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Aus vielen Gründen brodelt es im Vereinigten Königreich. Die Queen äußert sich nicht zu den Querelen und steht genau deshalb für Stabilität.

Foto: Reuters/Hannah McKay

In den Tagen nach dem Brexit-Votum im Juni 2016 wirkte Großbritannien völlig kopflos. Der Premierminister kündigte seinen Rücktritt an, dem Oppositionsführer sprachen 80 Prozent der Unterhaus-Abgeordneten das Misstrauen aus, die Brexit-Vorkämpfer verschwanden von der Bildfläche oder zerfleischten sich auf offener Bühne. Nur der (kanadische) Gouverneur der Zentralbank versuchte, beruhigend auf die Finanzmärkte und damit indirekt auch auf das Land einzuwirken.

Weist man Briten darauf hin, dass Deutsche, Österreicher oder Schweizer in vergleichbaren Situationen darauf hoffen, der Bundespräsident werde durch eine öffentliche Stellungnahme die Wogen etwas zu glätten versuchen, dann darf man mit erstaunten Reaktionen rechnen. Die unschuldige Frage, ob nicht vielleicht auch in Großbritannien das Staatsoberhaupt ein paar Worte an das Land richten sollte, wird gar mit Entsetzen quittiert: Würde die Queen in dieser Situation etwas sagen, so lautet eine gängige Einschätzung, dann würden die Leute vollends die Nerven verlieren.

66 Jahre Schweigen

Freundliches Winken, ehernes Schweigen – mit diesen Prinzipien hat Elizabeth II 66 Thronjahre hinter sich gebracht. Wenig deutet darauf hin, dass sich daran im 67. Jahr etwas ändern wird. Mögen jüngere Royals wie ihr Enkel Harry, der an diesem Samstag mit der kalifornischen Schauspielerin Meghan Markle vor den Traualtar tritt, im Psychosprech ihrer therapieerfahrenen Generation über ihre Befindlichkeiten reden; mag eine Hipster-Kreation aus Buttercreme mit Holundergeschmack die herkömmliche, schwer verdauliche Hochzeitstorte verdrängen – die Stabilität der Windsor-Dynastie und damit indirekt der Nation misst sich einstweilen eher am Beharrungsvermögen und der eisernen Diskretion der alten Dame auf dem Thron.

Umfragen sprechen dafür, dass dies den Briten ganz recht ist. Von Zustimmungsraten wie denen der Queen können Politiker nur träumen – zumal, wenn sie einen so hilflosen Eindruck zur Schau stellen wie die konservative Premierministerin Theresa May und ihr Labour-Herausforderer Jeremy Corbyn. Man habe es mit "der schlechtesten Regierung seit Menschengedenken" zu tun, urteilt der erfahrene Times-Leitartikler Michael Binyon. "Ihr steht die schlechteste Opposition seit Menschengedenken gegenüber."

May-Regierung im Krisenzustand

Spätestens seit dem katastrophalen Pyrrhussieg bei der Unterhauswahl vom vergangenen Juni wirkt die May-Regierung, als verharre sie im permanenten Krisenzustand. Der angepeilte harte Brexit samt Austritt aus EU-Binnenmarkt und Zollunion steht nach einer Serie von Abstimmungsniederlagen im Parlament wieder zur Disposition, die Heftigkeit der öffentlichen Debatte spiegelt sich in brutalen Machtkämpfen im Kabinett wider. Die selbstbewussten Vertreter der kleineren Regionen Schottland, Wales und Nordirland rangeln mit London über die Rückführung bisher europäischer Kompetenzen, das fragile Gefüge der ungeschriebenen Verfassung wirkt gefährlich instabil.

Zunächst das Schottland-Referendum von 2014, dann die Brexit-Abstimmung, zuletzt auch die Unterhauswahl haben bestätigt: Die britische Gesellschaft ist tief gespalten, zwischen Jungen und Alten, zwischen Wohlhabenden und sozial Schwachen, zwischen dem prosperierenden Süden rund um London und den Regionen in der Peripherie. In der Hauptstadt schießen immer neue Wolkenkratzer in den Himmel, Investitionsobjekte der Reichen aus aller Welt. Unten, auf dem Boden, stehen die Armen vor Suppenküchen und Wohnungsämtern Schlange, reiht sich auf den Straßen Schlagloch an Schlagloch. Die Elite ist angesichts dieser Spaltung ratlos.

Stabile Wirtschaft

Insgesamt aber wirkt Großbritannien, allen Brexit-Verrenkungen zum Trotz, noch immer einigermaßen stabil. Die ökonomischen Daten geben jenen recht, die zur Gelassenheit mahnen: Staatsschuld und Inflation sinken, die Beschäftigung hat einen Höchststand erreicht, die Wirtschaft wächst langsam, aber stetig.

Großbritannien bleibt die sechstgrößte Wirtschaftsmacht der Welt und permanentes Mitglied im Sicherheitsrat, verfügt über eine ernstzunehmende Armee und das größte internationale Finanzzentrum der Welt. Und, auch das, über eine Monarchie mit globaler Reichweite: die schweigende Königin und ihre glamourösen Enkel. (Sebastian Borger aus London, 20.5.2018)