Im Gespräch mit Flüchtlingen am Grenzübergang Gevgelija in Mazedonien: Sebastian Kurz, damals noch Außenminister, auf einem Foto seines Hausfotografen.

FOTO: APA/AUSSENMINISTERIUM/DRAGAN TATIC

DER STANDARD brachte in seiner Wochenendausgabe vom 12./13. Mai Kommentare der anderen von Gerhard Botz und Oskar Deutsch zur Köhlmeier-Rede in der Hofburg am 4. Mai sowie eine Kolumne von Hans Rauscher zum Israel-Bild von heute. Mein Nachhören der Rede von Michael Köhlmeier machte mir klar: Zwischen diesen drei Beiträgen besteht ein Zusammenhang.

Botz meinte, dass der "Paukenschlag" des Schriftstellers danebenging. Deutsch sah in seiner Rede keine Rechtfertigung für einen "Vorwurf der Verharmlosung", hielt aber in seiner Analyse antisemitischer Strömungen gleichzeitig fest, dass eine Kritik an Israels Politik ein "Ablenkungsmanöver" sei.

Kurz' Reaktion

Dass sich Bundeskanzler Sebastian Kurz so vehement gegen einen (nicht erhobenen) Vorwurf zur Wehr setzte, gibt zu denken und erinnert an das geflügelte Stendhal-Wort: "Qui s'excuse s'accuse" ("Wer sich verteidigt, klagt sich an"). Dadurch kam es sehr wohl zu dem "Paukenschlag", denn schon als Außenminister hat sich Kurz sehr wohl mit der Schließung der Balkanroute "gebrüstet", wissend (es gibt unzählige Fotos mit ihm in Flüchtlingslagern), welches Leid und welche bleibenden Traumata hinter dieser Brüstung zurückbleiben.

Die Menschlichkeit, die Emphase gegenüber dem "Mitmenschen", all das, was wir gerne als "Haltung" und "Anstand" bezeichnen möchten, bleibt gegenüber all jenen zurück, die Schutz vor Krieg und Verfolgung suchen – und ein Recht auf diesen Schutz haben! Dieses Bekenntnis zur Emphase ist es, das bei ihm – und der Bundesregierung – fehlt und daher hinter der weiteren Verschärfung der Asylgesetze steht, bei aller nachvollziehbaren Argumentation, zwischen Flüchtlings- und Migrationsströmen zu differenzieren.

Flucht über Krimmler Tauern

Köhlmeier sprach davon, dass sich "damals" (gemeint war 1938) schon andere mit der Schließung von Fluchtrouten gebrüstet hätten. Dass es "damals" vor allem die USA, England und Frankreich waren, die keine Fluchtrouten zuließen beziehungsweise nur sehr wenige Juden aufnahmen, war das schändliche Ergebnis der Konferenz von Évian-les-Bains. Bekanntlich hieß auch das offizielle Österreich nach 1945 keine Juden willkommen.

Weniger bekannt ist die Tatsache, dass es nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine innerösterreichische Schließung einer Fluchtroute für Juden gab: Im Jahr 1946 erklärte sich Frankreich (auf Druck der Briten in ihrer Eigenschaft als Mandatsmacht in Palästina) bereit, die Grenze zwischen Tirol und Salzburg (sowie auch alle Passübergänge von Tirol nach Italien) hermetisch abzuriegeln, sodass für alle Juden, die in Palästina eine neue Heimat suchen wollten, nur der extrem beschwerliche 15-stündige Fußmarsch über die Krimmler Tauern (2.634 Meter) verblieb, um nach Italien zu gelangen. Mehr als 5.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder sind im Sommer 1947 diesen Fluchtweg gegangen, angsterfüllt, in der Nacht, unterernährt und schlecht ausgerüstet (siehe alpinepeacecrossing.org).

Kritik an Israels Politik

Einigermaßen problematisch ist die kritische Äußerung von Deutsch, die in letzter Zeit immer öfter artikuliert wird, gegenüber jeglicher Kritik an Israels Politik. Richtig ist, dass sich dahinter sehr oft ein versteckter Antisemitismus verbirgt. Aber es wäre verfehlt, dazwischen generell eine Gleichung herzustellen. Auch in Israel gibt es Kritik an der Errichtung weiterer Siedlungen, und in jüdischen Communities gehen die Meinungen hinsichtlich der Politik Israels stark auseinander.

Wenn also Nichtjuden einige politische und fundamentalistische Strömungen in Israel kritisch sehen, dann sollte dies genauso toleriert werden, ohne gleich in der Verdacht zu geraten, ein Antisemit oder Antizionist zu sein. Es ist ja auch möglich, Trump oder Putin – oder Politiker anderer Länder – zu kritisieren, ohne gleich als antiamerikanisch oder antirussisch geoutet zu werden.

So schließt sich der Kreis zum Kommentar von Rauscher. Ihm ist uneingeschränkt beizupflichten, dass "die Frage, wie demokratisch und wie jüdisch Israel auf Dauer sein kann, gestellt werden muss", weil es darauf derzeit keine Antwort gibt – und leider in absehbarer Zeit auch keine zu erwarten ist. (Ernst Löschner, 16.5.2018)