft reagiert gut auf ihn. Er kann Spieler entwickeln, schafft es, negative Phasen zu übertauchen." Bickel ist prinzipiell ein Verfechter längerfristiger Verträge. "Aber bei Rapid ist man vorsichtig geworden, das ist zu akzeptieren und zu verstehen."

Der Blues

Djuricin selbst empfand "Erleichterung und Freude. Eine Herausforderung, auf mich warten viele Aufgaben. Es hat sich gezogen, das hat an den Nerven gezehrt. Es gab Phasen, in denen es mir nicht gut ging. Und solche, in denen alles an mir abgeprallt ist."

Wien, Kaisermühlen in den 1980ern. Dort spielt der Blues, es herrscht das Gesetz der Straße. Goran hat zehn Geschwister, er ist der Jüngste. Als er 13 ist, stirbt sein Vater. Zu siebent leben sie in einer Zwei-Zimmer-Wohnung, die Mama arbeitet rund um die Uhr, gibt ihr Bestes. "Ich war ein Kind der Straße, kämpfte, war es gewohnt, mich zu wehren. Erst im Laufe der Zeit habe ich erkannt, dass man besser mit Argumenten antwortet." Aus der Fußballerkarriere wird aufgrund von Verletzungen nichts, mit 18 wird er erstmals Vater (Sohn Marco kickt bei Grasshopper Zürich), fünf Jahre später zum zweiten Mal. "Ich war zwei Jahre zu Hause, mir ist es ganz schlecht gegangen."

Schmerzensgeld

Ein Haberer verschafft ihm einen Job bei der Pensionsversicherungsanstalt, Djuricin verstaut Berge von Akten in Schränken, auch bei ihm kehrt Ordnung ein. Worauf es im Leben ankommt? "Demut, Respekt, Familie, Gesundheit, Erfolg im Job." Wobei Geld für ihn nie eine große Rolle spielte. "Ich bin kein Sparefroh, ich will leben. Es ist ja manchmal wirklich Schmerzensgeld."

Fußball war zunächst ein Nebenerwerb. 2012 fand er sein Glück in Ebreichsdorf, Ende 2016 holte ihn Damir Canadi als Assistent zu Rapid. Canadis Ära war kurz und von Misserfolgen geprägt, im April 2017 setzten die üblichen Mechanismen ein. Canadi wurde gefeuert, Djuricin befördert. Rapid war in akuter Abstiegsgefahr. "Ich wurde ins kalte Wasser geworfen." Er schwamm gegen den Strom noch auf Platz fünf, also blieb er für die Saison 2017/18 im Amt. Nebenbei büffelte er für die Uefa-Pro-Lizenz, mittlerweile hat er sie, er dürfte rein theoretisch auch Real Madrid trainieren.

Gegen Vorurteile

Djuricin kämpft nach wie vor um Anerkennung, gegen Vorurteile. In sozialen Medien wird er gemobbt, kritisiert, beleidigt. Er hat beschlossen, diese Abgründe zu ignorieren. "Aber andere erzählen sie dir. Ich weiß gerade einmal, wie man Facebook und Instagram schreibt." Djuricin nennt ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit. Als die Aufstellung vor dem Derby publik wurde und Rapid ohne nominellen Stürmer antrat, wurde der Trainer verhöhnt, der Ahnungslosigkeit bezichtigt, seine Entlassung gefordert. Rapid schlug die Austria 4:0. "Und dieselben Leute habe dann Herzerln geschickt. Ich würde mir nie anmaßen, die Arbeit eines Malers, Elektrikers oder Mechanikers zu beurteilen. Außerdem würde ich jedem auch Fehler zugestehen."

Natürlich hat Djuricin Kritikern Stoff geliefert. Da waren die Spuckaffäre und nicht gerade nobelpreisverdächtige Aussagen. In ihm stecke zu viel Ebreichsdorf, Rapid sei ein paar Schuhnummern zu groß, hieß es. "Manche Dinge von mir waren total blöd. Ich lasse mir die Emotionen trotzdem nicht nehmen, das ist gut und manchmal schlecht." Djuricin hat reagiert, einen Medienberater engagiert. "Ich glaube, meine Interviews sind besser geworden."

Vorbilder

Rapid ist Dritter, der Klub steckt in einer schwierigen Phase, ist seit zehn Jahren ohne Titel – eine Rekordleere. "Ich werde mir Mühe geben, alles probieren." Unter Djuricin sind Spieler deutlich besser geworden. Thomas Murg, Kapitän Stefan Schwab, Tormann Richard Strebinger, Dejan Ljubicic. Er selbst hatte einst Zoran Barisic als Vorbild, nun taugt ihm die Mischung aus Jürgen Klopp und Pep Guardiola. "Gutes Positionsspiel, schnelles Umschalten."

Am Sonntag besucht Meister Red Bull Salzburg das Allianz-Stadion. "Die Chancen sind immer 50 zu 50." Djuricin sagt, im Leben sei alles möglich. "Ich bin das beste Beispiel dafür. Man muss die Mitte finden." Er sei keine Ikone von Rapid, müsse sich den Respekt, die Zuneigung der Fans erarbeiten. "Ich habe keinen Bonus, keine Lobby." In Ebreichsdorf habe er sich nach Siegen richtig gefreut, zwei Gläser Bier getrunken. "Bei Rapid ist der Druck enorm. Man freut sich nicht immer, man ist manchmal nur erleichtert."

Ob der Klub in einem Jahr die Option zieht, weiß er nicht. "Das hängt nur vom Erfolg ab." So sei das Gesetz des Fußballs. Und vielleicht auch jenes der Straße. Den Waldlauf hat Goran Djuricin übrigens knapp gewonnen. (Christian Hackl, 12.5.2018)