Was ihr Engagement als Lehrerin anlangt, ist Gerlinde Blattner überzeugt: "Es ist den Aufwand wert."

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Wien – Als Gerlinde Blattner die Schilderungen eines Lehrerkollegen aus einer Wiener Handelsschule im STANDARD gelesen hat, wollte sie dem ihre "Erfahrungswelt zur Seite, wenn nicht entgegen" stellen. Also schrieb sie eine E-Mail, mehr als eine A4-Seite lang. Darin schildert die Pädagogin, die seit 39 Jahren unter anderem Religion, Geschichte, Ethik und Persönlichkeitsbildung unterrichtet, von ihrer aktuellen Schule, der Handelsakademie und Handelsschule Steyr, die "bei weitem keine problemfreie Zone" sei.

"Ja, ich bin oft schweißgebadet aus dem Unterricht gegangen", berichtet Frau Blattner. Und "ja, in den Klassen geht es oft laut, wenig diszipliniert und chaotisch zu". Auch gebe es besonders in der Handelsschule (HAS) "einen ganz hohen Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund". Aber, und dieses "Aber" ist Frau Blattner sehr wichtig: Mit den Jahren habe sie "sehen gelernt, mit welch unglaublich großen Rucksäcken an Problemen" manche Schülerinnen und Schüler zu ihr kommen, "wie materielle, soziale und emotionale Not sie am Lernen hindert".

Im Gespräch mit dem STANDARD erzählt sie auch von selbstmordgefährdeten Teenagern – letztlich habe sie "die ganze Bandbreite der jugendlichen Leiden" kennengelernt. Viele von ihnen würden "Unterstützung weit über den Unterricht hinaus benötigen", manche brauchten auch nur jemanden, "der nachfragt, wie's denn so geht".

Das alles sei sehr aufwendig, brauchte viel bessere psychologische Unterstützung und bedeute ganz sicher: "Der Unterricht an der HAS ist nichts für Feiglinge." Aber was ihr Engagement anlangt, ist Frau Blattner überzeugt: "Es ist den Aufwand wert."

Dass die ministeriale Unterstützung, etwa was die psychologische Betreuung anlangt, "deutlich ausbaufähig" sei, illustriert die Lehrkraft mit Beispielen aus ihrem Schulalltag. Immer wieder gäbe es Situationen, in denen sie zeitnah – und das ist wichtig – einen Termin beim schulpsychologischen Dienst gebraucht hätte, doch leider habe sie damit nie Glück gehabt. Auch die Direktorin habe sich deswegen bereits "die Füße wundgelaufen" – leider vergeblich.

Trotzdem schaffe man es oft mit hohem Einsatz und in einem anscheinend wunderbar funktionierenden und motivierenden Team, die Jugendlichen zu ihrem Schulabschluss zu bringen. Das gelinge mal mehr, mal weniger und erfordere oft viel Geduld, bis ein passender Weiterbildungsplatz gefunden werde.

"Gemeinsam hilflos"

Wenn aus dem Bildungsministerium jetzt Ideen wie verschärfte Regeln bezüglich Anwesenheitspflicht kommen (Anzeigepflicht ab dem dritten Tag ungerechtfertigten Fehlens sowie höhere Geldstrafen), muss Frau Blattner schmunzeln. Nicht deshalb, weil das kein Thema sei – "damit kämpfen wir natürlich" -, sondern weil Strafen ihrer Meinung nach nichts bringen. Entweder seien die Eltern so schulfern, dass hier kein Umdenken erfolge. Oder, und das habe sie in Elterngesprächen viel häufiger erlebt: "Zum Teil waren wir einfach nur gemeinsam hilflos."

Weil das nicht reicht, hat Pädagogin Blattner ihr eigenes Rezept im Umgang mit notorischen Schulschwänzern gefunden. Einerseits über die Beziehungsebene: Ich versuche sie zu motivieren, ihnen gut zuzureden – "aber ich meine nicht zu Tode streicheln"! Oft müsse man genauer hinschauen, warum ein Kind so oft fehlt. Es ist auch schon vorgekommen, dass ein Schüler ständig zu spät gekommen ist, weil er täglich den kleinen Bruder zur Schule bringen musste. Und manches müsse man auch einfach "aussitzen".

Und damit sich jeder auskennt, was ihn bei zu vielen Fehlstunden erwartet, weiß jeder in Frau Blattners Klasse: Wer mehr als 20 Prozent des Unterrichts versäumt, muss eine zusätzliche Prüfung machen. "Da üben sie dann gleich Prozent rechnen", bemüht sich die Pädagogin auch hier um einen positiven Blick auf das Ganze. (Karin Riss, 14.5.2018)