Kommen wir diesmal zu etwas ganz anderem. Nämlich zu der Frage, was Laufen kann, wenn es niederschwellig, spaßbetont und ohne vom Ehrgeiz verkrampfte Mienen dort stattfindet, wo Sport und Bewegung zu Hause sein sollten: bei Kindern und Jugendlichen.

Und auch wenn es in letzter Zeit wieder Studien und Berichte über Bewegungsmangel, falsche Ernährung und das Zunehmen von Übergewicht, Fettleibigkeit und allen damit zusammenhängenden Problemen, Wehwehchen und Krankheiten hagelte, soll das diesmal hier nicht Thema sein.

Sondern das "Laufwunder" der Caritas. Genauer: Das "Laufwunder" der Young Caritas.

Foto: thomas rottenberg

Das "Laufwunder" ist, wenig überraschend, ein Charityevent. Davon gibt es etliche. Aber hier sind Setup und Ablauf anders als beim klassischen "Laufen für die gute Sache", bei dem sich eine mehr oder weniger klassische Laufveranstaltung in den Dienst einer Sache stellt und wo von Start- und/oder Sponsorgeldern ein (hoffentlich) großer Anteil für Projekte oder Initiativen abgezweigt wird. Oder wo der berühmte "Reinerlös" gespendet wird. (Und wo vorher kaum jemand schaut, was alles an Gebühren, Honoraren, "Aufwandsentschädigungen" und anderen Kosten anfällt, bevor ebendieser übrig bleibt.)

Foto: thomas rottenberg

Das Laufwunder ist anders. Denn hier laufen tausende Kinder und Jugendliche aus etlichen Schulen und Kindergärten mehr oder weniger unstrukturiert im Kreis – und sammeln mit jeder Runde Spenden. Die kommen von eigens gesuchten Sponsoren. Das können Eltern, Freunde oder Verwandte ebenso sein wie Firmen und Institutionen. Auch wie viel eine Runde den Spender kostet, ist eine Frage des Verhandlungsgeschicks der Jugendlichen in der Akquise.

Foto: thomas rottenberg

Das klingt ein bisserl kompliziert und unübersichtlich – und ist es auch. Zumindest auf den ersten Blick. Aber das passt gut – auch zum optischen Eindruck, den das Laufwunder auf den ersten Blick vermittelt. Als ich das erste Mal dabei war (2017, als Moderator des Events), bekam ich die Krise: Es war brütend heiß – und auf der Laufbahn des Sportcenters Donaucity (einer Anlage zwischen Uno-City und Alter Donau) standen 900 Kinder und Jugendliche. Die sollten jetzt gleich 45 Minuten lang so oft wie möglich im Kreis rennen. Nicht in einzelnen, kleinen Grüppchen – sondern alle gleichzeitig: 900 Menschen auf einer stinknormalen 400-Meter-Aschenbahn? Das musste ein Missverständnis sein.

Nur: Genau das war der Plan. Denn kurz nach den ersten 45 Minuten stand der nächste Start auf dem Plan: wieder mit mehr als 900 Schülern. Und dann noch ein Mal. An zwei Tagen hintereinander würden hier – und an ein paar anderen Standorten in Österreich – über 7.000 Kinder und Jugendliche rennen. Schülerinnen und Schüler aller Altersstufen – vom Kindergarten- bis zum Oberstufenalter – wild gemischt.

Das, so dachte ich mir im Vorjahr, kann unmöglich funktionieren oder gutgehen.

Foto: thomas rottenberg

Ich lag falsch. Im Vorjahr ebenso wie heuer, wo ich gemeinsam mit der Bloggerin Daria Daria (schwarzes Shirt), dem Austria Kicker Manuel Ortlechner (hinten) von Caritas-Generalsekretär Klaus Schwertner (links) und dem Team rund um die Organisatorinnen Alice Uhl und (nicht im Bild) Agnesa Isufi als Fan und Motivator eingeladen war.

Heuer wiederholte sich das Spiel fast genau so wie 2017 – einzig die Hitze (und die dadurch verursachte Megastaubwolke über der Bahn) fehlte.

Foto: young caritas

Bei den drei Läufen am Mittwoch waren insgesamt 2.846 Starter und Starterinnen dabei, am Donnerstag dann noch einmal 2.455. Gemeinsam mit den "externen" Laufwunder-Spendenläufen in den Bundesländern waren 2018 bisher exakt 7.174 Kinder und Jugendliche unterwegs. Sie schafften insgesamt 47.918 Runden, also 21.466,4 Kilometer.

Dazu kommen 5.700 Rollerkilometer: Ein paar Hundert Teilnehmerinnen und Teilnehmer rollten (nicht auf der Aschenbahn, sondern auf einem Asphaltweg nebenan) mit ihren Scootern wie die Irren im Kreis. Das so lukrierte Spendenergebnis ist beeindruckend – und vorläufig. Schließlich sind vergangene Woche ja "nur" 68 Schulen aus Wien und Niederösterreich und 22 Wiener Kindergärten an der Alten Donau angetreten – die genauen Ergebnisse von anderswo liegen noch nicht vor.

Foto: thomas rottenberg

Ob das denn wirklich etwas mit Laufen zu tun habe, fragte ein Freund, als ich ihm die Bilder der komplett überfüllten Bahn zeigte: Da sähe man doch auch Kids, die einfach nur spazierten. Oder herumständen. Oder …

Ja eh. Aber: Na und? Der Irrtum, dem wir (ich im Vorjahr anfangs so wie er heuer) aufsaßen, war, dass wir beim "Laufen" genormte Bilder erwarten.

