Die ungarische Gruppe Soharóza macht sich mit ihrer Produktion Tabu Kollekció über die Tabufixiertheit der Theaterbranche lustig: Models singen über Flugzeugabstürze, Hautkrankheiten und Menstruation (3. 6.)

Foto: Kovács Márton

Wien – Mitte der 1980er-Jahre kam der Vorarlberger Konservatoriumsorgelschüler nach Wien und studierte Dirigieren und Komposition. Im Jeunesse-Chor sang Thomas Desi zusammen mit einer Studentin, die noch nichts davon ahnte, dass sie heutzutage Wiener Kulturstadträtin sein würde.

Früh schon zog es den Kreativen in die freie Szene. Was waren die Gründe dafür? "Blindheit und Wahnsinn." Die Möglichkeit der Kulturförderung sei teuflisch, resümiert er und erzählt selig schnurrend über die Pasterk-Zeit der unkomplizierten Subventionen. Tempi passati!

Über 40 Eigenproduktionen

In 20 Jahren schuf und zeigte Desi mit seinem Zoon Musiktheater über 40 Eigenproduktionen, dann gründete der menschenfreundliche Ermöglicher zusammen mit Georg Steker die Musiktheatertage Wien, eine Art Pfadfinderlager der Opernszene. Welche neuen Wege werden im Musiktheater beschritten? Gruppen aus halb Europa und aus Kuba wurden in der vierten Ausgabe eingeladen, dies aufzuzeigen. Unter dem Motto "Wovon man nicht sprechen kann, davon muss man singen" widmet man sich im Werk X dem Unsäglichen.

soharoza

Zur Eröffnung werden Unschicklichkeiten auf den Laufsteg geschickt. Die ungarische Gruppe Soharóza macht sich mit ihrer aufwendigen Produktion Tabu Kollekció über die Tabufixiertheit der Theaterbranche lustig: Models singen über Flugzeugabstürze, Hautkrankheiten und Menstruation (3. 6.). Eine Tabubrecherin war auch Isabelle Eberhardt: Zwanzigjährig ist die Schweizerin als Mann verkleidet nach Algerien gereist und dort zum Islam konvertiert – und zwar vor gut 100 Jahren! Die italo-amerikanische Komponistin Missy Mazzoli hat aus Tagebucheinträgen Eberhardts eine Oper in minimalistischer Tonsprache komponiert: Songs from the Uproar (13. und 15. 6.).

Absichtliche Fehler

Ein absolutes Tabu für Theateraufführungen mit oder ohne Musik sind Fehler. In der internationalen Koproduktion Trascrizione di un errore wird mit absichtlichen Fehlern gespielt, die Nähe von Alltag und Absurdität, von Erheiterung und Verunsicherung aufgezeigt (21.-23. 6.). Dass der künstlerische Alltag in Kuba kein leichter ist, davon kann das Teatro del Viento von Freddy Nuñez mehrere Lieder singen. In Los Caballeros de la Mesa Redonda wird Christoph Heins Politparabel zu einer wilden Travestieshow (7. 6.). Für die Kleinen: In der belgischen Produktion Grasland wird über Leben und Schaffen von György Ligeti erzählt (10. 6.).

Wie sieht Desi die Zukunft seiner Zunft? "Es wäre wünschenswert, wenn sich die großen Wiener Häuser öffnen würden", sagt er. Generell diagnostiziert der Musiktheatermacher bei den Verantwortlichen einen "Tunnelblick auf die Möglichkeiten des Theaters". Möge sich dieser weiten. (Stefan Ender, 1.6.2018)