So was aber auch – statt Augen für Mustafa hat Isabella Augen fürs Kamel: Cecilia Bartoli singt in Salzburg Gioachino Rossinis "L'italiana in Algeri". Außer dem Kamel treten noch auf: eine Yacht, Kicker und einige Satellitenschüsseln.

Foto: SF / Monika Rittershaus

Nach sechs Wochen Probenzeit hat heute Gioachino Rossinis L'italiana in Algeri bei den Salzburger Pfingstfestspielen Premiere. "Man kann es auch in drei Tagen machen, wie es in der Staatsoper jedes Jahr passiert", sagt Regisseur Moshe Leiser. "Aber das ist, als reiste man in drei Tagen durch Südamerika: Man sieht nichts!" Viel aus dem Stück herauszuholen hat man sich in Salzburg vorgenommen.

Das Ensemble hat die ganze Zeit im Haus für Mozart, wo die Aufführungen stattfinden, geprobt. Noch so ein Luxus. Ein Suk mit Satellitenschüsseln an den Balkonen der Wohnungen darüber, eine Yacht und ein Poster der aktuellen algerischen Fußballnationalmannschaft sind aufgebaut und sollen die 200 Jahre alte Oper ins Heute holen. Weil Fußball Momente von großem Nationalismus kennt – und um den gehe es in dem Stück unter anderem, so Leiser.

Das wirkt wie eine Punktlandung. Entstanden ist L'italiana in Algeri 1813 im Nachhall der Nordafrikaeuphorie nach Napoleons Ägyptenexpedition (1798–1801). Heute erzeugen die gegensätzlichen Lebenswelten Europas und des arabischen Raumes weniger Faszination für das Exotische als Angst vor dem Fremden. Will die Produktion darauf reagieren?

Die Pfingstfestspiele sind seit 2012 das Herzkind von Cecilia Bartoli. Als Intendantin tritt die Mezzosopranistin auch in den jeweiligen Opernproduktionen auf. Heuer singt sie Isabella, eine junge Italienerin, die auf der Suche nach ihrem Geliebten vor Algerien schiffbrüchig wird. Dort sitzt Bey Mustafà (Peter Kálmán), der – seiner Gattin (Rebeca Olvera) überdrüssig – Isabella zur Gespielin will. Doch die will nicht.

#MeToo und Flüchtlinge

Isabella sei emanzipiert, so Bartoli. Auch sie ist beim Gespräch dabei. Isabella sei reifer als die Rollen in Rossinis Il Barbiere di Siviglia und La Cenerentola, mit denen sie berühmt wurde. Lange habe sie sich auf das Debüt in der Partie vorbereitet.

Da der Stoff so gut zur #MeToo-Debatte passt: Hat sie selbst Erfahrungen in die Richtung gemacht? Die Vorfälle zeigen, wie wichtig es sei, Auditions in einem Opernhaus zu veranstalten, so Bartoli. "Das ist eine Lehrstunde für die junge Generation."

Der Spielplan sei aber keine Reaktion auf die aktuelle Debatte, auch nicht auf die politische. Doch man habe sich Gedanken gemacht, hakt Leisers Regiepartner Patrice Caurier ein: "Wir haben über das geredet, was in Europa passiert, etwa Einwanderung. Wir sind uns über den Ernst im Klaren und darüber, was es heißt, verantwortungsvolle Bürger zu sein. Aber ich bin nicht hier, um politische Kommentare zu machen. So ein Stück ist nicht der Ort dafür."

Statt konkrete Statements zu machen, hebt das Duo das Verbindende im Verschiedenen hervor. Nicht nur in puncto Sex und Lust. "Die einen essen Couscous und die anderen Pasta", so Leiser. Solche kulturellen Unterschiede seien wichtig, aber wichtig sei auch, "dass wir über sie lachen können und nicht kämpfen". Hier macht er eine wichtige Unterscheidung: die zwischen "lächerlich" und "zum Lachen".

Auch Leiser und Caurier kosten die Klischees, die der Stoff bietet, aus. Dass Rossini leichte Kost sei, dem widerspricht Leiser aber. "Was ist Comedy? Jemand, der auf einer Bananenschale ausrutscht. Aber man kann daraus auch eine Tragödie bauen, wenn etwa derjenige dein Vater ist und sich das Bein bricht. Also hängt es vom Blick darauf ab." Das stehe allerdings nicht in der Tradition von Rossini-Aufführungen. "Die Menschen denken, es ist Comedy, also ist die Geschichte nicht wichtig."

Missverstandener Komponist

Heuer jährt sich der Todestag Rossinis zum 150. Mal. Eine gute Gelegenheit, um mit Missverständnissen aufzuräumen. Denn auch musikalisch werde der Komponist verkannt, wirft Dirigent Jean-Christophe Spinosi ein. Rossinis Musik sei vergleichbar mit dem Rock 'n' Roll in den 1950ern in den USA, sagt er. "Die Musik nach den napoleonischen Kriegen war etwas langweilig, er kam mit frischen Ideen." Dass viele Aufführungen ihn heute als Teil der Tradition präsentieren, sei paradox.

Woher kommt diese Frische? Da gerät nicht nur Spinosi ins Schwärmen. "Wenn man nur Rossinis Musik nimmt, hat sie keine Bedeutung in sich. Sie ist nur Struktur", so Leiser. "Alles hängt von der Interpretation ab. Die gleichen Töne könnten der Beginn einer dramatischen oder ganz anderen Szene sein." Bartoli stimmt zwei Varianten einer Arie an: erst getragen, dann sprudelnd heiter.

In Salzburg wird auf Originalinstrumenten musiziert – eine Ästhetik, die Bartoli verficht. Als Spezialistin für Barockmusik gefragt: Warum wollen moderne Komponisten ihr Publikum oft eher herausfordern als ihm gefallen? Aus Einzelgesprächen ist zu diesem Zeitpunkt längst ein Debattierklub geworden. Schließlich sagt Bartoli: "Wenn man ins Kino geht, sind die berührendsten Momente mit tonaler Musik unterlegt. Warum ist es möglich, tonale Musik in Filmen zu verwenden, aber nicht bei Opern oder in Konzerten? Es scheint, als hätten moderne Komponisten Angst vor tonaler Musik." Warum? Wegen Kitschverdachts? Und: Was sagt das über unsere Zeit aus?

Die Antwort bleibt aus. Die Zeit ist um. Ein passendes Schlusswort ist schon früher gefallen: Nur wenn man alles hier Gesagte ignoriere, so Caurier, "kann man diese Oper als große Farce inszenieren. Eine Farce über einen Dummen, der glaubt, er könnte eine Italienerin ficken." (Michael Wurmitzer, 18.5.2018)