Eine Demonstration der Identitären 2015 in Spielfeld. Gegen 17 IBÖ-Mitglieder und Sympathisanten wurde nun Anklage erhoben.

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Graz/Wien – Die Staatsanwaltschaft Graz hat gegen zehn führende Vertreter der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ) sowie gegen sieben weitere aktive Sympathisanten eine Anklage wegen Verhetzung und krimineller Vereinigung, teils auch wegen Sachbeschädigung und Nötigung eingebracht. Das teilte die Behörde am Montag mit. Insgesamt handelt es sich um 16 Männer und eine Frau. Unter ihnen ist auch der Chef der Bewegung Martin Sellner.

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Schlag in die Magengrube

Laut dem Sprecher der Staatsanwaltschaft, Hansjörg Bacher, sind elf der Personen wegen Verhetzung angeklagt, alle 17 wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung, sechs wegen Sachbeschädigung und ein Mann wegen Nötigung. Letztere bezieht sich auf einen Vorfall im Juni 2016 an der Uni Klagenfurt, wo der Rektor Oliver Vitouch bedroht wurde und einen Schlag in die Magengrube versetzt bekam. Er hatte versucht, einen der Männer aufzuhalten, die eine Vorlesung gestürmt hatten.

Finanzen und Verbandsverantwortlichkeit

Beim ursprünglichen Ermittlungsverfahren, das gegen die "Bewegung", wie sich die Identitären selbst nennen, geführt wurde, ging es einerseits um das Finanzstrafgesetz, weil der Verdacht bestehe, dass die vier Verbände der Identitären in Österreich (drei Vereine und eine Offene Gesellschaft) Steuern hinterzogen haben, erklärt Bacher auf STANDARD-Nachfrage. Die IBÖ habe nämlich durch den Verkauf von Merchandising (T-Shirts, Jacken, Hosen) und Spenden Geld eingenommen. Andererseits wurde auch in Sachen Verbandsverantwortungsgesetz ermittelt. Aus diesen Ermittlungsverfahren heraus erfolgten vor wenigen Wochen die Hausdurchsuchungen – DER STANDARD berichtete.

Rücktrittsaufforderung an FPÖ-Gemeinderat

Die ganze Causa könnte auch in der schwarz-blauen Grazer Koalition für Ärger sorgen, denn der Vermieter der Räume der Identitären-Zentrale in Graz ist der FPÖ-Gemeinderat Heinrich Sickl. Der gebürtige Kärntner und Sohn der ehemaligen Sozialministerin Elisabeth Sickl (FPÖ) sorgte schon vor seiner Angelobung für Aufregung. Er hat eine Neonazi-Vergangenheit, von der er sich distanzierte, wie Vizebürgermeister Mario Eustacchio (FPÖ), der ihm eine zweite Chance geben wollte, mehrmals betonte.

Der 45-jährige Sickl war außerdem bei einer in der Anklage behandelten Aktion auf dem Dach der Grünen-Zentrale in Graz anwesend, weshalb die grüne Stadträtin Tina Wirnsberger am Montag Sickls Rücktritt forderte. Der Sprecher von Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) wollte das nicht weiter kommentieren. "Wir sind nicht das Kindermädchen der FPÖ, wir arbeiten in der Koalition sachpolitisch", sagte Thomas Rajakovics. "Parteiinternes muss die FPÖ selbst regeln."

Sickl selbst quittierte eine STANDARD-Nachfrage mit "Ich sage sicher kein Wort dazu". Anklage wurde gegen Sickl jedenfalls nicht erhoben. Grünen-Gemeinderätin Wirnsberger betont, Nagl sei nun "gefordert, den Ruf der Menschenrechtsstadt Graz nicht noch weiter zu gefährden, indem er in den Reihen des Gemeinderats Personen mit einer so eindeutigen Nähe zu mutmaßlich kriminellen Vereinigungen duldet. "Heinrich Sickl muss zurücktreten."

Strikte Trennung der Ethnien

In einer Aussendung der Staatsanwaltschaft wird auch der Vereinszweck der rechtsextremen IBÖ beschrieben: "Die Vertreter der IBÖ sehen die kulturelle europäische Identität durch Multikulturalismus, Liberalismus und Islamisierung bedroht. Die IBÖ und ihre Aktivisten streben die strikte Trennung der in Europa lebenden Völker an und lehnen die kulturelle 'Vermischung' der Ethnien ab." Nach dem NS-Verbotsgesetz gibt es keine Anklage.

Muslime "potenziell terroristisch" dargestellt

"Seit der Gründung der Bewegung in Österreich versuchen Vertreter der IBÖ ihre fremdenfeindliche Ideologie durch provokante Aktionen, Internetauftritte, Demonstrationen, Stammtische, Plakatierungen sowie den Verkauf von Propagandamaterial über ein von zwei der Angeklagten im Jahr 2016 eigens dafür gegründetes Unternehmen (Versandhandel) zu verbreiten. Dabei nützen sie die auch in der österreichischen Bevölkerung stetig zunehmende Angst vor radikalislamistischen Terroranschlägen, um den Islam generell mit islamistischem Terror gleichzusetzen und jede in Österreich lebende, der muslimischen Bevölkerungsgruppe zuzuordnende Person als potenziell terroristisch darzustellen", heißt es in der Aussendung der Staatsanwaltschaft.

Auf dem Dach der Grazer Grünen-Zentrale

Auch die Aktion vom April 2016, bei der die rechtsextremen Aktivisten auf die Parteizentrale der steirischen Grünen in Graz kletterten und ein 16 Meter breites Transparent mit der Aufschrift "Islamisierung tötet" entrollten und Kunstblut verschütteten, ist Ermittlungsgegenstand. Ein Propagandafilm dieser Aktion, der online verbreitet wurde, enthielt laut Staatsanwaltschaft weitere "höchst islamfeindliche Parolen". Untersucht wurden auch Aktionen in Maria Lankowitz 2016 und in Wien 2017, die ebenfalls den Tatbestand der Verhetzung erfüllen sollen.

"Ziel dieser Aktionen und sehr öffentlichkeitswirksam betriebenen Propaganda der führenden Vertreter der IBÖ war es, zu Hass gegen die Religionsgemeinschaft des Islam, gegen Muslime, Ausländer und Flüchtlinge und insbesondere auch türkische Staatsangehörige aufzustacheln und diese Gruppen durch Beschimpfungen in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen und herabzusetzen", erklärt die Staatsanwaltschaft.

Prozess in Graz

Wann und von welchem Richter verhandelt wird, ist noch unklar. "Ich kann dazu noch gar nichts sagen", erklärt die Sprecherin des Grazer Straflandesgerichts, Barbara Schwarz. Der auf Medienrecht spezialisierte Richter Christoph Lichtenberg, der für das Verfahren infrage käme, war bereits im Ermittlungsverfahren tätig, womit fraglich ist, ob er den Vorsitz übernehmen kann. (Colette M. Schmidt, 14.5.2018)