Sie gilt als Menschenfängerin mit Schmäh: Kaup-Hasler geht als Quereinsteigerin in die Politik.

Foto: Heribert Corn

Manchmal muss man Menschen außerhalb ihres gewohnten Biotops erleben, um sie besser kennenzulernen. Es waren nicht die Zuseher einer Festivaleröffnung, die im Herbst 2006 dem "Auftritt" einer energischen Frau beiwohnten, sondern jene einer Gerichtsverhandlung. Es war das erste von zwölf Jahren der Intendanz von Veronica Kaup-Hasler im Steirischen Herbst.

Die Causa, die verhandelt wurde: Ein junger Mann, IT-Experte der TU Graz aus Indien, wurde auf dem Heimweg – so erzählten es sämtliche Zeugen – von Polizisten brutal zu Boden gestoßen und mit Pfefferspray "behandelt". Angeklagt waren jedoch nicht die Beamten, sondern der dunkelhäutige Mann: Widerstand gegen die Staatsgewalt. Kaup-Hasler hörte von dem Fall und sah sich den zweiten Verhandlungstag an. Der Richter wirkte auf die junge Intendantin voreingenommen gegen den Angeklagten.

Als er die Aussage einer Zeugin nicht richtig protokollierte, platzte Kaup-Hasler der Kragen. Sie sprang auf und rief: "Das hat sie nicht gesagt!" Der Richter wies die Zwischenruferin zurecht. Die ließ sich nicht einschüchtern. Ein Fall von Zivilcourage.

Bewegte Karriere

Für Empörung über Ungerechtigkeiten, aber auch Leidenschaft, Schmäh und eine überaus herzliche Art ist Kaup-Hasler bekannt. Menschen zu finden, die sich kritisch über die 1968 in Dresden geborene Theaterfachfrau und Kulturmanagerin äußern, ist nicht leicht. Die künftige Kulturstadträtin von Wien, die parteifrei für die SPÖ das Amt übernehmen wird, ist Wienerin. Als sie zwei Jahre alt war, verließen ihre Eltern, der österreichische Schauspieler Ferdinand Kaup und die ostdeutsche Sängerin Friedrun Kaup, die DDR und blieben in Wien.

Die Karrierestationen nach dem Studium der Germanistik, Theaterwissenschaft, Politikwissenschaft und Ethnologie an der Universität Wien sind bekannt: Dramaturgin am Theater Basel und bei den Wiener Festwochen, Lehrbeauftragte an der Akademie der bildenden Künste, Leiterin des Festivals Theaterformen in Deutschland und schließlich der Steirische Herbst. Das Festival leitete sie so erfolgreich, dass sie selbst weltanschaulich anders gelagerte Stadtväter nicht gerade gerne ziehen ließen.

Jelinek: "Sie wird anders sein"

Zum 50-Jahr-Festivaljubiläum sorgte Kaup-Hasler für einen Festredner ohne Zuckerguss. Einer der wichtigsten Komponisten der Gegenwart, Georg Friedrich Haas, reiste von New York in seine Heimat Graz und hielt eine aufsehenerregende Rede über seine Grazer Nazi-Familie, über den Einfluss der Braunen in der Politik nach 1945 und über Details der Entstehung des Festivals, die wenigen bekannt waren.

Wie kann jemand, der immer gerne dunkle Ecken ausleuchtete und dort hinzeigte, wo es wehtut, auf dem politischen Parkett reüssieren? Eine Kennerin Kaup Haslers ist Elfriede Jelinek.

Die Nobelpreisträgerin hatte Kaup-Hasler 2017 ihren Roman Die Kinder der Toten für ein gigantisches Projekt in der obersteirischen Provinz anvertraut. "Ich weiß nicht, was eine Politikerin zu tun hat, aber Veronica Kaup-Hasler wird es für sich auf alle Fälle neu definieren", glaubt Jelinek, "und dann wird sie es machen. Sie wird die Dinge verwalten und gleichzeitig ermöglichen, und sie wird dabei, denn sie ist warmherzig, nicht von Arroganz und Ungerechtigkeit oder Nepotismus erfüllt sein."

Nachsatz: "Aber dadurch ist sie schon wieder keine Politikerin mehr, denn Politiker glauben ja, sie könnten, wie höhere Wesen, dieses Verwalten aus eigener Kraft erledigen. Sie wird etwas anders und etwas anderes sein."

