Ein politischer Witz besagt, dass die Italiener das stärkste Volk der Welt sind, weil sie ihre eigenen Politiker seit Jahrzehnten überleben. Am Vorabend der Bildung einer ausschließlich aus Rechts- und Linkspopulisten bestehenden Regierung in Rom stellt sich aber die – bisher von der europäischen Öffentlichkeit unbeachtete – Frage, ob die Währungsunion, also der Euro, das brandgefährliche Experiment mit radikal EU-feindlichen politischen Abenteurern überleben könnte.

Die EU hatte die derzeit drittgrößte Wirtschaftsmacht der Union schon zweimal – durch die Aufnahme in die Währungsunion und dann durch eine Schuldengarantie der Europäischen Zentralbank – vor dem Zusammenbruch gerettet. Mit einer enormen Staatsverschuldung von 132 Prozent der Wirtschaftsleistung belegt das Land den zweitletzten Platz hinter Griechenland. Infolge der Weltwirtschaftskrise verlor Italien 25 Prozent der Industrieproduktion und eine Million Arbeitsplätze.

Offener Bruch mit Brüssel

Die Sehnsucht nach Veränderung, die Enttäuschung über die sozialdemokratische Regierung und die Empörung über die Auswüchse des Mafiakapitalismus erwiesen sich als stärker als die Zweifel an der Regierungsfähigkeit der Populisten. Bei den Wahlen im März gewannen die vor zehn Jahren von dem Komiker Beppe Grillo gegründete linkspopulistische Fünf-Sterne-Bewegung und die radikal fremdenfeindliche, vor allem im Norden verankerte Lega mit maßlosen Versprechungen die Mehrheit. In der ersten, inzwischen zurückgezogenen Version des künftigen Regierungsprogramms, wollten die beiden Parteien einen offenen Bruch mit Brüssel, nicht zuletzt durch die Verweigerung der Rückzahlung der italienischen Staatsanleihen im Wert von 250 Milliarden Euro, die die Europäische Zentralbank hält. Allerdings reicht das, was im abgeschwächten Maßnahmenkatalog geblieben ist, als Sprengstoff für die italienische Finanzlage und darüber hinaus für die Eurozone.

Allein die geplanten Steuersenkungen würden den Staat 50 Milliarden Euro im Jahr kosten. Dazu kommen unter anderem ein bedingungsloses monatliches Grundeinkommen von 780 Euro für Arbeitslose (17 Milliarden) und die Rücknahme der Erhöhung des Rentenalters (26 Milliarden).

Bis vor kurzem forderte die Fünf-Sterne-Bewegung den Austritt aus der Währungsunion. Jetzt kündigt ihr Parteichef Luigi Di Maio "nur" an, dass die künftige Regierung "einige EU-Verträge und -Regeln infrage stellen wird". Sein Partner, Lega-Chef Matteo Salvini, will sämtliche Flüchtlinge aus dem Land werfen. Beide Parteien sprechen sich übrigens für eine russlandfreundliche Außenpolitik und für die Abschaffung der Sanktionen aus.

Nicht Italien, sondern die Union muss sich ändern, lautet die Devise der Populisten. Bis Montagabend war es nicht einmal sicher, ob sich die bizarren Wahlsieger und der Staatspräsident Sergio Mattarella auf die Person des künftigen Regierungschefs einigen werden.

Die Investoren sind nervös. Das Drehbuch der Populisten an der Macht könnte sehr schnell unberechenbare Reaktionen auf den internationalen Finanzmärkten auslösen. Die Aussichten – nicht nur für Italien – sind düster. (Paul Lendvai, 21.5.2018)