Je intensiver, strukturierter und organisierter wir selbst rennen, umso starrer wird es: Dass sich auf einer 400-Meter-Bahn tatsächlich fast 1.000 Menschen gleichzeitig bewegen können, passt nicht in die erlernten Schemata von "Sport". Doch genau mit dieser Niederschwelligkeit überspringt man jene Hürden und Barrieren, die den spielerischen Zugang zu Bewegung ermöglichen und schaffen: No na können 1.000 Kids auf einer Bahn nie und nimmer gleichzeitig "richtig" rennen.

Nur: Darum geht es auch gar nicht. Oder genauer: Darum geht es den wenigsten – und die, die wirklich 45 Minuten durchlaufen wollen oder können, laufen dann erstens eh. Slalom zwar, aber eben doch, und das lachend. Und die, die tatsächlich, also strukturiert, laufen, tun das meist sowieso schon anderswo. Da ist dieser Event nur ein Add-on.

Foto: thomas rottenberg

Aber Dauerlaufen um des Laufens willen ist bei den meisten Jugendlichen eh kein Thema. Ganz im Gegenteil. Das ist spannend zu beobachten: Kaum ein Teenager kann auch nur annähernd abschätzen, wie lang 400 Meter sind: Egal wie oft und intensiv man es ihnen vor dem Start auch sagt oder predigt, fetzen die meisten beherzt und in Sprintermanier los – und halten die Pace nicht einmal bis zur ersten Kurve. Spätestens ab der dritten Runde wird dann gegangen – unterbrochen von wilden Zwischensprints.

Eine Strategie oder auch nur eine Idee, mit welchem Tempo man losrennen sollte, um eine Dreiviertelstunde lang halbwegs gleichmäßig joggen zu können, hat de facto niemand. Auch nicht für zehn oder 15 Minuten. Nur dort, wo ein Lehrer oder eine Lehrerin den Pacer gibt oder jemand ganz offensichtlich mehr als nur in der Schule sportelt, funktioniert das.

Foto: thomas rottenberg

Auch wenn etliche Kids nach nicht einmal fünf Minuten leicht fassungslos über das völlige Ausgepumptsein waren, ist das weder schlimm noch falsch: Das Haushaltenkönnen mit Energie und Ressourcen sowie Abschätzenkönnen, wie lange die eigenen Kräfte in welcher Dosierung halten, gehört selten zu dem, was Jugendliche interessiert. Das ist legitim – aber, ja ich gebe es zu, für uns alte Säcke ist es eben doch ein bisserl befriedigend zu sehen, wie die Kids, die uns anfangs spielend stehen lassen und eventuell sogar ein- oder zweimal überrunden, dann eingehen.

Problematisch ist eher etwas anderes: Die Jugendlichen tragen zu viel Kleidung. Ein klassischer "Newbie"-Fehler: Kaum jemand ahnt, wie rasch und wie sehr der eigene Körper in Bewegung heizt. Aber sobald nur eine Wolke am Himmel steht, rennen die Leute mit langen Hosen, fetten Kapuzensweatern, Regenjacken oder wattiertem Zeug. Sie dampfen und leiden – und wundern sich, wieso nix weitergeht.

Auf der Hauptallee wundere ich mich darüber im Stillen. Als Platzsprecher und "Experte" sagte ich hier aber mehrfach, dass das viele Gwand kontraproduktiv ist.

Womit ich echt nicht rechnete: Eine Lehrerin rüffelte mich. Sie war richtig böse: Derlei sei zu unterlassen. Es setze muslimische Mädchen unter Druck, sei diskriminierend und frauenfeindlich. Ah ja.

Foto: thomas rottenberg

Zurück zum eigentlichen "Laufwunder" und dem, worum es hier geht: Hier wird Geld gesammelt. Traditionell für jeweils ein in- und ein ausländisches Projekt mit Jugendbezug. Heuer standen die Projekte unter dem Motto "Recht auf Bildung" – und so wurde zum einen für die insgesamt elf "Lerncafés" in Wien und Niederösterreich gelaufen, in denen Kinder und Jugendliche aus einkommensschwachen Familien kostenlose Lern- und Nachhilfe erhalten können.

Zum anderen für das Krisen- und Tageszentrum Petrushka in Tiraspol, der zweitgrößten Stadt der Republik Moldau. Hier leben 25 Kinder und Jugendliche. 40 weitere finden im Tageszentrum neben Essen und Versorgung jenes Umfeld, etwa Platz und Ruhe, das nötig ist, um an Schule und Ausbildung überhaupt denken zu können.

Foto: thomas rottenberg

Das "Laufwunder" fand heuer zum mittlerweile elften Mal statt. Die teilnehmenden Gruppen und Klassen konnten auch Preise gewinnen: vom kollektiven Kinobesuch oder Crossfit-Gutscheinen bis zu Austria-Heimspieltickets, Trainingsbesuchen bei den Vienna Capitals oder – für die Kleineren – Karten für Kindertheatervorstellungen.

Außerdem gab es neben dem Laufen einen "Aufgabenparcours". Und natürlich Promi-Selfies en masse: Sogar deklarierte Rapid-Fans (aber auch die Caritas-Mitarbeiter) wollten sich etwa das Bild mit Manuel Ortlechner (einem "Laufwunder"-Stammgast) nicht entgehen lassen.

Foto: thomas rottenberg

Trotzdem ist es nicht ganz so locker und einfach, wie es wirkt, Schülerinnen und Schüler für das Gute laufen zu lassen: Die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer steigt – aber die Sponsorbudgets (oder die Bereitschaft, zu spenden) stagnieren. Höflich formuliert.

Die 155.811,80 Euro von heuer sind da tatsächlich ein Wunder – das kommendes Jahr hoffentlich wieder eintreten wird. Ich werde gern wieder dabei sein. (Thomas Rottenberg, 23.5.2018)

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