Die Regierung projiziert in die Köpfe der Wähler das Bild, dass sie hart gegen (ausländische) Sozialschmarotzer vorgehe, schreibt Gerald John.

Foto: Maria von Usslar

Wären die Freiheitlichen noch in der Opposition, sie würden nun lauthals "Verrat" schreien: Die Regierung ist umgefallen. Weder wird sie die Höhe der Mindestsicherung generell bei 1.500 Euro begrenzen, noch alle Flüchtlinge per se schlechterstellen. Beide Ziele hatte die Koalition großspurig in ihr Programm geschrieben, ohne sich um die längst bekannten verfassungs- und europarechtlichen Einwände zu scheren.

Doch abseits der Versprochen-gebrochen-Logik verdient das Modell ein differenziertes Urteil. Immerhin sind ÖVP und FPÖ in die richtige Richtung umgefallen. Unfreiwillig, weil aus juristischer Not heraus, haben sie ihr ursprüngliches Konzept entschärft – gerecht, wie das die Regierung behauptet, ist die "Mindestsicherung neu" deshalb aber noch lange nicht.

Eine gute Nachricht ist, dass kein Deckel bei 1.500 Euro zuklappen wird, was größere Familien mit hohen Wohnkosten in die Not getrieben hätte. Das Ersatzprogramm – für jedes zusätzliche Kind gibt es einen geringeren Zuschlag – wäre in der moderaten Form, wie sie in den meisten Ländern besteht, verkraftbar; schließlich steigt dafür die Familienbeihilfe pro Kopf. Doch die neue Vorgabe der Koalition fällt ab dem dritten Kind brutal aus: 45 Euro pro Monat zum Leben sind ein Hohn. Daran ändert auch der löbliche Schritt, Alleinerziehende besser zu bedienen, nur begrenzt etwas.

Beim zweiten Kernstück, der Benachteiligung von Ausländern, gilt es zu unterscheiden. Dass die (begrenzten) Möglichkeiten von EU-Bürgern, rasch die Mindestsicherung zu beziehen, eingeschränkt werden sollen, ist – von rechtlichen Problemen einmal abgesehen – argumentierbar. Die vielen Osteuropäer, die zum Arbeiten nach Österreich gekommen sind, haben im Fall eines Jobverlusts schließlich eine Alternative: die Rückkehr.

Für anerkannte Flüchtlinge gilt das hingegen nicht. Sie hat nicht die Aussicht auf besseren Verdienst, sondern die Angst um Leib und Leben nach Österreich verschlagen. Diese Gruppe durch harte Kürzungen unter die Armutsschwelle zu drücken, bringt kurzfristige Einsparungen, schafft langfristig aber Nährboden für Kriminalität und Radikalisierung.

Zwar sieht das überarbeitete Konzept auch hier eine Milderung gegenüber dem ursprünglichen Plan vor: Flüchtlinge sollen nicht permanent mit 300 Euro weniger im Monat abgespeist werden, sondern nur so lange, wie sie nicht ein gewisses Deutschniveau erreichen – also ein Einschnitt mit Ablaufdatum. Doch Sinn bekommt die Übung deshalb noch lange nicht. Längst werden arbeitslose Asylberechtigte in Deutschkurse gesteckt, die als "Anreiz" verkaufte Kürzung wird kaum jemanden in einen Job treiben: Die allermeisten Flüchtlinge scheitern am Arbeitsmarkt nicht aus Unwille, sondern weil es an Qualifikation und Angebot fehlt – und die Regierung unterschlägt konsequent, dass Arbeitsverweigerern schon heute die Kürzung der Mindestsicherung droht.

Doch einen Zweck erfüllt die Reform natürlich: Die Regierung projiziert in die Köpfe der Wähler das Bild, dass sie hart gegen (ausländische) Sozialschmarotzer vorgehe. Ständig spielt sie die Bürger, "die jeden morgen aufstehen", gegen Sozialhilfeempfänger aus – als ob die 300.000 Arbeitslosen alle freiwillig daheim blieben. Es ist kein Zufall, wenn die Koalitionäre bei ihrer Präsentation ein Beispiel anführen, mit dem sich die Stimmung besonders gut anheizen lässt: den Fall einer tschetschenischen Familie. (Gerald John, 28.5.2018)