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Eine der vorerst letzten öffentlichen Auspeitschungen Ende April 2018. Die Frau wurde wegen angeblicher Prostitution nach dem Scharia-Gesetz verurteilt.

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Eine Gruppe muslimischer Hardliner protestiert dagegen, dass die Auspeitschungen zukünftig aus Imagegründen in Hallen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden sollen.

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Ali Mohammed tötet die Fische im Akkord. Dutzende enthauptet der 37-Jährige im Verlauf eines Morgens mit schwerem Messer. Vor ihm auf dem Tresen an seinem Stand auf dem Markt von Banda Aceh zucken die kopflosen Tiere in einer schleimigen Mischung aus Blut und Wasser, als Mohammed über Homosexuelle spricht. "Mit denen sollten sie es auch so machen", sagt er: "Kopf ab!"

Man muss lange suchen, bis man in der konservativsten Provinz Indonesiens jemanden findet, der Ali Mohammeds Abscheu und seinen Wunsch nach hohen Strafen für Homosexuelle nicht teilt. In der Provinz Aceh im Norden der Insel Sumatra gilt, wovon indonesische Islamisten im ganzen Land träumen: die Scharia, das islamische Gesetz. Wer gewisse Regeln verletzt, dem droht die Rute. Homosexueller Kontakt gehört dazu, Ehebruch ebenso, und das Zusammensein nicht verheirateter Männer und Frauen. "Unislamisches Verhalten" sei das alles, wie Ritasari im Fernsehen erklärt, die Chefin der Islamischen Polizei, die wie viele Indonesierinnen und Indonesier nur einen einzelnen Namen trägt. Ihre Leute – unter ihnen viele junge Frauen – patrouillieren in dunkelgrünen Uniformen in der Stadt.

Die Beamten weisen Frauen zurecht, die ihr Kopftuch nicht korrekt tragen. Sie belehren Männer, die am Freitagnachmittag im Restaurant Tee trinken statt in die Moschee zu gehen, wie es der Koran vorschreibt. Ein besonderer Dorn im Auge sind ihnen enganliegende Hosen. Wer sie trägt und von der Polizei erwischt wird, kommt in der Regel mit einer Verwarnung davon. Bei schwereren "Vergehen" wie Ehebruch oder Glücksspiel wird Meldung an das Scharia-Gericht erstattet. Bei homosexuellem Geschlechtsverkehr drohen der Stock und bis zu 100 Schläge.

Zunehmende Radikalisierung

85 Prozent der rund 260 Millionen Indonesierinnen und Indonesier sind Muslime, es ist das bevölkerungsreichste muslimische Land der Welt. Noch gilt es auch als eines der liberalsten, offensten muslimischen Länder. Progressive Kräfte aber beobachten die Entwicklung in Aceh mit wachsender Sorge. Denn sie geht mit einer zunehmenden Radikalisierung auch in anderen Teilen dieser weitflächigen und ethnisch diversen Nation einher. Vielerorts treten Islamisten immer aggressiver auf. Sie fordern – meist mit Erfolg – ein Verbot von Alkohol und zelebrieren Aceh als Vorbild dafür, wie ein "islamischer Gottesstaat" aussehen könnte. Islamistisch motivierte Angriffe wie jene von Sonntag und Montag auf Java häufen sich.

In Indonesien gilt ein Kriminalrecht, dass sich an dem der früheren Kolonialherren orientiert, der Niederländer. Doch Aceh genießt eine Sonderstellung im Vielvölkerstaat. Früher war die Provinz eines der führenden islamischen Sultanate Südostasiens. Der Islam soll aus dem arabischen Raum über Aceh nach Indonesien gekommen sein. Gesetze nach den Regeln der Scharia einführen und vollstrecken zu dürfen war das wichtigste Eingeständnis der Nationalregierung, um 2005 einen jahrzehntealten Unabhängigkeitskampf zu beenden. Seit Abschluss der Friedensvereinbarung zwischen der Rebellengruppe Free Aceh Movement (GAM) und Jakarta hat die Provinzregierung das Scharia-Recht sukzessive und auf immer mehr Bereiche des Lebens ausgeweitet.

Öffentliche Auspeitschungen

Über 500 Menschen sind mit der Rute bestraft worden, seit die Provinzregierung im Oktober 2015 das islamische Strafgesetz eingeführt hat. Das Szenario ist fast immer dasselbe: Der oder die zu Bestrafende steht oder kniet, Körper und Kopf sind meist mit einem weißen Gewand verhüllt. Daneben steht der schwarz gekleidete, vermummte Vollstrecker.

Mit einem Bambusstock schlägt er dem Opfer auf den Rücken. Nur selten hört man die Bestraften klagen. Einige wimmern, andere weinen stumm. Deutlich lauter sind die Zuschauer: Dutzende, manchmal Hunderte wohnen den Prügelstrafen bei. Mit ihren Mobiltelefonen filmen sie das Spektakel.

Menschenrechtsorganisationen und die Vereinten Nationen verleihen lauthals ihrer Empörung Ausdruck, wenn Bilder von Prügelstrafen in den Medien zirkulieren – weshalb Provinzgouverneur Irwandi Yusuf jüngst verfügte, Prügelstrafen sollten künftig nur noch unter Ausschluss der Öffentlichkeit vollzogen werden.

Yusuf hat Angst, die Methoden könnten Anleger davon abhalten, in seiner Provinz zu investieren. Aceh ist besonders reich an Öl, Gas und Mineralien. Doch die Begeisterung europäischer Geschäftsleute, dort zu leben, hält sich in Grenzen. "Ich bin jedes Mal froh, wenn ich hier wieder weg bin", sagt ein Brite. Er ist in der einige hundert Kilometer südlich liegenden Stadt Medan stationiert. "Dort kann ich am Abend wenigstens ein Bier trinken."

Tod durch Enthauptung

Dabei ist Gouverneur Yusuf nicht einmal einer der radikalsten Anhänger der islamischen Bestrafungsmethoden. So weigerte er sich 2009 etwa, ein Gesetz zu unterzeichnen, das die Steinigung von Ehebrechern ermöglicht hätte. Ein Wunsch des Fischhändlers Ali Mohammed hingegen könnte sich bald erfüllen. Die Regionalregierung lässt neu prüfen, ob die Todesstrafe durch Enthauptung mit dem indonesischen Recht kompatibel ist. Schwere Gewaltverbrechen könnten so verhindert werden, glauben Befürworter. Komme der Vorstoß durch, drohe schließlich nur Mördern und Vergewaltigern das Schwert. So, wie es der Koran vorschreibe. (Urs Wälterlin aus Banda Aceh, 15.5.2018)