Im Kibbuz Nahal Oz an der Grenze zu Gaza brennt ein Weizenfeld

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Noch vor der offiziellen Eröffnung der US-Botschaft in Jerusalem versammelten sich zahlreiche Menschen entlang des Sicherheitszauns zwischen dem Gazastreifen und Israel.

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Schwarzer Rauch stieg nach der Verbrennung zahlreicher Autoreifen auf.

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Seit Ende März wird an der Grenze protestiert, immer wieder kommt es zu Zusammenstößen zwischen den palästinensischen Demonstranten und der israelischen Armee. Diese setzte am Montag auch Tränengas ein.

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Tränengasabwurf aus israelischer Drohne.

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Israel warnte die Bewohner des Gazastreifens per Flugblatt davor, sich dem Grenzzaun zu nähern.

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Jerusalem – Die USA haben am Montag ihre neue Botschaft in Jerusalem offiziell eröffnet. Schon Stunden davor kam es an Israels Grenze zum Gazastreifen zu schweren Protesten zehntausender Menschen. Mindestens 58 Palästinenser seien dabei durch Schüsse israelischer Soldaten getötet worden, erklärte das palästinensische Gesundheitsministerium am Montag. Mehr als 2.770 wurden demnach verletzt, jeder zweite davon durch Schüsse. Es war der Tag mit den meisten Todesopfern seit dem Gaza-Krieg 2014.

Laut dem Rettungsdienst Roter Halbmond waren unter den Toten ein 14-Jähriger sowie ein Rollstuhlfahrer, der auf Bildern in den sozialen Medien mit einer Steinschleuder zu sehen gewesen war.

US-Blockade im Sicherheitsrat

Unter den Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats kursierte am Montag der Entwurf für eine gemeinsame Stellungnahme zu der Gewalt, in der auch eine unabhängige Untersuchung gefordert wurde. "Der Sicherheitsrat drückt seine Empörung und sein Bedauern über die Tötung palästinensischer Zivilisten aus, die ihr Recht auf friedlichen Protest ausübten", hieß es in dem Entwurf, der der Nachrichtenagentur AFP vorlag.

Diesen Entwurf blockierten die USA jedoch, wie ein Diplomat der Deutschen Presse-Agentur bestätigte. Der Rat wollte am Dienstag über die Lage beraten und sich dabei auch vom Nahost-Beauftragten Nikolaj Mladenow informieren lassen.

ORF-Korrespondent Ben Segenreich berichtet aus Jerusalem.
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Zahlreiche Palästinenser setzten im Grenzbereich Reifen in Brand, dichter schwarzer Rauch stieg in den Himmel. Laut Berichten von Augenzeugen versuchten mehrere Männer den Grenzzaun zu durchschneiden. Die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) rief für Dienstag zum Generalstreik auf.

Die israelische Luftwaffe flog einen Angriff auf die im Gazastreifen herrschende radikalislamische Hamas. Der Angriff habe sich gegen "fünf terroristische Ziele" in einem militärischen Ausbildungslager der Hamas im Norden des Gazastreifens gerichtet, erklärte die Armee am Montag.

Proteste und Generalstreik

Die israelische Armee hat die Zahl ihrer Soldaten an der Grenze wegen der Proteste verdoppelt. Alle politischen Fraktionen im Gazastreifen riefen zudem zum Generalstreik auf. Geschäfte, Schulen und Universitäten blieben geschlossen.

EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini rief alle Seiten "zu äußerster Zurückhaltung" auf. "Israel muss das Recht auf friedlichen Protest und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beim Einsatz von Gewalt respektieren", erklärte Mogherini am Montag. Die radikale Palästinenserorganisation Hamas und die Protestorganisatoren im Gazastreifen müssten ihrerseits für gewaltfreie Demonstrationen sorgen.

US-Vorwürfe gegen Hamas

Das Weiße Haus sieht die Verantwortung für die Gewalt im Gazastreifen voll und ganz bei der radikal-islamischen Hamas. Die Hamas habe die Situation auf zynische Weise ausgenutzt, sagte der Sprecher von US-Präsident Donald Trump, Raj Shah, am Montag in Washington.

Die aktuelle Eskalation werde einem Friedensplan aber nicht schaden, sagte Shah. Dieser Friedensplan der US-Regierung werde zu einem angemessenen Zeitpunkt vorgelegt werden. Auf die Frage, ob die USA Israel angesichts vieler Toter bei Zusammenstößen vom Montag zur Zurückhaltung aufrufe, sagte Shah, das sei nicht nötig. Die Hamas trage die Verantwortung.

