Friedrich Christian Delius, "Die Zukunft der Schönheit". € 16,- / 96 Seiten. Rowohlt, Berlin 2018

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Am 1. Mai 1966 ist der angehende Schriftsteller Friedrich Christian Delius in New York. Er hat gerade erst ein paar Gedichte geschrieben, und schon darf er an der Exkursion der Gruppe 47 teilnehmen. Es war die berühmte Tagung, auf der Peter Handke Skandal machte, indem er der Elite der deutschen Literatur "Beschreibungsimpotenz" unterstellte. Delius war damals 23 Jahre alt, und er hatte Glück: Er kam beim Vorlesen nicht dran, dadurch blieb ihm eine Blamage erspart, wie er rückblickend selbst sagt.

In den wenigen Freistunden hatte er ein Erlebnis, von dem er in seinem neuen Roman Die Zukunft der Schönheit erzählt. Am Tag der Arbeit, an dem in Amerika natürlich gearbeitet wird, gerät er in ein Jazzkonzert: Albert Ayler spielt in Slug's Saloon. Ein "Schallüberfall", durch den sich Delius auf die Probe gestellt sieht. So etwas hat er noch nie erlebt, ist er doch ein "Dorfkind, Provinzler, Hinterherläufer, Pastorensohn, verklemmt, unmusikalisch, stotternd, Anfänger, Nichtskönner". Und das, was er auf der Bühne sieht und hört, ist vollkommen freie Musik: Free Jazz.

"Dichte Folge wilder Vibrationen"

Den atonalen Nummern – eine "dichte Folge wilder Vibrationen" – versucht Delius in der Rückschau sprachlich gerecht zu werden. Beim Gedanken an den Krieg in Vietnam wurde ihm diese Musik schon damals verständlicher. Das Konzert wird für Delius zu einer Zeitreise, eigentlich zu einer doppelten, denn er erinnert sich nun, aus der Distanz von mehr als 50 Jahren, an den Auftritt von Albert Ayler, und er erinnert sich an das "Rückwärtsfühlen", in das er damals im Slug's Saloon geriet.

Seine ganze Kindheit und Jugend als Sohn eines Kriegsheimkehrers tauchte wieder vor ihm auf. Während Ayler mit seiner Band Klassiker zerlegt, ist Delius im Geist wieder in der Tanzschule in der hessischen Kleinstadt. Und er durchlebt noch einmal die Auseinandersetzungen mit seinem Vater, von dem ihm nun klar wird, dass er eigentlich kein so schlechter Kerl war, sondern ein "Wanderliedsänger, Dialektwitzbold und Spendierhosenträger".

Eine verstörend gute Zukunft

Das Konzert wird für Delius zu einer Initiation. Er versöhnt sich an diesem "langen, verstörenden Abend" mit sich selbst, und lässt sogar den Gedanken an eine glückliche Zukunft zu – eine Freundin von Hannah Arendt hat ihm ein Horoskop gestellt, es sieht verstörend gut aus. Und es traf wohl auch zu, denn Delius ist heute ein vielfach gewürdigter Autor, der immer schon auch so etwas wie ein literarischer Zeithistoriker war.

Gegenüber Ayler und seiner Musik verspürt Delius sogar einen "Anflug von Dankbarkeit". Für den jungen Mann beginnt etwas Neues, auch wenn der literarische Philister in ihm sich weiterhin bemerkbar macht: "Ich überlegte sogar, über die Tugend des Zersetzens einen programmatischen Aufsatz zu schreiben." Was Ayler zersetzt hat, hat Delius wieder zusammengesetzt. Es ist eine vollkommen einseitige Begegnung, und wenn man an der rührenden Klarheit von Die Zukunft der Schönheit etwas befremdlich finden mag, dann am ehesten eine gewisse Selbstbezogenheit, die auch der altersweise Delius nicht loswird. Wohl ist ihm klar, dass aus Ayler auch "die Wut der Schwarzen" zu vernehmen ist. Gleichwohl bleibt dieser Aspekt des Konzerterlebnisses ihm letztlich vollkommen fremd. (Bert Rebhandl, 23.5.2018)