Wiener Werkstätte, Postkarte Nr. 251 mit einem Porträt Otto Wagners (1911).

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Otto Wagner, Armlehnsessel für die Österreichische Postsparkasse in Wien (1904–1906), Ausführung: J. & J. Kohn.

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Otto Wagner, "Nieder Oest. Landes Heil- und Pflegeanstalten" (1906).

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Was hat die U-Bahn-Station Alte Donau mit Otto Wagners Stadtbahn zu tun? Was ist die Gemeinsamkeit zwischen einem roten Apfelkiosk auf dem Times Square und dem goldenen Krauthappl der Wiener Secession? Und warum muss Sebastian Hackenschmidt, der Kurator des Museums für Angewandte Kunst (MAK), wenn er vor dem Pariser Centre Pompidou steht oder unter Frei Ottos Zeltdachkonstruktion im Münchner Olympiapark herumspaziert, unentwegt an die alte, denkmalgeschützte Kassenhalle von Otto Wagners Postsparkasse denken?

Das MAK zeigt, wie das Denken Otto Wagners nachwirkt – bis in die Postmoderne. Im Bild: kleiner Kassensaal der Postsparkasse.
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"Weil", sagt er nach elf Monaten intensiver Arbeit, "Otto Wagners Denken und Bauen bis in die Postmoderne hineinwirkt und nachfolgende Generationen von Designern, Architektinnen und Stadtplanerinnen mitgeprägt hat. Seine Absage an den Einsatz historischer Stile und seine ganz eigene Ästhetisierung des Gegenständlichen ist bis heute inspirierend." Genau diese Einflüsse und Wechselwirkungen sind das Material der umfassenden, überraschend komponierten Ausstellung Post Otto Wagner. Von der Postsparkasse bis zur Postmoderne, die ab Mittwoch im Mak zu sehen ist.

Gedenkfamilien

Und das Wiedersehen der alten, im 100. Todesjahr Wagners immer wieder in der Öffentlichkeit aufflammenden Pläne, Zeichnungen, Modelle und Möbelstücke macht große, überaus große Freude sogar, denn hier werden nicht wie sonst üblich längst bekannte Exponate zu längst bekannten Gedankenfamilien gruppiert.

Nein, hier wird assoziativ herumjongliert, hier werden Aha-Paarungen und welt- und epochenumspannende Querverweise gemacht. Dann wundert es auch nicht, wenn über den Fotos diverser Landhäuser um 1900 aus Wien, Brno, Mariazell plötzlich eine Alessi-Plastikkuckucksuhr von Robert Venturi und Denise Scott Brown hängt. Wissenschaftliche Assoziationsbrücken kennen kein Tabu. Besonders tief eintauchen kann man in die Welt der Stühle, der Kredenzen, der Hausfassaden, der Verkehrsbauten und der Stadtplanungskonzepte für Wien, London, Amsterdam, die Chicagoer Weltausstellung 1893 und die australische Hauptstadt Canberra, die 1912 aus dem Erdboden gestampft wurde.

Sogar der Beitrag zur Planetarisierung der Erde (1968) von Oswald Mathias Ungers und Volker Seyn hat es in Wagners Nachbarschaft in die Vitrine geschafft: "Spanischer Vorschlag aus den 20er-Jahren zur Verbindung zweiter Städte. In den Polargebieten sollte die Bebauung vielleicht noch weiter zurückgenommen werden. Allerdings wäre eine Klimatisierung kein Problem." Die strukturellen Ähnlichkeiten mit Wagners Stadtutopien für ein Großwien mit 39 Bezirken liegen auf der Hand.

Leitsysteme

Während sich das Fachpublikum an diesen Schätzen erfreuen wird, können sich interessierte Laien in Wiener Sessel- und Fauteuilkunde üben und schauen, ob sie die ausgestellten Exponate von einerseits Otto Wagner und Adolf Loos, andererseits von Hermann Czech, Adolf Krischanitz und Robert Maria Stiel der jeweils richtigen Epoche zuzuordnen schaffen. Gleiches gilt übrigens für die Fassadenspiele eines Max Fabiani sowie diverser Wohn- und Geschäftshäuser von Venturi und Scott Brown.

Das US-amerikanische Architektenpaar prägte die Epoche und die dahinterstehenden Theorien, die in Las Vegas ihren Höhepunkt erreichten, wie niemand anderer mit. Die Ausstellung würdigt den Beitrag der beiden Postmodernisten gleich doppelt, indem sie nicht nur viele Querverbindungen herstellt, sondern auch deren berühmte Skizze I am a Monument, die in der Architekturtheorie Niederschlag gefunden hat, zitiert und in Form von riesigen Las-Vegas-Tafeln mit hunderten Glühbirnen zum Leitsystem der Schau erklärt. Genial irre.

Post Otto Wagner ist weniger eine Ausstellung über Wagner als vielmehr eine Untersuchung, auf welchen Wurzeln unsere heutige Gestaltungskultur basiert. "Die Ausstellung zeigt retrospektiv, wie modern Wagner war und wie weit die postmodernen Architektur- und Designansätze zurückreichen", sagt Sebastian Hackenschmidt. "Wagner hat es geschafft, vor hundert Jahren formale Grundlagen zu legen, die heute immer noch aktuell sind." Möge sich die Signa-Holding, die nun neue Eigentümerin der Postsparkasse ist und darin Wohnungen und Hotels im Luxussegment errichten will, an dieser Erkenntnis orientieren. Die Chancen stehen gut, immerhin hat sie sich als Sponsorin an dieser EU-Interreg-Ausstellung beteiligt. (Wojciech Czaja, 30.5.2018)