Es braut sich was zusammen im Pazifik, wenn El Niño umgeht. Stürme, schwere Regenfälle genauso wie Dürre sind die Folgen.

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In unregelmäßigen Abständen verschwinden viele Fische aus den reichhaltigen Beständen vor der Westküste Südamerikas. Das oberflächennahe Meerwasser wird hier so warm, dass der Humboldtstrom, der kühles, nährstoffreiches Wasser aus der Antarktisregion bringt, fast zum Erliegen kommt. Fische wandern ab, Korallen sterben. Das unberechenbare Phänomen, das im Abstand von zwei bis sieben Jahren jeweils um die Weihnachtszeit auftritt, wurde in Peru El Niño getauft – das Christkind.

Die Wetteranomalie ist nicht nur für die Fischerei eine Katastrophe. Wenn die Südostpassatwinde im Pazifik einschlafen und das warme Oberflächenwasser nicht wie gewöhnlich in Richtung Südostasien strömt, führt das zu verhängnisvollen Auswirkungen beiderseits des Pazifiks: In Südamerika kommt es zu Unwettern, Stürmen und schweren Regenfällen, in Australien und Indonesien herrscht Dürre. In besonders schlimmen Jahren werden selbst Wetterphänomene in Afrika oder Europa mit El Niño in Verbindung gebracht.

Die komplexen atmosphärischen und ozeanischen Vorgänge rund um El Niño sowie die Frage, wie sich das Phänomen im Zuge des Klimawandels verändert, sind Thema von Forschungsbemühungen weltweit. Vieles deutet darauf hin, dass sich die El-Niño-Phänomene verstärken: Im Winter 2015 wütete der drittstärkste El Niño seit 65 Jahren. Einer der Wissenschafter, die daran arbeiten, bessere Vorhersagen des unberechenbaren Phänomens zu ermöglichen, ist der Mathematiker Adrian Constantin von der Uni Wien.

Er versucht, einem bisher sehr schwer fassbaren Aspekt von El Niño auf die Spur zu kommen: der Wechselwirkung von äquatorialen Tiefenströmungen und sogenannten internen Wellen unterhalb des Meeresspiegels, die sich über tausende Kilometer fortpflanzen – und bei deren Berechnung Faktoren wie die Erdrotation berücksichtigt werden müssen. "Bis jetzt wurde die äquatoriale Tiefenströmung in Klimamodellen ignoriert, weil ihre Modellierung einfach zu kompliziert ist", sagt Constantin.

Riesenwellen unter Wasser

In seinem Projekt, das vom Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF) unterstützt wird, arbeiten er und seine Kollegen am Institut für Mathematik der Uni Wien mit der Universität Stanford zusammen. Von dort kommen Messdaten zu den Tiefenströmungen, die an Bord eines Forschungsschiffs gesammelt werden. Anhand dieser Daten kann der Mathematiker seine Schlussfolgerungen mit der empirischen Realität abgleichen.

Genauso wie das warme Oberflächenwasser am pazifischen Äquator im Normalfall tausende Kilometer in Richtung Westen nach Südostasien fließt, strömt darunter, in einer Meerestiefe um die 100 Meter, ein kühlerer Wasserfluss in die Gegenrichtung: die sogenannte Cromwell-Strömung, ein Phänomen, das erst 1952 entdeckt wurde.

Die unterschiedlichen Temperaturen bedeuten auch, dass sich die Wasserschichten in ihrer Dichte unterscheiden. "Genauso wie der gravierende Dichteunterschied zwischen Luft und Wasser an der Meeresoberfläche bringt auch dieser sehr geringe Dichteunterschied unter Wasser Wellenbewegungen hervor", erklärt Constantin. "Sie sind nicht kleinräumig und schnell wie an der Oberfläche. Diese internen Wellen breiten sich langsam aus, können aber eine Länge von hunderten Kilometern und Amplituden von 50 Metern erreichen." Sie verändern den Energietransport im Wasser und könnten Aufschluss über die Ausbreitung der El-Niño-Phänomene geben.

Einfluss der Gravitation

Bei der mathematischen Charakterisierung der Cromwell-Strömung und ihrer Interaktion mit internen Wellen kommen die theoretischen Ansätze der Strömungsmechanik zum Tragen. Doch damit ist es in Anbetracht des Ausmaßes des Phänomens nicht getan. "Die Corioliskraft, die aus der Drehbewegung der Erde resultiert und die beispielsweise auch viele Windbewegungen beeinflusst, ist eine wichtige Einflussgröße", betont der Mathematiker.

Die Gravitation sorgt dafür, dass eine Wellenbewegung im Wasser mit der Zeit flacher wird und verebbt. "Doch der Einfluss der Corioliskraft verändert die Auswirkungen der Gravitation, die je nach Breitengrad unterschiedlich ausfallen", sagt Constantin.

Die Ergebnisse der Strömungsmechanik überprüft man üblicherweise im Laborexperiment. Doch bei der Größenordnung eines globalen Phänomens ist das kaum zielführend, weil die Corioliskraft, aber auch andere Faktoren nicht simuliert werden könnten. Umso wichtiger sind die tatsächlichen Messdaten aus dem Pazifik.

Constantins Untersuchung der Tiefenströmung könnte nicht nur helfen, El Niño besser zu verstehen, sondern auch den Anfangspunkt für weitere mathematische Unterwassererkundungen bilden. Ähnliche Strömungsbewegungen gibt es auch im Atlantischen oder Indischen Ozean, sie unterscheiden sich dort aber in ihren Charakteristiken. Würde man allerdings den atlantischen Golfstrom – der wie berichtet im Verdacht steht, sich durch den Klimawandel abzuschwächen – auf diese Art untersuchen wollen, wäre das ein noch viel schwierigeres Unterfangen, betont Constantin.

"Im Pazifik bewegt sich die Tiefenströmung entlang des Äquators. Der Golfstrom bewegt sich allerdings nach Norden und Osten, was die Wechselwirkung mit der Corioliskraft noch einmal verkompliziert." (Alois Pumhösel, 28.5.2018)