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Michael Ludwig lässt sich unter dem Motto "Heimat" plakatieren.

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Es waren ja alle so beschäftigt damit, dem scheidenden Wiener Bürgermeister Michael Häupl zu huldigen. Da fiel dieser kleine Satz in der Rede seines Nachfolgers, der seine Rhetorik wohl noch polieren muss, gar nicht weiter auf: Wien sei, "was wir daraus machen", sagte Michael Ludwig. Und im nächsten Satz: Heimat sei, wo man sich nicht erklären müsse. Und damit es alle verstehen, lässt Ludwig den Begriff jetzt auch wienweit plakatieren – als einen von vier Schwerpunkten, neben "Chancen" , "Wachstum" und "Digital" – immer mit dem Zusatz: "Wien ist, was wir daraus machen."

Michael Ludwig hat sein neues Team präsentiert. Welche Wünsche und Erwartungen haben Wiener an die zukünftige Stadtpolitik? DER STANDARD hat sich in der Mariahilfer Straße umgehört.
DER STANDARD

Wer hätte das gedacht: Der einstige Kampfbegriff des rechten Lagers, im linken so verpönt wie Gartenzwerge und Spießertum, ist nun auch bei Wiens Sozialdemokraten angekommen. Mag sein, dass man auf Sigmar Gabriel gehört hat: Der ehemalige deutsche Außenminister und Ex-SPD-Chef regte schon Ende des Vorjahres im Spiegel an, die Begriffe "Heimat" und "Leitkultur" nicht den Konservativen zu überlassen. Mag auch sein, dass man sich das in Wien von den letzten vier Landtagswahlkämpfen abgeschaut hat, alle Landeshauptleute, die erfolgreich ihre Mehrheiten verteidigten, hoben in ihren Kampagnen ihr "Da sein fürs Land", die Kostbarkeit der "Heimat" hervor.

Sehr heimelig war es auch im schier ewig dauernden Präsidentschaftswahlkampf. Am Abend des 4. Dezember 2016 standen hunderte Anhänger des siegreichen Präsidentschaftskandidaten Alexander Van der Bellen dichtgedrängt und sangen aus vollen Hälsen "I Am from Austria", die Hymne des Rainhard Fendrich. Manche hatten sogar, US-amerikanisch, die Hand aufs Herz gelegt.

Unsicherheit von außen

Ludwig bekennt sich auch zur "Heimat Wien". Gleichzeitig beschwört er "Sicherheit" und setzte vor seinem Amtsantritt politische Zeichen. Auch in Wien denkt man jetzt laut über ein Kopftuchverbot nach, auf die Messerattacke eines Asylwerbers nahe dem Praterstern reagiert die Stadt mit einem Alkoholverbot auf dem Platz. Ludwig signalisiert damit auch – vielleicht unfreiwillig: Unser Heimatgefühl ist bedroht, wenn wir uns nicht mehr sicher fühlen. Unsicherheit kommt von außen.

Für Andreas Maier, den in Hamburg lebenden "hessischen Heimatdichter", der mit seinem Großprojekt "Ortsumgehung" gerade den Heimatbegriff neu definiert, sind es dagegen nicht die "Zugereisten", sondern die "Hiesigen", die "seine" Heimat dauernd vernichteten, wie er kürzlich in der Literaturbeilage des Spiegel schrieb. "Sie nennen es nicht Vernichtung, sondern Fortschritt oder Ökonomie", schreibt Maier. Heimat klinge in der derzeitigen Verwendung "wieder aggressiv und beharrend, polemisch und propagandistisch", im Sinne von: "Ich gehöre hier in meine Heimat, aber andere gehören hier nicht hin."

So sei das im Van-der-Bellen-Wahlkampf jedenfalls nicht gemeint gewesen, protestiert Lothar Lockl, der ehemalige Berater des grünen Präsidentschaftskandidaten. "Es ging um Zuhören, um Wertschätzung der Menschen", sagt Lockl. "Wir wollten positiv darüber reden, was uns als Land zusammenhält." Quer durch Österreich habe Van der Bellen viele Menschen kennengelernt, die angewidert seien von Häme und Verspottung in der Politik. Lockl: "Viele denken sich: Österreich ist so schön, hier haben wir's so gut, warum sind die so grauslich zueinander?"

Urbaner Kontext

Das widere vor allem auch junge Wähler an, bestätigt Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier. Er arbeitet gerade an einer Studie über den "Heimatbegriff im urbanen Kontext" und sieht vor allem eine "Sehnsucht nach Sauberkeit, Ordnung, Zugehörigkeit, Zu-Hause-Sein". "Regrounding" nennt das der Fachmann, und für Heinzlmaier hängt das mit der Abstiegsgesellschaft zusammen, "ab der Mittelschicht abwärts". Junge, unerschrockene Kosmopoliten, deren Heimat dort ist, wo ihre Freunde sind – das sei ein Phänomen der oberen Schichten.

Der Stolz der Österreicher auf ihre Nation lässt sich auch wissenschaftlich erheben. 2006 erhoben Forscher des National Opinion Research Center an der Universität von Chicago den Nationalstolz der Menschen in 33 Ländern. Das Ergebnis: Die USA und Venezuela teilten sich den Spitzenplatz, alle europäischen Länder landeten weit hinten auf den Rängen. Mit einer Ausnahme: Österreich rangierte auf Platz vier, knapp hinter Australien. Dieser Heimatstolz, so schlussfolgerten die Forscher, sei ein Phänomen eher junger Nationen, die sich ihrer Identität noch nicht so sicher seien.

Dabei waren die Österreicher, wie sich zeigte, nicht nur auf rot-weiß-rote Sporterfolge stolz, sondern befanden, dass ihr Land insgesamt deutlich besser sei als jedes andere der Welt. Das will man auch in der Wiener SPÖ registriert haben. Es gebe diesen "Wunsch nach Geborgenheit in einer sich rasch verändernden Welt", sagt etwa Josef Kalina, der schon viele SPÖ-Spitzenpolitiker beraten hat.

Dass man in Wien mit positiven Heimatgefühlen reüssieren kann, ist nicht unmöglich: "Alle Wiener sind zum Beispiel stolz auf das gute Hochquellenwasser", weiß Kalina. Dass dieses eigentlich aus der Steiermark kommt, wird dabei freilich tunlichst ignoriert. Jugendforscher Heinzlmaier kann berichten, "dass die Stadt eigentlich als Ansammlung kleiner Dörfer gesehen wird". Daraus ergebe sich: "Das Grätzl ist die Heimat."

Dirndl und Lederhosen

Da auch in der Bundeshauptstadt "Wiesn-Feste" in Dirndl und Lederhosen gefeiert werden, wird sich wohl auch eine kleine Peinlichkeit von Alfred Gusenbauers Wahlkampf 2006 nicht wiederholen. Damals waren die Edlseer mit ihrer "Hoamat"-Musik fix gebucht für Wahlkampfauftritte. Nur beim Stopp in Wien durften sie nicht mit dabei sein – die Wiener SPÖ war strikt dagegen. "Zu ländlich", hieß es parteiintern.

Beim Abschlussfest am Wiener Viktor-Adler-Markt traten sie dann doch auf, finanziert von der Bundespartei, gleich nach der Gusenbauer-Rede. "Nach einer Minute schunkelte der ganze Platz mit", erzählt ein Augenzeuge.

Das könnte auch ein Konzept für Michael Ludwig sein. Ein wenig Geschunkel kann einen Neustart durchaus versüßen. (Petra Stuiber, 15.5.2018)