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An der Gaza-Grenze kam es auch am Dienstag zu Protesten.

Foto: REUTERS/Ibraheem Abu Mustafa

Die Ankündigung kam bereits in der Woche zuvor: Hamas-Anführer seien "bereit, zusammen mit zehntausenden anderen" beim Höhepunkt der Proteste zu sterben, tönte der Hamas-Chef in Gaza, Jihia Sinwar. Auch Gelder hatte die Hamas den Demonstranten im Vorfeld Berichten zufolge immer wieder gezahlt – zwischen umgerechnet 170 und 250 Euro bei Verletzungen, bis zu 2500 Euro für die Hinterbliebenen im Todesfall. In einem bettelarmen Landstrich ein Anreiz für junge Männer, sich in Gefahr zu begeben.

Tatsächlich wurde der 14. Mai – nach gregorianischem Kalender Israels 70. Gründungstag – zum blutigsten Tag seit Ende des Gaza-Krieges 2014: Während in Jerusalem die US-Botschaft feierlich eröffnet wurde und Premier Benjamin Netanjahu von einem "großartigen Tag für den Frieden sprach", wurden mindestens 60 Palästinenser bei Demonstrationen an der Grenze zwischen Gazastreifen und Israel getötet. Dort hatten nach Angaben der israelischen Armee insgesamt 40.000 Menschen demonstriert, darunter auch viele Gewaltbereite. Nicht unter den Verletzten waren die Hamas-Führer selbst, dafür aber jene jungen Männer, die deren Aufforderungen gefolgt waren und auf den Grenzzaun zu Israel zurannten. Auch am Dienstag gab es mindestens ein Todesopfer.

"Baue lieber auf deine Zukunft"

Israels Armee wiederum machte eine Drohung aus den Tagen und Wochen davor wahr, in solchen Fällen zu schießen. Schon früher hatte Israels Armee immer wieder auch scharfe Munition eingesetzt und am Morgen des Protesttages Flugblätter abgeworfen: "Lass es nicht zu, dass die Hamas dich auf zynische Weise als Marionette missbraucht! Bleibe dem Sicherheitszaun und gewaltsamen Demonstranten fern! Schütze dich selbst und baue lieber auf deine Zukunft!"

Doch ist das harte Vorgehen der israelischen Armee wirklich nötig, um die Sicherheit zu gewährleisten? Zumindest im Ausland wird die Verhältnismäßigkeit der Einsätze infrage gestellt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verurteilte die "Gewalt" der israelischen Armee. Die EU rief beide Seiten zur Zurückhaltung auf. Die USA hingegen verurteilten die Hamas, die ihre Leute in Gefahr bringe.

Ähnlich wie in den USA sah man es tags darauf auch in Israel, wo einzig und allein der Hamas die Schuld an den Todesopfern gegeben wird – schließlich habe sie ihre Leute zur Gewalt angestachelt. "Die Soldaten agieren gut und gemäß den Feuerbefehlen", sagte Justizministerin Ajelet Shaked am Dienstag. "Die Hamas opfert ihre Leute für politische Zwecke, aber die Armee kann mit der Situation umgehen. Ich hoffe, sie haben die Botschaft gestern verstanden."

Lob für Soldaten

Doch nicht nur aus Netanjahus rechter, nationalreligiöser Regierung kamen unterstützende Worte für die Scharfschützen. Auch Tzipi Livni vom zionistischen Lager, die bei der Zeremonie der Botschaftseröffnung in Jerusalem dabei war, schrieb auf Facebook: "An diesem festlichen Tag ist es auch wichtig, den Soldaten Danke zu sagen, die an einer komplexen Mission an der Gaza-Grenze teilnehmen."

Und Yair Lapid, Vorsitzender der Oppositionspartei Yesh Attid, schrieb im sozialen Netzwerk vom Bedauern des Staates Israel über "den Tod jedes unschuldigen Menschen. Aber kein Land der Welt wäre einverstanden, dass hunderte Terroristen in sein Territorium eindringen. Die Armee reagiert entschlossen und kraftvoll, und das muss sie auch."

Kritik am Vorgehen kam von Tamar Zandberg, der Vorsitzenden der Linkspartei Meretz, die allerdings die Soldaten selbst in Schutz nahm: "Die politischen Führer halten die Zügel in den Händen, nicht die Scharfschützen. Doch die Armee muss Zurückhaltung und Kontrolle zeigen."

Brenzlige humanitäre Lage

Immerhin entschied Verteidigungsminister Avigdor Lieberman, einen Übergang nach Gaza für Waren wieder zu öffnen. Sowohl die Armee als auch die israelische Koordinierungsstelle für Aktivitäten in den Palästinensergebieten, COGAT, hatten den Schritt empfohlen, um die Lage zu beruhigen. Denn Israel ist sich dessen bewusst, wie brenzlig die Lage ist: Die Lebensbedingungen in Gaza sind miserabel, das Wasser oft ungenießbar, Strom fließt nur unregelmäßig, die Arbeitslosigkeit liegt über 40 Prozent, und der Küstenstreifen wird von Ägypten und Israel weitestgehend abgeriegelt. Auch dagegen richten sich Teile der derzeitigen Proteste. (Lissy Kaufmann aus Tel Aviv, 15.5.2018)