Regisseure wie Ersan Mondtag oder Susanne Kennedy interessieren sich nicht mehr für Darstellungskunst als individuelle Interpretation. Hier ein Bild aus In Kennedys "Selbstmordschwestern" bei den Wiener Festwochen.

Foto: Judith Buss

Theater lebt von der Schauspielkunst. Aber nicht nur. Regiekonzepte einer jüngeren Generation bevorzugen Performer gegenüber Persönlichkeiten mit Wirkungsmacht. Das kann man derzeit bei den Wiener Festwochen gut studieren. Superplayer wie Ersan Mondtag oder Susanne Kennedy interessieren sich nicht mehr für Darstellungskunst als individuelle Interpretation.

Das mag Ausdruck eines Demokratisierungsprozesses sein (jeder spielt jeden), vor allem aber eine Facette zeitgenössischer Bühnensprache, die den Anspruch auf naturalistische Abbildungen weit hinter sich gelassen hat.

Schauspieler Fabian Hinrichs meint, seine Berufskollegen seien heute am Theater "verzwergt" und degradiert zu Textreproduzenten im Würgegriff der Technik. Eingesperrt in ein rigides Stadttheatersystem, das dem Schauspieler strukturell jede Entscheidungsmacht abspricht.

Sein Hilferuf – bei einer Laudatio in Berlin vor gebracht – ist Ausdruck eines Unbehagens, das viele teilen. Bringt das Theater Schauspieler heute also zum Verschwinden? Aenne Schwarz (Burgtheater) und Florian Teichtmeister (Josefstadt) sehen beide die Sache differenziert. Haben aber Argumente für die jeweiligen Standpunkte gesammelt.

Regisseure wie Ersan Mondtag oder Susanne Kennedy interessieren sich nicht mehr für Darstellungskunst als individuelle Interpretation. Hier ein Bild aus Kennedys "Selbstmordschwestern" bei den Wiener Festwochen.
Foto: Judith Buss


FLORIAN TEICHTMEISTER


Ich will hier keine Extremposition einnehmen. Das ist gegen das Lustprinzip am Theater, also gegen die Lust am Ausprobieren und Scheiternkönnen. Es soll kein Theater ausgeschlossen bleiben. Aber eine Tendenz, dass Schauspieler am Theater weniger wichtig geworden sind, die beobachte ich schon. Der Mensch auf der Bühne verschwindet wohl im selben Maß, wie er in der echten Welt verschwindet. Diese Entwicklung ist für mich aber nicht bedrohlich. Hingegen ist die Notwendigkeit einer Gegenwelt auf der Bühne, die sich nicht als Handlangerin der Wirklichkeit begreift, eine, für die man heute einstehen muss.

Der Fokus auf die Regie nimmt für mich durchaus ein verwunderliches Ausmaß an. Wie oft lese ich in Kritiken, dass der Regisseur mit dem Schauspieler sehr genau gearbeitet hätte. Ich als Schauspieler weiß aber, dass der Regisseur in den sechs Wochen alles getan hat, nur nicht das. Diese Verkennung bringt den Schauspieler tatsächlich zum Verschwinden. Sie ist auch schmerzhaft. Das Primat des Regisseurs ist Fakt, das Sinnliche am Theater wird verdrängt.

Stars sind teuer und haben Macht

Ich unterrichte auch am Reinhardt-Seminar, und bei einem Treffen der Schauspielschulleitungen wurde die Meinung verbreitet, dass die Ausbildung zum Identifikationsschauspieler hin, also zu einem, der seine Rolle studiert und mit seiner Persönlichkeit anreichert, nicht mehr gefragt ist. Ausgebildet werden sollen Performer. Das ist auch ein Indiz dafür, dass man keine großen Persönlichkeiten mehr möchte. Stars ziehen zwar Publikum an, aber sie sind teuer, kompliziert, und sie haben Macht. Das will man nicht. Doch das Theater wird von Schauspielern getragen. Die Dimension liegt auf der Hand, wenn ich sechzig Mal In der Löwengrube spiele.

Menschen sind ein Unsicherheitsfaktor, das ist das Herz eines lebendigen Theaterabends. Die erwartete Perfektion ist ja langweilig. Das Momenthafte am Theater gelingt nur mit fehlerhaften Individuen. Die Regie ist hingegen heute oft an "holzschnittartigen" Interpretationen interessiert. Das höre ich bei jedem zweiten Konzeptgespräch. Dahinter steckt wohl der Gedanke, den Menschen als allgemeingültig und weniger spezifisch festzulegen. Damit unterschätzt man aber das Publikum; dieses kann sehr wohl ins Allgemeingültige hinüberdenken.

Begonnen hat die Abwertung damit, dass man auf Spielplänen nur mehr das Leading Team namentlich nennt und in Programmheften die Schauspieler nur mehr als Wust von Namen aufgelistet werden.

Da hätte Oskar Werner nicht mitgemacht. Ihn wollte ein Regisseur einmal in der Aussprache korrigieren. Werner antworte: "Junger Mann, die Leute kommen wegen meiner falschen Betonungen ins Theater, nicht wegen ihrer richtigen." (Florian Teichtmeister, 1.6.2018)

AENNE SCHWARZ


Es mag Inszenierungen geben, bei denen der Schauspieler als Interpret nicht mehr wichtig ist und "verschwindet", aber ich sehe auch ganz viel anderes Theater. Das ist auch eine Frage der Auswahl, des Augenmerks. Ich glaube auch nicht, dass sehr technikgesteuerte Inszenierungen zwangsläufig die Spieler zum Verschwinden bringen. Die damit einhergehende Abstraktion, Formalität oder Figureskenhaftigkeit gibt es ja schon immer, etwa bei Robert Wilson. Ich bin froh, wenn es viele verschiedene Formen und Inhalte gibt. Ich selbst bin ja auch auf der Suche.

Wir Schauspieler müssten uns selber fragen, wo unsere Autonomie liegt. Es gibt diese gewisse Unmündigkeit, ja. Schauspieler sind dann die, die am Telefon sitzen und warten, dass es klingelt. Wir bestimmen viel zu wenig selber Stoffe, wie das in Amerika der Fall ist. Diese Mündigkeit müssen wir uns selber erkämpfen.

Die Debatte ist wichtig

Am Burgtheater gibt es diese Machtstrukturen auch: Dispo und Spielplan scheinen oft ausgerichtet auf eine Menge männlicher Gäste. Wirklich schön ist das nicht, und mit Ensemble hat es auch nicht mehr viel zu tun. Deshalb finde ich die losgetretene Debatte sehr wichtig und bin davon überzeugt, dass wir am Stadttheater etwas sprengen müssen. Das Schema F passt eben nicht zum Wesen unserer Arbeit. Das, würde ich sagen, bringt uns zum Verschwinden.

Ich bin in der glücklichen Lage, mich dank der Begeg nungen mit gewissen Regisseuren auch als Mitautorin zu fühlen, etwa mit Antú Romero Nunes oder jetzt mit Simon Stone in Hotel Strindberg; er schreibt Szenen so, dass die mit mir persönlich zu tun haben. Und ich fühle mich auch nicht "verkleinert", weil ich mit Mikroports sprechen muss. Paradoxerweise habe ich die Erfahrung gemacht, gerade in den Gruppen, die sich als große Alternative zu den verkrusteten Strukturen am Stadttheater anbieten, mich autoritären Strukturen ausgeliefert zu fühlen. (Aenne Schwarz, 1.6.2018)