Nach knapp 70 billardstel Sekunden (Femtosekunden) haben sich die Wassermoleküle bereits weitgehend in Wasserstoff (weiß) und Sauerstoff (rot) getrennt.

Illustr.: Carl Caleman, DESY/Universität Uppsala
Innenansicht des ultrastrarken Lasers am SLAC National Accelerator Laboratory, mit dem die Rekorderhitzung gelang.
Foto: SLAC National Accelerator Laboratory

Hamburg/Standford – Internationale Wissenschafter haben einen Röntgenlaser dazu benutzt, Wasser in 75 Femtosekunden (eine Femtosekunde ist der milliardste Teil einer Millionstelsekunde) von Zimmertemperatur auf 100.000 Grad Celsius zu erhitzen. Das Experiment erzeugte dabei einen exotischen Zustand des Wassers, von dem sich die Forscher neue Einblicke in die besonderen Eigenschaften dieser wichtigen Flüssigkeit erhoffen. Das Team um Carl Caleman vom Center for Free-Electron Laser Science (CFEL) auf dem DESY-Campus in Hamburg und der Universität Uppsala in Schweden stellt seine Resultate nun in der Fachzeitschrift "PNAS" vor.

Die Forscher schossen mit dem Freie-Elektronen-Laser LCLS am US-Forschungszentrum SLAC (Stanford Linear Accelerator Center) ultrakurze und hochintensive Röntgenblitze auf einen feinen Wasserstrahl. Dieses neuen Gerät, das nun auch den Titel "schnellster Wasserkocher der Welt" tragen darf, ist extrem hell und kann bis zu eine Million Impulse pro Sekunde aussenden.

"Das ist sicherlich nicht der übliche Weg, Wasser zu kochen", erläutert Caleman. "Normalerweise rüttelt man quasi immer stärker und stärker an den Wassermolekülen, wenn man Wasser erhitzt." Auf der molekularen Ebene ist Hitze gleich Bewegung. Je heißer, desto stärker bewegen sich die Moleküle eines Stoffs. Das lässt sich beispielsweise durch Wärmeübertragung auf einer heißen Herdplatte erreichen, oder im Fall von Wasser direkter mit einem Mikrowellenofen, der die Wassermoleküle dazu anregt, im Takt der Mikrowellen zu schwingen.

Augenblickliche Phasenumwandlung

"Unsere Heizung ist ganz anders", betont Caleman. "Der energiereiche Röntgenblitz schlägt die Elektronen aus den Wassermolekülen hinaus und zerstört so die Balance der elektrischen Ladung. Die Atome spüren plötzlich eine starke abstoßende Kraft und beginnen, sich heftig zu bewegen." In weniger als 75 Femtosekunden – das sind 0,000 000 000 000 075 Sekunden – durchläuft das Wasser eine Phasenumwandlung von flüssig zu einem Plasma. Plasma ist ein Aggregatzustand der Materie, bei dem die Elektronen von den Atomen gelöst wurden, so dass eine Art elektrisch geladenes Gas entsteht.

"Während aus dem flüssigen Wasser ein Plasma entsteht, behält es jedoch die Dichte des flüssigen Wassers bei, da die Atome noch keine Zeit hatten, sich nennenswert zu bewegen", erläutert Koautor Olof Jönsson von der Universität Uppsala. Dieser exotische Zustand kommt auf der Erde nirgends natürlicherweise vor. "Er hat ähnliche Eigenschaften wie einige Plasmen in der Sonne und im Gasriesen Jupiter, hat aber eine geringere Dichte", sagt Jönsson. "Dabei ist er heißer als der Erdkern."

"Merkwürdige Flüssigkeit"

Die Forscher nutzten ihre Messungen, um Computersimulationen des Prozesses zu validieren. Die Messungen und Simulationen zusammen erlauben eine nähere Untersuchung dieses exotischen Zustands, um die allgemeinen Eigenschaften von Wasser besser zu verstehen. "Wasser ist wirklich eine merkwürdige Flüssigkeit, und ohne ihre besonderen Eigenschaften wären viele Dinge auf der Erde nicht so, wie sie sind – insbesondere das Leben", betont Jönsson. Wasser besitzt verschiedene Anomalien, etwa bei der Dichte, der Wärmekapazität und der Wärmeleitfähigkeit. Unter anderem diese Anomalien sollen im Rahmen des künftigen, bei DESY geplanten Centre for Water Science (CWS; Zentrum für Wasserforschung) genauer untersucht werden, und Beobachtungen wie die jetzt vorgestellte sind für diese Vorhaben von großer Relevanz.

Abgesehen von ihrer grundlegenden Bedeutung haben die Ergebnisse auch direkte Konsequenzen für die Forschung mit Röntgenlasern, mit denen Wissenschafter unter anderem die atomare Struktur winziger Proben untersuchen. "Sie sind für jedes Röntgenlaserexperiment mit Flüssigkeiten von Bedeutung", betont Koautor Kenneth Beyerlein vom CFEL. "Tatsächlich wird jede Probe, die man in den Röntgenstrahl hält, auf die von uns beobachtete Art und Weise zerstört. Das muss bei der Untersuchung von allen nicht-kristallinen Proben bedacht werden." Für Kristalle haben Forscher gezeigt, dass sich ein nutzbares Signal gewinnen lässt, bevor die Probe zerstört wird.

Veränderungen erst ab 25 Femtosekunden

In dem Experiment gab es in den ersten 25 Femtosekunden nahezu keine strukturellen Veränderungen im Wasser. Nach 75 Femtosekunden sind Veränderungen dagegen bereits deutlich sichtbar. "Die Studie lässt uns besser verstehen, was mit den verschiedenen Proben geschieht", erläutert Koautor Nicusor Timneanu von der Universität Uppsala, der die verwendete Theorie zur Modellierung entscheidend miteintwickelt hat. "Die Beobachtungen sind auch wichtig für die Entwicklung von Techniken zur Untersuchung einzelner Moleküle oder anderer winziger Partikel mit Röntgenlasern." (red, 16.5.2018)