Straßburg – Österreich kontrolliert seine Grenzen im Süden und Osten und will dies aus Sorge über neue Flüchtlingsrouten am Balkan notfalls intensivieren. Deutschland kontrolliert die Grenzen zu Österreich, und mit Frankreich, Dänemark und Schweden gibt es drei weitere EU-Länder, die zuletzt Grenzkontrollen im Schengenraum durchführten. Im EU-Parlament ist man über dieses Vorgehen alles andere als glücklich.

"Die Wiedereinführung der Kontrollen an den Binnengrenzen darf kein dauerhafter Status quo werden", heißt es in einer Resolution die am Mittwoch im EU-Parlament in Straßburg beschlossen werden soll. Der Schengen-Raum sei eine der größten Errungenschaften der Europäischen Union und grundlegender Bestandteil des europäischen Projekts.

Problem und Lösung

"Nationale Regierungen haben Schengen zum Sündenbock für die Versäumnisse in der Sicherheitspolitik und die Schwächen des gemeinsamen europäischen Asylsystems gemacht. Doch Schengen ist nicht das Problem, es ist die Lösung", erklärte der portugiesische EU-Abgeordnete und Berichterstatter Carlos Coelho (EVP). Er warnte davor, dass Schuldzuweisungen an die Freizügigkeit das Schengen-System zerstören könnten. "Wenn Schengen untergeht, verschwindet auch das Europa der Bürger in seiner jetzigen Form."

Das Gros der Abgeordneten verurteilt die Wiedereinführung von Grenzkontrollen innerhalb des Schengen-Raums sowie den Bau von Grenzbefestigungen und Zäunen zwischen den Mitgliedstaaten. Zugleich weisen sie auf die Notwendigkeit eines verstärkten Schutzes der EU-Außengrenzen hin. "Der Schengenraum steht unter großem Druck. Das liegt nicht zuletzt an den Schwachstellen im europäischen Asylsystem und beim Außengrenzschutz", meinte etwa der ÖVP-Abgeordnete Heinz Becker. Auch Becker will eine möglichst rasche Rückkehr zu offenen, kontrollfreien Binnengrenzen. Voraussetzung dafür sei ein aufgestockter Außengrenzschutz. "Frontex muss bereits tätig werden können, bevor Einwanderer an den Toren und Stränden stehen."

Kosten

Bei einer Debatte im EU-Parlament wurde auch auf die volkswirtschaftlichen Folgen der derzeitigen Situation hingewiesen: Die Grenzkontrollen behindern den freien Personen-, Waren- und Dienstleistungsverkehr innerhalb der EU. Dies hat Auswirkungen auf den grenzübergreifenden Güterverkehr, Tourismus und Berufsverkehr. 1,7 Millionen Arbeitnehmer überqueren auf dem Weg in die Arbeit täglich eine Grenze. Es entstehen Verwaltungs- und Infrastrukturkosten für den öffentlichen Sektor.

Schätzungen zufolge belaufen sich die Kosten der Nicht-Anwendung Schengens für alle Länder für zwei Jahre auf zwischen 25 und 50 Milliarden Euro. Würden alle Länder wieder Grenzkontrollen einführen, beliefen sich die Kosten für zehn Jahre auf 100 bis 230 Milliarden Euro. Das Transnational Institute (TNI) schätzt, dass die Mitgliedstaaten bereits Mauern und Grenzbefestigungen mit einer Gesamtlänge von mehr als 1.200 Kilometer im Gegenwert von mindestens 500 Millionen Euro errichtet haben.

Das Schengen-Abkommen wurde 1985 mit dem Ziel der Schaffung eines grenzfreien Raumes innerhalb der EU beschlossen. Pass- und Grenzkontrollen zwischen Mitgliedsstaaten wurden abgeschafft. Österreich trat dem Schengen-Abkommen im Dezember 1997 bei. Deutschland, Italien, Frankreich, Belgien, die Niederlande, Luxemburg, Spanien und Portugal bildeten damals den Schengen-Raum. 2007 wurde um Länder wie Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Slowenien oder die baltischen Staaten erweitert. Heute umfasst der Schengen-Raum 26 Länder und hat eine Außengrenze in der Länge von rund 50.000 Kilometer.

Dem Schengen-Raum sind übrigens auch die Nicht-EU-Staaten Norwegen, Island, Liechtenstein und Schweiz beigetreten. Die EU-Staaten Rumänien und Bulgarien könnten bald folgen. Großbritannien, Irland, Zypern und Kroatien gehören nicht zum Schengen-Raum. Die Flüchtlingskrise im Jahr 2015 führte dazu, dass die Schlagbäume an den Grenzen wieder runtergingen. Zuerst führte Deutschland Kontrollen ein, um den massiven Flüchtlingsstrom zu steuern, danach begann auch Österreich mit Kontrollen, insbesondere an der Grenze zu Ungarn und Slowenien. Frankreich, Dänemark, Schweden und Norwegen zogen nach. (APA, 30.5.2018)