Der Kanzler fühlt sich unfair behandelt. So viel Falsches sei über die Regierungspläne zum Umbau der Sozialversicherungen verbreitet worden, sagte Sebastian Kurz, als er – von Bescheidenheit nicht angekränkelt – den Medien "das größte Reformprojekt der Zweiten Republik" schmackhaft zu machen versuchte. Ob politische Umfärbung oder Kürzungen von Gesundheitsleistungen: Nichts von dem habe die Koalition vor.

War die geballte Kritik also nur Gräuelpropaganda? Bisher haben Türkise und Blaue viel ins Unreine argumentiert und so selbst Spekulationen angeheizt. Doch nun liegt zumindest ein grobes Konzept vor – und dieses gibt jeden Anlass dazu, Kurz’ Gelöbnis mit Misstrauen zu begegnen.

Die Regierung will nicht nur die Apparate der Sozialversicherungen verschlanken, was ein grundsätzlich begrüßenswertes Ziel ist, sondern verschiebt auch im Inneren die Gewichte. Die historisch gewachsene Dominanz der Arbeitnehmervertreter in den Vorständen der Krankenkassen soll fallen, stattdessen ist im Verwaltungsrat der künftigen österreichweiten Superkrankenkasse ein Gleichstand zwischen Arbeiter- und Wirtschaftskämmerern vorgesehen.

Sachliche Argumente gibt es für das alte wie das neue Modell. Auf der einen Seite spricht das Prinzip der Selbstverwaltung für die Dominanz der Arbeitnehmer – die Versicherten regeln sich die Angelegenheit über ihre Lobby quasi selbst. Andererseits lässt sich einwenden, dass Unternehmer ja auch in die Sozialversicherung einzahlen und deshalb – wie etwa in Deutschland oder Frankreich – gleichberechtigt mitreden sollen.

Unseriös ist es aber, so zu tun, als ob die geplante Änderung keine Machtverschiebung bedeutet. Das vom ÖVP-Sozialsprecher treu herzig gebrachte Argument, dass quasi nur der arbeitnehmerlastige Vorstand mit der von den Unternehmervertretern dominierten Kontrollversammlung fusioniert werde und sich so an den Kräfteverhältnissen nichts ändere, ist eine Nebelgranate: Entscheidend ist der Einfluss in der Führungsriege, nicht im Aufsichtsrat. Natürlich haben Arbeitgebervertreter in der Krankenversicherung künftig mehr zu sagen – und weil diese meist zur ÖVP gehören, läuft es de facto sehr wohl auf eine Umfärbung hinaus.

Gelegenheit, den neuen Einfluss zu nützen, bietet die Harmonisierung der je nach Bundesland unterschiedlichen Leistungen. Soll dabei wirklich niemand schlechter aussteigen, müsste logischerweise das jeweils höchste Niveau als Maßstab dienen. Aber genau das wollte die Regierung auf Nachfrage der Journalisten dann doch nicht zusagen, die Entscheidung liege bei den Versicherungen. In der Krankenkasse werden die dort gestärkten Unternehmervertreter wohl kaum für die Maximalvariante plädieren.

Nun ließe sich durchaus argumentieren, dass aus finanziellen Gründen ein Mittelweg gefunden werden müsse – doch das sollte fairerweise dann auch ehrlich ausgesprochen werden.

Zweifelhaft ist das Dementi zu den Leistungskürzungen auch wegen des Plans, den Arbeitgebern 400 Millionen Euro an Beiträgen zur Unfallversicherung zu ersparen. Bis heute verrät die Regierung nicht, wo das Geld stattdessen herkommen soll – und dass die Unfallversicherungsanstalt AUVA derartige Summen in der Verwaltung einsparen kann, ist ein Hirngespinst.

Das hat System. Zur Verkaufspolitik der türkis-blauen Regierung gehört stets auch die Verschleierung. (Gerald John, 22.5.2018)