Zum 70. Jahrestag der Gründung Israels eröffneten die USA am Montagnachmittag im Beisein von rund 800 Gästen aus Israel und den USA in einem umstrittenen Schritt ihre Botschaft in Jerusalem. US-Präsident Donald Trump hatte Jerusalem im Dezember im Alleingang als Israels Hauptstadt anerkannt. Aus den USA nimmt eine Riesendelegation an der Eröffnungszeremonie teil, die Israel als großen Triumph feiert.

Auch Präsidententochter Ivanka Trump und ihr Ehemann Jared Kushner sind am Sonntag dafür angereist, Donald Trump selbst blieb in Washington. Er schickte zusätzlich noch seinen stellvertretenden Außenminister John Sullivan, Finanzminister Steven Mnuchin und den Nahost-Gesandten Jason Greenblatt. Diplomaten weiterer Staaten wurden nicht eingeladen – die USA und Israel halten die Einweihung für ein bilaterales Ereignis.

Netanjahu spricht von "bewegendem Tag"

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu sprach von einem "bewegenden Tag für das Volk Israel und den Staat Israel". Netanjahu zitierte am Montag auf Twitter aus der Bibel: "Als der Herr die Gefangenen Zions zurückbrachte, da waren wir wie Träumende." Israel habe "keine besseren Freunde auf der Welt" als die USA, sagte Netanjahu.

Netanjahus Bibelzitat im Original auf Hebräisch.
Begrüßung der US-Delegation in Jerusalem.

Anlässlich der Feierlichkeiten am Montag in Jerusalem erklärte der US-Präsident in einer Videobotschaft: "In Freundschaft reichen wir Israel, den Palästinensern und allen Nachbarn die Hand." Sein anwesender Schwiegersohn und Berater Jared Kushner betonte, die US-Regierung werde sich weiter um ein Friedensabkommen zwischen Israelis und Palästinensern bemühen.

Der palästinensische Ministerpräsident Rami Hamdallah bezeichnete Trumps Entscheidung hingegen als "krassen Verstoß gegen internationales Recht und Missachtung der Grundwerte von Gerechtigkeit und Moral". Einen "tragischen Tag in der palästinensischen Geschichte" für die Eröffnung auszuwählen beweise zudem einen "Mangel an Sensibilität und Respektlosigkeit für die Grundwerte des Friedensprozesses".

Im Gazastreifen und dem Westjordanland begannen unterdessen drei Tage der Trauer. Für Dienstag hat Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas einen Generalstreik ausgerufen, zudem gedenken die Palästinenser am Nakba-Tag traditionell der Vertreibung und Flucht Hunderttausender im Zuge der israelischen Staatsgründung 1948.

Seit Ende März sind bei gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Palästinensern und israelischen Soldaten an der Gaza-Grenze 55 Palästinenser getötet und tausende verletzt worden.

Erdogan sieht Völkermord

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan bezeichnete das Blutvergießen im Gazastreifen als Völkermord. "Egal von welcher Seite er kommt, von Amerika oder von Israel, ich verfluche dieses humanitäre Drama, diesen Genozid", sagte Erdogan nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am Montagabend. Aus Protest zog die Türkei ihre Botschafter aus Washington und Tel Aviv ab und ordnete drei Tage Trauer für die getöteten Palästinenser an.

Auch zahlreiche andere, vor allem arabische Staaten kritisierten das Vorgehen gegen die Palästinenser scharf. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verurteilte am Montag "die Gewalt der israelischen Streitkräfte gegen die Demonstranten" und beklagte "die große Zahl ziviler palästinensischer Opfer in Gaza heute und in den vergangenen Wochen". Am Dienstag wolle er mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu sprechen. Die EU rief alle Seiten zur Zurückhaltung auf, die UN forderten eine politische Lösung des Konfliktes.

Völkerrechtlich heikler Status Jerusalems

Bisher befand sich die US-Botschaft in Tel Aviv, so handhaben es auch andere Staaten: Da der Status Jerusalems aus völkerrechtlichen, politischen und religiösen Gründen als heikel gilt, stehen ihre Botschaften ebenfalls in oder rund um Tel Aviv, denn der Ostteil Jerusalems gehört völkerrechtlich nicht zu Israel.

1947 verabschiedete die Uno-Generalversammlung ihre Resolution 181. Sie enthielt einen Teilungsplan, der auf dem britischen Mandatsgebiet einen jüdischen und einen arabischen Staat vorsah mit Jerusalem als eigener Einheit unter internationaler Kontrolle. Umgesetzt wurde die Resolution jedoch nie. Im ersten israelisch-arabischen Krieg 1948 verteidigte Israel seine Unabhängigkeit, Ägypten und Jordanien gewannen die Kontrolle über die palästinensischen Gebiete Gaza und Westjordanland einschließlich Ostjerusalems. Westjerusalem stand unter israelischer Kontrolle. Im Sechstagekrieg 1967 eroberte Israel dann Ostjerusalem von Jordanien.

