Peter Simonischek liebt laut eigenem Bekunden die "Widersprüchlichkeiten" – auf dem Theater, im Film, im Leben.

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Jemand musste Burgschauspieler Peter Simonischek beim Verband der Dentalärzte verleumdet haben. Denn ohne dass er sich als Schauspieler etwas zuschulden hatte kommen lassen, waren ihm plötzlich furchterregende Zähne gewachsen. Mit dem schier unglaublichen Erfolg von Maren Ades Film Toni Erdmann schien Simonischek vor zwei Jahren seiner angestammten Heimat, dem Theater, entrückt. Als Kerl mit Zottelperücke und furiosem Gebiss ressortierte er plötzlich im Schmucksegment der Kintoppindustrie.

Der Burgstar winkte (unentstellt) mit seinem leutseligsten Lächeln von der Croisette in Cannes, von den Filmfestspielen. Um ein Haar hätte Toni Erdmann sogar noch den Auslandsoscar errungen. Dann wäre sein Darsteller wohl nach Hollywood übersiedelt. Er hätte vielleicht in Men in Black IV einen Außerirdischen mit dentaler Missbildung spielen dürfen.

Unerschütterlich gelassen

In den Maitagen 2018 probt Peter Simonischek stattdessen für die Erstaufführung von Ayad Akhtars The Who and the What im Wiener Akademietheater. Premiere ist am Sonntag (Regie führt Felix Prader). Dem gebürtigen Grazer, der heuer 72 Jahre alt wird, eignet eine schier unerschütterliche Gelassenheit. Als ihm unlängst eine Zeitung "Theatermüdigkeit" andichtete, habe er sich "geärgert". Doch kratzen konnte man ihn mit solchen Bosheiten in Wahrheit nicht.

Heute könnte Simonischek angeben, er sei im Zweitberuf Filmstar. Es stimmt, er habe nach Toni Erdmann eine wahre Flut von Filmangeboten bekommen. Aber er bediene gern das alte Klischee: "Mit dem Theater bin ich verheiratet, dem Film behalte ich meine amourösen Ausflüge vor!"

Exorzierter Erfolg

Simonischek hat die Figur des Toni Erdmann, dieses etwas vertrottelten Vaters an der Seite von Sandra Hüller, in sein Leben als Bühnenschauspieler herübergeholt. Als 2016 an der Burg Goldonis Ein Diener zweier Herren gegeben wurde, war Simonischek als Pantalone in teuerstes Tuch gekleidet. Nur aus dem Mund ragten schon wieder monströse Zähne hervor. Als wolle er den Leinwanderfolg exorzieren.

Dabei ist Simonischek, der so sehr dem Idealtypus des Gesellschaftslöwen mit Silbermähne entspricht, bei Bedarf ein Darsteller von Bösewichten. Dann wirbt er förmlich für die Abgründe noch der haltlosesten Schurken. Oder er legt sich für Charakterschwächlinge ins Zeug.

Kurfürst im Kälteschock

Wer ihn als Kurfürst in der Andrea-Breth-Inszenierung des Prinzen von Homburg gesehen hat, spürt noch heute den Kälteschock nachwirken. Als notgeiler Pianist Heink in Bahrs Das Konzert gab er den ewigen Stenz, der in Wahrheit sich selbst – wie auch den Damen, die er unterschiedslos beglückt – ein Gräuel ist.

Dabei pflegt Simonischek mit seinen darstellerischen Mitteln hauszuhalten. Er selbst bevorzugt im Theater nicht so sehr den Typus des Artisten, sondern den des "Verwandlers". Simonischek setzt beim Erzählen einen verklärten Blick auf, wenn er von Schauspielern wie Gert Voss spricht. Von jemandem wie dem furiosen Norbert Kappen (1928–1984), einem bis heute unübertroffenen Professor Bernhardi. Durch Simonischeks Beschreibungsversuche schimmert Demut durch. Es reiche ihm aus, wenn er das Publikum gelegentlich "zum Weinen und zum Lachen" verführe.

Philosophie eines Lüstlings

Unlängst verkörperte Simonischek in Ostrowskis Schlechte Partie einen Geldsack. Als Knurow spiele er "einen Kapitalisten, der ganz klar sieht, dass ihm einzig sein Geld die Möglichkeit einräumt, an das begehrte Frischfleisch, die schöne, junge Braut in spe, heranzukommen". Pech für den Lüstling, dass er sich in das Objekt der Begierde wirklich verliebt. Simonischek lächelt fein: "Ich mag das gern. Ich liebe Widersprüchlichkeiten mehr als Eindeutigkeiten."

Jetzt spielt er einen pakistanischen Taxiunternehmer, der, glücklich im Westen angekommen, am Unglauben seiner säkular denkenden Lieblingstochter irre wird. Simonischek beschäftigt sich aus Anlass der Akhtar-Erstaufführung mit dem Phänomen der Glaubensgewissheit. Er fragt: "Sind wir 'aufgeklärte' Christen gegen muslimische Gläubige nicht liberale Hobbygläubige?" Doch sei Religionsfreiheit für ihn nun einmal "die größte Frucht der Aufklärung".

Heuchelei holt Simonischek aus der Deckung seiner Freundlichkeit. So sehr er die #MeToo-Debatte begrüßt, so wenig hält er von einer Verquickung von Charakter und Können. "Schon in der Renaissance waren künstlerische Genies gelegentlich überaus unangenehme Menschen. Die Tatsache, dass jemand wie Kevin Spacey als Filmkünstler von der Bildfläche verschwindet, ist für mich – egoistisch gesprochen – ein großer Verlust." (Ronald Pohl, 25.5.2018)