Wien – Sie sind vorsichtig geworden. "Wir hoffen, unsere Show kann Zuschauern helfen, sich auszutauschen", sagt Katherine Langford, die Hannah Baker aus Tote Mädchen lügen nicht (13 Reasons Why) am Beginn der neuen Staffel: "Aber wenn du mit diesen Themen kämpfst, kann es sein, dass diese Serie nicht das richtige für dich ist, oder du möchtest sie vielleicht mit einem vertrauenswürdigen Erwachsenen anschauen." Helfen könne die Website 13ReasonsWhy.com mit weiterführenden Links.

Man hat also gesagt, was zu sagen ist. Der Rest bleibt einem selbst überlassen: Hier ist die Gebrauchsanweisung, ansonsten fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. Dass just solche Hinweise auf Jugendliche eine sogartige Anziehungskraft ausüben dürften, fällt dann nicht mehr in die Zuständigkeit von Netflix. Ab Freitag sind 13 neue Folgen abrufbar.

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Fünf Monate sind vergangen, seit Hannah Baker an High-School-Kolleginnen und -Kollegen Kassetten verteilen ließ, in denen sie gegen jeden einzelnen der Vorwürfe erhob. Die Tat steht weiter im Mittelpunkt, ungeachtet der Kritik von Jugendschutzorganisationen, die detaillierte Darstellung einer Selbsttötung könne suizidgefährdete Menschen zur Nachahmung anregen. Zudem werde suggeriert, man könne mit seinem Suizid etwas bewirken. Eine Distanzierung davon war in den beiden Folgen, die der STANDARD sah, so nicht auszumachen.

Tote Hannah erscheint

Wieder geht Clay (Dylan Minnette) der Sache nach. Die tote Hannah erscheint und begleitet ihren Freund. Gemeinsam decken die beiden mehr Lügen auf, es wird gemobbt, ein Prozess neu aufgerollt, Abschiedsbriefe mit mysteriösen Notizen tauchen auf, dazu kursieren Polaroidfotos mit Drohbotschaften, wie man sie aus Horrorfilmen kennt. Redundanzen sind nicht auszuschließen. Aber man ist ja keine 16 mehr.

Werden Menschen zu Mördern, wenn sie das falsche Fernsehprogramm schauen? Sind Jugendliche suizidgefährdet, wenn sie 13 Reasons Why mögen? Kausale Schlüsse greifen zu kurz, und selbst wenn das mittlerweile jedem klar sein dürfte, wurden und werden sie gezogen. Über so viel Gratiswerbung kann sich ein Medienunternehmen, das Erfolg im Aufgeregtheitsradar der sozialen Netzwerke misst, nur freuen.

Foto: Netflix

Übersehen wurde in dem Zusammenhang oft die Tatsache, dass es in 13 Reasons Why längst nicht nur um Suizid geht, sondern dass in guten Momenten viel vom Drama jugendlichen Lebens ausgebreitet wird, indem es nämlich das Allerschlimmste zeigt: Wie es sich anfühlt, wenn man nicht dazugehört. Dazu ein cooler Soundtrack, und fertig ist die Kundenbindung auf Lebzeit.

Hier schafft die Serie, wonach Jugendliche sich sehnen, nämlich ernst genommen zu werden, Identifikationsangebote zu erhalten, Jess, Zach, Courtney und Alex, jedenfalls nicht allein zu sein. Dass die Serienmacher rund um Brian Yorkey dann mit pädagogischer Gründlichkeit reingrätschen, macht es freilich so schwierig, Tote Mädchen lügen nicht gut zu finden. Wenn der Sportlehrer etwa die Buben über richtige Umgangsformen nach #MeToo aufklärt – begleitet vom Augenrollen der Schüler. Man möchte es ihnen gleichtun.

Foto: Netflix

Bemerkenswert ist überdies die Wiederbelebung des Teen-Noir-Genres, das 2004 mit Veronica Mars seine Geburtsstunde erlebte und zuletzt wieder mehr düstere Storys hervorbrachte, etwa Sweet Vicious (MTV), Riverdale (Netflix) und Clique (BBC).

Wer es noch nicht getan hat. Reinschauen lohnt für alle Altersgruppen. Jungsein war noch nie ein Zuckerschlecken. (Doris Priesching, 15.5.2018)