Jeremy Corbyn brachte die Abgeordneten zum Lachen.

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Im britischen Unterhaus Frohsinn zu verbreiten gelingt Jeremy Corbyn nur selten. Am Mittwoch zur Mittagsstunde hatte der Labour-Oppositionsführer eine solche Sternstunde.

Am Wochenende habe Theresa May doch "so wenig Reibung wie möglich" versprochen, zitierte der 68-Jährige aus einem Zeitungsartikel die Premierministerin und fragte ganz unschuldig: "Bezog sich das auf den Handel mit der EU oder auf die nächste Kabinettssitzung?" Da lachten selbst die Tories auf den Bänken hinter May.

Jeremy Corbyn stellt Theresa May eine Frage.
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Sechs Wochen vor dem nächsten EU-Gipfel, ein knappes Jahr vor dem geplanten Austritt kann der rhetorisch eher mittelmäßige Labour-Chef leicht punkten, weil die Brexit-Politik der Regierung einen desolaten Eindruck hinterlässt. Zum zweiten Mal nacheinander ging das Kabinett diese Woche ohne eine Lösung der Frage auseinander, wie die zukünftigen Handelsbeziehungen mit den 27 EU-Partnern organisiert werden sollten. "Die Aufgabe ist schwer", lautete Mays lahme Antwort an Corbyn, ehe die Regierungschefin für kommenden Monat ein neues Brexit-Weißbuch ankündigte.

Bedenken bei "Zollpartnerschaft"

Ob die Konservativen bis dahin ihre parteiinternen Verhandlungen beendet haben? "Verrückt" nannte Brexit-Vormann und Außenminister Boris Johnson die von May bevorzugte "Zollpartnerschaft", auch Umweltminister Michael Gove meldete öffentlich schwere Bedenken an. Dabei würde das Vereinigte Königreich wie bisher die in der EU geltenden Zölle und Gebühren auf sämtliche von außerhalb der EU importierten Güter erheben und das Geld an die Brüsseler Kasse abführen. Jene Firmen, deren Waren auf der Insel verbleiben, könnten auf eine Rückerstattung hoffen, falls bis dahin neue Handelsverträge mit ihren Heimatländern abgeschlossen wurden.

Das Verfahren wird von der EU-Kommission als ebenso undurchführbar abgelehnt wie die zweite Variante namens Maximum Facilitation. Dafür müssten Grenzübergänge elektronisch aufgerüstet und ein System von Ausnahmen für vertrauenswürdige Händler erarbeitet werden. Beide Varianten würden zumindest auf dem Papier den harten Brexit-Kurs der May-Regierung aufrechterhalten. Dieser sieht noch immer den Austritt aus der EU, ihrem Binnenmarkt und der gemeinsamen Zollunion vor. Man wolle auch nicht, wie von der Labour-Opposition gefordert, in "einer" Zollunion mit Brüssel bleiben, heißt es aus der Downing Street, sondern eben eine ganz neuartige Vereinbarung, die den Bedürfnissen der britischen Wirtschaft entspricht.

Industrie besorgt

Deren Vertreter werden zunehmend unruhig. Genüsslich zitierte Corbyn im Unterhaus die Statements wichtiger Firmen wie des Flug- und Raumfahrtunternehmens Airbus, des Turbinenbauers Rolls-Royce oder der Automobilfirmen Ford und Vauxhall (Opel). Tenor: Die anhaltende Unsicherheit erschwere neue Investitionen, man müsse ernsthaft über die Verlegung von Produktionsstätten nachdenken.

Die Finanzdatenfirma Thomson Reuters macht bereits Nägel mit Köpfen: Sie will den täglichen Währungsderivatehandel in Höhe von 300 Milliarden Dollar aus London nach Dublin verlagern und hat dafür eine Lizenz bei der irischen Zentralbank beantragt.

Problem: Grenze zu Irland

Der Industrieverband CBI befürwortet den Verbleib in der Zollunion mit der EU, nicht zuletzt mit Blick auf Nordirland. Denn dadurch, argumentieren die Lobbyisten ebenso wie die Opposition, könnte das knifflige Problem der Grenze zwischen dem britischen Nordirland und der Republik im Süden der Grünen Insel weitgehend gelöst werden.

Hingegen würde jede Einschränkung des bisher praktisch ungehinderten Grenzverkehrs das Zusammenleben der diversen Gruppen in der einstigen Bürgerkriegsprovinz wieder erschweren. Erstmals, darauf deuten unter Verschluss gehaltene Umfragen für die Regierung hin, spricht sich für den Fall des harten Brexits eine Mehrheit der Nordiren für die Wiedervereinigung mit dem Süden aus. Beim EU-Referendum befürworteten 56 Prozent den Verbleib.

Schotten verweigern Zustimmung

Ungemach droht London auch aus Schottland, wo die Zustimmung zur EU sogar bei 62 Prozent lag. Am Dienstag verweigerte das dortige Parlament dem britischen EU-Austrittsgesetz die Zustimmung und beschwor damit eine Verfassungskrise herauf. Inhaltlich geht es um die zukünftige Verantwortung für die Agrar- und Fischereipolitik, die bisher zentral von Brüssel aus entschieden wurde.

Da sie ja doch keine Einigung ihres Kabinetts zustande bringen werde, höhnte Corbyn am Mittwoch, solle May "beiseitetreten und die Verhandlungen einer Labour-Regierung überlassen". Ob das aber in Brüssel für Frohsinn sorgen würde? (Sebastian Borger aus London, 16.5.2018)