Premierminister Giuseppe Conte und Präsident Sergio Mattarella unterschrieben am Donnerstag die Ministerliste.

Foto: APA/AFP/Italian Presidency

Unglaublich kurze acht Tage hielt die Regierung von Giulio Andreotti im Februar 1972, kaum eine Woche nach seiner Angelobung verkündete der damalige italienische Ministerpräsident auch schon wieder den Rücktritt seines Kabinetts. Es sollte dann noch vier Monate dauern, bis eine neue Regierung gebildet werden konnte – die wieder von Andreotti angeführt wurde. Auch diese hielt gerade einmal ein Jahr. Der Karriere Andreottis tat dies aber keinen Abbruch, er stand bis 1992 insgesamt siebenmal an der Spitze einer Regierung.

57-mal wechselte in Italien bisher die Regierung in sieben Jahrzehnten Republikgeschichte, 57-mal lobte ein Staatspräsident ein neues Kabinett an – oft schwor er die gleichen Premiers und Minister auf die Verfassung ein. Die Krise und der Wechsel scheinen in Italien fast die einzige politische Konstante zu sein.

Nun, am heutigen Freitag, 89 Tage nach der Parlamentswahl, soll Staatspräsident Sergio Mattarella eine Regierung angeloben, die "vom Volk so gewollt wird" – wie der Anführer der rechten Lega und designierte Vizepremier, Matteo Salvini, vollmundig erklärt. Und es stimmt schon: Das "alte System" wurde am 4. März abgewählt.

"Abgewatscht"

Dieses wurde zuletzt durch das Debakel der Überbleibsel der beiden großen politischen Blöcke rechts und links der Mitte repräsentiert: die Forza Italia (FI) von Silvio Berlusconi, eine von mehreren konservativen Nachfolgeparteien der Christdemokraten; und der Partito Democratico (PD), Heimat der Mehrheit der linken Reichshälfte, hervorgegangen aus den reformierten Kräften der Sozialisten und Kommunisten. Beide Parteien wurden bei den Wahlen – auf gut Wienerisch – "abgewatscht". Verständlich, dass Salvini und der ebenfalls siegreiche Luigi Di Maio vom Movimento Cinque Stelle (M5S, Fünf-Sterne-Bewegung) daraus genug Legitimation in Anspruch nehmen, um das Ruder auf einen neuen Kurs umzureißen.

Staatspräsident Mattarella hatte am vergangenen Sonntagabend noch versucht, das aus seiner Sicht Schlimmste zu verhindern: dass nämlich das Schiff geradewegs auf die Klippen zufährt. Er lehnte den vehementen Eurogegner Paolo Savona als Superminister für Wirtschaft und Finanzen ab. Begründung: Italien wäre innerhalb weniger Monate in den Konkurs gesegelt, denn das Regierungsprogramm von Di Maio und Salvini sei schlicht und ergreifend nicht finanzierbar – einmal abgesehen von verheerend europaskeptischen Signalen, die von einer Bestellung Savonas ausgegangen wären.

Eine Woche Politgroteske

Nach einer knappen Woche Politgroteske soll aber alles anders sein? Das Kabinett – immer noch mit dem Vetokandidaten Savona, allerdings an scheinbar harmloserer Position – ist jetzt wirklich fähig, Italien nicht bloß über die nächsten Jahre zu retten, sondern zu sanieren und in Europa zu einem festen Grundpfeiler zu machen? Wohl kaum.

Mattarella und seine Berater dürften zu der Einsicht gekommen sein, dass der Wählerwille zwar bitter schmeckt, aber zu respektieren ist. Eine "bessere" Regierung wird es auf Basis des Wahlergebnisses vom 4. März nicht geben. Das ist zwar hochproblematisch für die Stabilität des Landes – und auch der Europäischen Union –, doch dieser durchschlagende Erfolg der populistischen Kräfte ist Resultat eines jahrzehntelangen Missstandes – und das ist nichts, was man mit ein, zwei Rochaden in einem Regierungsteam lösen könnte.

Und Italiens Staatspräsidenten ist natürlich nicht verborgen geblieben, dass sein Manöver in den Umfragen bloß dazu geführt hat, dass vor allem die europafeindliche, rechte Lega noch massiv zulegen konnte. Was in diesen Tagen geschah, war nicht die Offenlegung einer absurden Politik und Inkompetenz, sondern sogar die Bestätigung einer solchen Politik – zumindest für einen großen Teil der Italienerinnen und Italiener.

Alternativlos

Insofern lässt sich die Entscheidung Mattarellas, doch noch eine Regierung von Cinque Stelle und Lega – diesmal sogar unter Einbeziehung der postfaschistischen Fratelli d'Italia (Brüder Italiens, so beginnt die italienische Nationalhymne) – zuzulassen, als Einknicken aus Staatsräson deuten. Hätte er nämlich Carlo Cottarelli, den renommierten Exbanker des Internationalen Währungsfonds (IWF), durchgesetzt, dann hätte es aufgrund massiver Ablehnung dessen Expertenregierung im Parlament nur noch einen Weg gegeben: Neuwahlen schon im Juli. Mitten in der (nicht nur) für Italiener heiligen Ferienzeit. Und gelöst hätte Mattarella mit dieser Variante nichts – im Gegenteil: Er hätte vor allem der Lega ohne jeden Zweifel zu einem weiteren Stimmenzuwachs verholfen.

Wenn am heutigen Freitagnachmittag also Giuseppe Conte als Chef einer populistischen Regierung mit starken rechtsextremen Elementen angelobt wird, so ist das eine Zurkenntnisnahme demokratisch legitimierter Tatsachen – auch wenn das fast der Hälfte der Italiener, und wahrscheinlich der Mehrheit der Europäer, nicht gefällt. Es ist aber auch der Startschuss für alle anderen, gemäßigteren Kräfte links und rechts der politischen Mitte, alles zu tun, um wieder das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler zu erhalten. Das müssen sie einerseits aus eigener Kraft tun – andererseits wird die neue Regierung mit ihren teils realitätsfremden und unfinanzierbaren Plänen schon von selbst mit dafür sorgen, dass sich das Blatt wieder wendet. Der Preis, den Italien und Europa dafür zu zahlen haben werden, dürfte allerdings sehr hoch sein. (Gianluca Wallisch, 1.6.2018)