Zwischen Avantgarde und "Balkonmuppets"

Kritik, wenn auch nur am Stammtisch und hinter vorgehaltener Hand geäußert, kam meist von der Altherrenriege, Teilen der einstigen Avantgarden des Wiener Aktionismus oder manchen im Umfeld des früheren Forum Stadtpark. Sie fühlten sich ausgeschlossen, übergangen, in Kaup-Haslers Programm fehlte ihnen die lokal ins Mark treffende Provokation. Stattdessen orteten sie öde Anbindung an eine weltweit tourende Performance-Szene, die mehr mit sich selbst und ihren Begrifflichkeiten beschäftigt schien als mit Überlegungen, wie man mit Mitteln der Kunst noch überregional aufregen und Schlagzeilen machen könnte.

Der Grazer Philosoph Peter Strasser, ein Kritiker des postdramatischen Theaters, schätzt Kaup-Hasler als Person und versucht, es differenziert zu sehen: "Ihr Herbst war keiner der großen Kulturmaschinen und pompösen Kunstindividualitäten. Stattdessen war er über Strecken ein internationaler Flohzirkus, mit vielen Akteuren auf der Höhe der elektronischen Vernetzung und der Social Media. Es war ein ständiges, lustvolles Einander-Erkennen." Aber Kaup-Hasler sei eben keine Intendantin der Skandale mit Ewigkeitswert gewesen.

Sie selbst ließ solche Vorwürfe nur ungern auf sich sitzen und sprach schon einmal von "Balkonmuppets", die ihrer wilden Jugend nachtrauern würden. Viele würden sich an einen altbackenen Avantgarde-Begriff klammern und den wohligen Schauer des Kunstskandals vermissen. Dabei sei der Skandal um des Skandals willen kein Anliegen der Kunst. "Heute gähnt man doch nur noch, wenn einer die Hose runterlässt oder zwei Männer sich küssen." Man sollte froh sein, meinte Kaup-Hasler unlängst, "dass die Gesellschaft seit den 1970er-Jahren liberaler geworden ist".

Lockrufe aus dem Ausland

Dass Kaup-Haslers Programm doch überregional ankommt, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass sie immer wieder Lockrufe aus Deutschland und der Schweiz erreichten. Als Familienmensch mit zwei schulpflichtigen Kindern widerstand sie aber dem karrieristisch einträglichen Job-Hopping.

2014 bewarb sie sich stattdessen für die Intendanz der Wiener Festwochen. Mailath-Pokorny entschied sich aber für Tomas Zierhofer-Kin, der vom Kremser Donaufestival kam. Als Kulturstadträtin wird sie jetzt gewissermaßen dessen Chefin. Man kennt sich gut, ist sich inhaltlich oft recht nahe, in der Kommunikation und im Auftreten weniger. "Die größte Herausforderung in Wien ist es, die Balance zwischen Tradition und aktuellem Kunstschaffen zu wahren", weiß Zierhofer. Nach seiner ersten, vielkritisierten Festwochen-Ausgabe musste er diese Lektion selbst erst lernen.

Die freie Kulturszene, die sich von Mailath-Pokorny vernachlässigt fühlte, erwartet sich viel von Kaup-Hasler. In einem Elf-Punkte-Programm wünscht man sich eine Wiederaufnahme der versande- ten Theaterreform von 2003, ein Kunstförderungsgesetz, das Objektivierbarkeit statt Günstlingswirtschaft sicherstellt, und faire Arbeitsbedingungen. Mit Letzterem dürfte man bei der Neo-Stadträtin offene Türen einrennen: Wer nach außen politische Kunst einfordert, betonte sie stets, könne intern nicht ausbeuterische Arbeitsverhältnisse fördern. Kaup-Hasler kennt Heucheleien im Kulturbetrieb. Und sie kämpft dagegen an.

Die erste Frau seit Pasterk

Erstmals seit 1996 wird mit der 50-Jährigen wieder eine Frau das Kulturamt leiten. In Typus und Werdegang ist sie mit ihrer Vorgängerin, der legendären Ursula Pasterk, vergleichbar: "Ich kam auch nicht aus dem Parteiapparat, und ich denke, es ist ein Vorteil, jedenfalls gut für die Künstlerschaft, wenn man aus ihren Reihen kommt", sagt Pasterk auf Anfrage. Kaup-Hasler werde viel Schwung mitbringen. Es fehle weniger am Geld, sondern an neuen Ideen. "Wenn man die hat, kommt auch das Geld", meint Pasterk.

Während sich Kaup-Hasler bei ihrer ersten Parteisitzung schon über das "Freundschaft" rufende Volk amüsiert haben soll, begrüßen unter den Genossen einige den frischen Wind, der den Parteiapparat aufwirbeln könnte. (Colette M. Schmidt, Stefan Weiss, 20.5.2018)