Jordanien hatte Ostjerusalem 1950 annektiert. Israels Parlament erklärte mit dem "Grundgesetz zu Jerusalem" später Jerusalem – einschließlich der 1967 besetzten Gebiete im Osten der Stadt – zur vollständigen und unteilbaren Hauptstadt. Dieser Schritt wurde international nicht anerkannt. Völkerrechtlich gehört Ostjerusalem zum besetzten Westjordanland. Der UN-Sicherheitsrat erklärte die Annexion mit der Resolution 478 für nichtig.

EU kritisiert US-Schritt

Trump erkennt Jerusalem zwar als israelische Hauptstadt an, inklusive jener Teile, die laut Völkerrecht als besetzt gelten. Er hält jedoch daran fest, dass das Schicksal der Stadt Gegenstand von israelisch-palästinensischen Verhandlungen sein soll. Bis heute reklamieren beide Seiten die Stadt ganz oder in Teilen für sich: Israel beansprucht ein ungeteiltes Jerusalem, die Palästinenser sehen zumindest Ostjerusalem als Hauptstadt eines zukünftigen palästinensischen Staates. Pragmatische Friedenslösungen sehen allerdings höchstens eine palästinensische Hauptstadt in Ostjerusalem vor.

Die EU hält weiterhin daran fest, dass der Status Jerusalems zwischen Israelis und Palästinensern geklärt werden muss. Brüssel kritisiert die USA für ihren Schritt, da dadurch eine neuerliche Eskalation des Nahostkonflikts drohe. Eine diesbezügliche Resolution scheiterte allerdings am Widerstand Ungarns, Tschechiens und Rumäniens. Diese drei Länder und Österreichs Botschafter in Israel, Martin Weiss, waren die einzigen EU-Vertreter, die ihre Teilnahme an einem Galaempfang im Außenministerium in Jerusalem am Sonntagabend zugesagt hatten.

Platz in Jerusalem soll nach Trump benannt werden

Bei der Botschaftsverlegung handelt es sich laut US-Angaben um einen "mehrjährigen Prozess". Das Gebäude, in das US-Botschafter David Friedman am Montag von Tel Aviv aus wechseln soll, befindet sich in Arnona, einem Stadtteil im Süden Jerusalems. Die Räume in einem bisherigen Konsulat sind nur ein Provisorium. Die Straßenschilder wurden bereits ausgetauscht, "US-Botschaft" steht nun dort, wo früher "US-Konsulat" zu lesen war. Zunächst soll Friedman zwischen Jerusalem und Tel Aviv pendeln. 400.000 Dollar (knapp 340.000 Euro) haben sich die USA laut einer Botschaftssprecherin den Umbau der Räume in Arnona bereits kosten lassen. Langfristig ist ein neuer Botschaftsbau in Jerusalem geplant.

Zum Dank für die US-Entscheidung soll ein kleiner Platz in der Nähe der neuen Botschaft nach Trump benannt werden. Damit solle dem Präsidenten und den Bürgern der USA "unsere Liebe und unser Respekt" ausgedrückt werden, sagte Bürgermeister Nir Barkat am Donnerstag.

Von 16 auf null Botschaften in Jerusalem

16 Länder hatten in der Vergangenheit bereits ihre Botschaft in Jerusalem, aktuell ist allerdings keine mehr dort. Einige von ihnen erwägen nun, dorthin zurückzukehren. Nach dem Jom-Kippur-Krieg 1973 hatten Côte d'Ivoire, Zaire (heute Demokratische Republik Kongo) und Kenia aus Protest ihre diplomatischen Beziehungen zu Israel gekappt und ihre Botschaften in Jerusalem geschlossen. Bei der Wiederaufnahme der Beziehungen wurden die Botschaften nach Tel Aviv verlegt.

Mehrere lateinamerikanische Staaten (Bolivien, Chile, Kolumbien, Costa Rica, die Dominikanische Republik, Ecuador, El Salvador, Panama, Uruguay und Venezuela) sowie Haiti und die Niederlande hatten ihre Vertretungen zwischenzeitlich in Jerusalem. Die meisten Verlegungen erfolgten 1980 infolge der Annexion Ostjerusalems. Die letzten Länder, die ihre Botschaften aus Jerusalem abzogen, waren Costa Rica und El Salvador im Jahr 2006. (APA, giu, red, 15.5.2018)